Der geheime Zeugniscode
Ein Mitarbeiter scheidet aus dem Betrieb aus, sein Chef will ihm ein gutes Zeugnis mitgeben. Mit der Arbeit war er zufrieden – und schreibt das auch genauso nieder. Warum findet der arme Mann bloß keinen Anschlussjob?

Text: Mara Leicht
Dienstzeugnisse müssen laut Arbeitsrecht wohlwollend formuliert werden, sollen dabei aber strikt der Wahrheit entsprechen. Um Mängel dennoch kommunizieren zu können, arbeiten Personaler mit versteckten Codes. Wer diese nicht beherrscht, kann seinen Leuten unbeabsichtigt schaden.
Crashkurs: Wie schreibe ich ein Arbeitszeugnis?
Ein vollständiges Zeugnis besteht aus sieben Elementen. Fehlt auch nur eines, lesen Eingeweihte entweder Dilettantismus des Ausstellers oder Probleme mit dem Mitarbeiter in eben diesem Bereich heraus:
1. Überschrift („Arbeitszeugnis“) und Einleitung („Herr/Frau … geboren am … wohnhaft in … war von … bis … als … bei uns beschäftigt.“)
2. Aufgabenbeschreibung: „war verantwortlich für …“, „übernahm zusätzlich …“ – je mehr und je individueller, desto besser
3. Leistungsbeurteilung
4. Verhaltensbeurteilung
5. Beendigungsformel mit Grund des Ausscheidens
6. Dankes- und Bedauernsformel, Zukunftswünsche – je üppiger,
desto besser
7. Ausstellungsort, -datum und möglichst hochrangige Unterschrift.
Leistungsbeurteilung: Das Dilemma mit der Wahrheit
„Wohlwollend“ formuliert muss ein Zeugnis sein, dabei aber strikt der Wahrheit entsprechen. So will es das Arbeitsrecht. Daher verkleiden Personalchefs Mängelpunkte hinter schönen Worten. Ein verstecktes Schulnotensystem hilft ihnen dabei:
„Frau X hat ihre Aufgaben…
Note 1: stets zu unserer vollsten Zufriedenheit
Note 1,5: zu unserer vollsten Zufriedenheit
Note 2: stets zu unserer vollen Zufriedenheit
Note 2,5: zu unserer vollen Zufriedenheit
Note 3: stets zu unserer Zufriedenheit
Note 4: zu unserer Zufriedenheit
Note 5: insgesamt zufriedenstellend erledigt.“
Weitere 1A-Formulierungen: „hat unsere Erwartungen übertroffen“, „in jeder Hinsicht außerordentlich zufrieden“, „stets unsere vollste Anerkennung gefunden“, „hervorragend“. Schwache Leistungen verbergen sich hinter „hat sich bemüht“, „hat versucht“, „hatte Gelegenheit, die ihm übertragenen Aufgaben zu erledigen“.
Verhaltensbeurteilung: Die Betragensnote
Auch das Verhalten des Mitarbeiters wird benotet. Und zwar zu drei Personengruppen: Kunden, Vorgesetzten und Kollegen – in genau dieser Reihenfolge. Ist sie nämlich vertauscht, ist das ein Hinweis auf falsche Prioritätensetzung. Fehlt eine Gruppe ganz, gab es hier Konflikte. Wer also nur „in der Belegschaft geschätzt“ war, hatte Reibereien mit Kunden und Boss. Trickreich: Auch „Sein Verhalten war ohne Tadel“ weist auf Probleme hin.
Beendigungsformel: Wer hat gekündigt?
Personalisten schauen genau auf das Datum des letzten Arbeitstages. Fällt es nicht auf Monatsletzten oder Monatsmitte, wissen sie, dass sie einen fristlos Entlassenen vor sich haben. Kündigung durch den Arbeitgeber versteckt sich hinter dem Wort „trennen“: „Wir haben uns einvernehmlich getrennt.“ Echte Beidseitigkeit lautet: „Das Ausscheiden erfolgt in bestem gegenseitigem Einvernehmen.“ Ging die Initiative vom Mitarbeiter aus, signalisiert das ein aktives „verlässt das Unternehmen auf eigenen Wunsch“.
Dankes- und Bedauernsformel, Zukunftswünsche
Je knapper das Bedauern, desto glücklicher ist man, den Mitarbeiter los zu sein. Wieder sind blumige Formulierungen mit vielen Superlativen das Beste, was man ihm auf den Weg mitgeben kann. „Wir bedauern seine Entscheidung sehr, weil wir einen wertvollen und äußerst engagierten Mitarbeiter verlieren. Wir bedanken uns für die langjährige erfolgreiche Zusammenarbeit und wünschen ihm das Allerbeste für seine berufliche und private Zukunft“ kann nur noch durch eine jederzeitige Wiedereinstellungszusage getoppt werden.
Vorsicht, Falle!
Sie klingen unauffällig, sind aber Sprengstoff: unzulässige Verschlüsselungen, die scheidenden Mitarbeitern böse Stempel aufdrücken:
• Trug durch seine Geselligkeit zur Verbesserung des Betriebsklimas bei“ = Alkoholiker
• „Zeigte Einfühlungsvermögen für die Belange der MitarbeiterInnen“ = Grabscher, belästigte seine eigenen Mitarbeiterinnen sexuell
• „Bewies umfassendes Verständnis für die Belange der Belegschaft“ = homosexuell
• „Hatte ein gutes Verhältnis zu seinem Vorgesetzten und vermied Spannungen“ = Buckler, Ja-Sager
• „Seine Ansichten waren stets fest gefügt und er wusste sich gut zu verkaufen“ = stur und überheblich.
Mitarbeiter, die solche Codes in ihrem Zeugnis finden, sollten sie mit Verweis auf Unzulässigkeit sofort streichen lassen. Potenzielle Arbeitgeber wiederum, die Sicherheit wollen, sollten zum Hörer greifen: Am Telefon kann der letzte Vorgesetzte seine wahre Meinung sagen.