Die Kraft der Familie

Weltmarktführer
17.05.2017

 
Was Familienclans stark macht, liegt oft nur hauchnah bei ihren größten Schwachstellen. Wie sie für Erfolg sorgen und ihre Stärken ausspielen, zeigen einige bekannte Familien mit ihren weltmarktführenden Unternehmen vor.
Hannes und Sylvia Bardach setzen  stets auf eine langfristige Perspektive.
Erich Erber hat gemeinsam mit seiner Frau  ein globales Unternehmen aufgebaut.
Miriam Bird vom St. Gallener Center for Family Business rät zu einer Familiencharta.

Text: Alexandra Rotter

Erich Erber gründete 1983 gemeinsam mit seiner Gattin Margarete Biomin, einen Anbieter von Futtermittelzusätzen. Die beiden starteten ihr Geschäft mit drei Mitarbeitern in einem angemieteten Lager im nieder­österreichischen Pottenbrunn. Mittlerweile hat die Erber Group mit ihren Marken Biomin, Romer Labs, Sanphar und bio-ferm rund 1400 Mitarbeiter, betreibt mehr als 50 Tochtergesellschaften auf allen Kontinenten und ist damit eines der erfolgreichsten Familienunternehmen aus Österreich. Eine Erfolgsgeschichte, die keinen Einzelfall darstellt und damit die Frage aufwirft: Welche Rolle spielt eigentlich die Familienkonstellation bei dem Ritt nach ganz oben?

Zwar werden Familienunternehmen oft mit kleinen Betrieben in der Gastronomie, der Landwirtschaft und im Tourismus gleichgesetzt, wo von der Oma bis zum Nachwuchs alle mit anpacken. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit, denn vor allem unter den Weltmarktführern und Hidden Champions finden sich auffallend viele Unternehmen in Familienhand. Laut Thomas Haller, Managing Partner bei der Strategieberatung Simon-Kucher & Partner in Österreich, befinden sich sogar mehr als 70 Prozent der Weltmarktführer und Hidden Champions aus Österreich zumindest teilweise im Eigentum von Familien. Bei rund der Hälfte der Hidden Champions ist zudem entweder der Unternehmensgründer selbst oder ein Spross der Familie im Management aktiv. 

Auch externe Expertise zulassen Bei Familie ­Erber ist Letzteres momentan nicht der Fall. Gründer Erich Erber, der rund die Hälfte des Jahres in Singapur lebt, ist aktuell nur im Aufsichtsrat aktiv. Seine vier Kinder sind wie seine Frau am Unternehmen beteiligt, dort aber nicht oder noch nicht aktiv. Gedrängt werde der Nachwuchs jedenfalls nicht dazu, erklärt Erber, der aus einer Bauernfamilie mit insgesamt acht Kindern kommt: „So wie mein Vater mir nie gesagt hat, was ich machen soll, war es auch immer mein Ziel, meine Kinder nicht zu bevormunden.“ Die älteste Tochter studiert Tanztherapie, der Zweitälteste macht den PhD in Finanzwissenschaften, der Zweitjüngste studiert Medizin, und der jüngste Sohn ist erst zwölf Jahre alt. ­Erber: „Er hat noch alles vor sich. Derzeit will er Fußball­profi werden.“ 

Seit 1. April hat die Erber AG mit Jan Vanbrabant einen Manager als Vorstandsvorsitzenden, der nicht zur Familie gehört, und das findet Erich Erber gut: „Ich sehe es als interessante Übung, dass derzeit niemand aus der Familie im Unternehmen tätig ist. Das Unternehmen muss gut geführt werden, ungeachtet der Eigentümerverhältnisse.“ Besonders gegenüber den Mitarbeitern, die einander übrigens alle duzen, hält Erber diesen Schritt als wichtiges Signal: „Sie sehen, dass auch Nicht-Familienmitglieder im Unternehmen etwas werden können.“ Familienunternehmen würden „in der Regel um Personen, nicht um Positionen gebaut“ werden. Doch das könne zur Falle werden.

