„Anleger haben aus der letzten Finanzkrise gelernt“

Geldanlage
07.05.2020

 
Beim Lesen der aktuellen Schlagzeilen könnte sich mancher Anleger in die Zeit rund um 2008 zurückversetzt fühlen. „Aus der Finanzkrise lernen“, war damals einer der plakativsten Sager, nachdem sich die Wogen einigermaßen geglättet hatten. Petra Witzmann, Vorstandsmitglied des Österreichischen Verbandes Financial Planners, erläutert, wie sich heimische Investoren in der ersten Belastungsprobe nach über zehn Jahren Bullenmarkt schlagen.

Manchmal reicht es, am Frühstückstisch die Tageszeitung aufzuschlagen – und schon ist das Unbehagen da. „ATX mit größtem Verlust in seiner Geschichte“, so hieß es beispielsweise am 12. März 2020. Nicht bei wenigen Anlegern dürfte sich ein Gedanke breit gemacht haben: Wäre es nicht besser, jetzt alles zu verkaufen? Den einprasselnden Börsen-Nachrichten kann sich derzeit wohl kaum jemand völlig entziehen.

Von Panik keine Spur

„Wir erleben vor allem in der Medienberichterstattung eine Art Déjà vu und fühlen uns an die Zeit von und nach 2008 erinnert. Man möchte meinen, dass die Anleger wie damals überreagieren, blind ihren Instinkten folgen und Kurzschlussaktionen umsetzen. Das ist aktuell bei weitem nicht der Fall“, so die Private-Banking-Spezialistin Petra Witzmann, die als Vorstandsmitglied des Verbandes Financial Planners für die Gemeinschaft der Finanzplaner in Österreich spricht. Wenige Kunden legen Beratungsresistenz an den Tag und bestehen beispielsweise darauf, Panikverkäufe zu Tiefstständen zu tätigen. Im Zuge der Finanzkrise war das Witzmann zufolge noch anders. Anleger hätten viel dazu gelernt. Gemeinsam mit den Kunden hätte sie in den letzten Jahren bei Veranlagungen die Möglichkeit eines Börsencrashs und dessen Auswirkungen aktiv in den Entscheidungsprozess miteinbezogen. In Zeiten wie diesen zeigt sich nun, wie langfristig ausgerichtet und gut diversifiziert die eigene Strategie tatsächlich ist. „Wir beobachten, dass die Kunden nicht in Panik verfallen, sondern aktiv die Situation für günstige Zukäufe nutzen. Diesen Mut gab es 2008 noch nicht, was aber sicherlich auch daran liegt, dass die Qualität der Finanzberatung mittlerweile ebenfalls noch besser geworden ist, aus inhaltlicher und psychologischer Sicht“, berichtet die Expertin, die hauptberuflich als Leiterin Private Banking bei der Waldviertler Sparkasse Bank AG, in Zwettl und Waidhofen an der Thaya, tätig ist.

Weniger “Do-It-Yourself”-Anleger in Not

Der Finanzcrash hat eine Reihe regulatorischer Vorgaben mit sich gebracht, beispielsweise im Rahmen von MiFid I und II. „In Banken wird somit auch mehr Wert auf standardisierte, gesamtheitliche Ausbildung gelegt und Zertifizierungen haben einen höheren Stellenwert erhalten. Wir Berater haben darüber hinaus gelernt, dass neben inhaltlicher Kompetenz im Umgang mit Kunden vor allem psychologische Fähigkeiten und laufende Information gefragt sind. Die vermehrte Berücksichtigung dieser Faktoren in Aus-und Weiterbildungen trägt in der aktuellen Situation nun Früchte. Eine langfristige Kundenbeziehung stärkt beide Seiten“, ist die Niederösterreicherin überzeugt. Krisen führen einmal mehr dazu, dass der Mehrwert zertifizierter Beratung in Erscheinung tritt. Es gibt auch jetzt wieder kurzfristig ausgerichtete DIY-Anleger, die sich die Finger verbrannt haben und im Nachhinein professionelle Beratung in Anspruch nehmen. Der Anteil und die Ausmaße seien allerdings wesentlich geringer bzw. milder als vor rund zehn Jahren. Witzmann erläutert: „Die Angst vor Verlusten ist bei uns Menschen natürlich verankert. Die Wahrnehmung des Bankers hat sich im letzten Jahrzehnt jedoch gewandelt – weg von einem Retter in der Not und bloßem Dienstleister, hin zum geschätzten Berater in guten wie schlechten Zeiten. Durch stetige Weiterentwicklung auf der Produktebene können wir unseren Kunden in der heutigen Zeit risikobegrenzende Strategien in der Vermögensstrukturierung anbieten. Dadurch wird der Kunde durch professionelles Management in seiner langfristigen Veranlagungsstrategie positiv unterstützt und das Risiko minimiert.“

Finanzbildung bleibt in Krisenzeiten Trumpf

Wer nichts weiß, muss alles glauben. Die Wahrheit dieses Sprichwortes haben Anleger im Zuge der Finanzkrise zu spüren bekommen und die Relevanz von Finanzbildung in der öffentlichen Debatte ist seitdem gestiegen. Obwohl es noch kein fixes Unterrichtsfach gibt, wird vermehrt diskutiert, wie Finanzbildung in die Schulen gebracht werden kann – sodass der Umgang mit dem eigenen Geld von der Pieke auf erlernt wird. Witzmann zufolge sei das dringend notwendig, denn Österreich hinke in dieser Hinsicht deutlich hinter anderen Regionen, wie Skandinavien oder der USA, hinterher. „Wir als Verband Financial Planners setzen uns weiterhin dafür ein, den Österreichern nahe zu bringen, wie wichtig dieses Wissen ist. Finanzplanung bedeutet Lebensplanung und wer sich proaktiv damit auseinandergesetzt hat, lässt sich nun nicht durch jede Negativ-Schlagzeile verunsichern und kommt entspannter durch die turbulente Zeit“, ist sich die Finanzplanerin sicher.