Die Bedeutung von Zahlen Dieses Thema gehört zu den wunden Punkten in vielen Familienunternehmen, denn nicht immer ist der eigene Nachwuchs die beste Wahl, um das Unternehmen weiterzuführen. Auf der Pro-Seite gibt es allerdings eine Reihe von Erfolgsfaktoren, die Familienclans wirtschaftlich besonders erfolgreich machen. Zahlen und Einzelbeispiele wie jene der Erbers deuten darauf hin, dass Familien einen besonders guten Nährboden für Geschäfte bieten. Erich Erber glaubt, dass Familienbetriebe den Vorteil haben, „nicht nur zahlengetrieben“ zu sein, wenngleich das auch nach hinten losgehen kann: „Man muss aufpassen, dass die Zahlen nicht egal sind. In diesem Spannungsfeld muss man den richtigen Weg finden. Ich glaube, den haben wir gefunden.“

An einer unternehmerischen Erfolgsgeschichte schreiben auch Hannes Bardach und seine Frau Sylvia mit dem Flug- und Transportsicherungs-Spezialisten Frequentis seit vielen Jahren: Er ist CEO, sie Geschäftsführerin für den Bereich Finanzen und Controlling. Hannes Bardach hat sich quasi selbst zum Familienunternehmer gemacht, denn er kam 1983 zunächst als externer Manager zu Frequentis und kaufte das Unternehmen drei Jahre später durch ein Management-buy-out. Seine Frau arbeitet seit 1989 für Frequentis. Das Unternehmen hat derzeit mehr als 1600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, 900 davon am Standort Wien.

Perspektive: Lang- vor kurzfristig Aus Bardachs Sicht ist der zentrale Erfolgsfaktor von Familienunternehmen, „dass wir immer die langfristige Perspektive unserer Unternehmensentwicklung im Auge behalten. Langfristige Erfolge gehen für uns vor einer kurzfristige Gewinnmaximierung.“ Eigentümer wie er wollen den Wert ihres Unternehmens „kontinuierlich steigern und das weitere Wachstum mitgestalten“, sie treibe „die starke Identifikation mit dem Unternehmen an“. Er glaubt, dass das auch die Mitarbeiter spüren, die sich ebenfalls mit dem Unternehmen identifizieren und unternehmerisches Denken einbringen. Zwar glaubt der Frequentis-Boss nicht, dass Eigentümer Entscheidungen schneller treffen als andere, aber: „In der Regel führen wir sie schneller und direkter zur Umsetzung. Das ist speziell bei der Realisierung von Innovationen oder wenn es darum geht, auf aktuelle Marktentwicklungen zu reagieren, besonders wichtig.“

Abgesehen von der emotionalen Komponente änderte der Schritt vom „reinen“ Unternehmensmanager zum geschäftsführenden Eigentümer für Bardach nicht viel – zum einen, weil er schon vor seinem Einstieg bei Frequentis selbstständiger Unternehmer und damit Gestaltungsfreiraum und die Möglichkeit, Neues zu entwickeln und voranzutreiben, gewohnt war; zum anderen, weil er sehr viel vom Frequentis-Gründervater gelernt hat: „Durch die sehr enge Zusammenarbeit mit Emanuel Strunz habe ich von Anfang an Frequentis als ‚mein Baby‘ betrachtet.“

Schnell und flexibel Ein Familienunternehmen, das mit mechanischen und elektronischen Zutrittslösungen ebenfalls auf dem Weltmarkt erfolgreich ist und sich zu 100 Prozent im Familienbesitz befindet, ist EVVA mit Sitz in Wien. Laut Stefan Ehrlich-Adám, der das Unternehmen leitet, ist die Unternehmensgeschichte eng mit der Familiengeschichte verwoben. Für ihn gehören in erster Linie kurze Kommunikationswege zu den Vorteilen von Familienunternehmen. Durch sie könnten, „wenn es notwendig ist“, sehr rasch Entscheidungen gefunden werden. Sich dieser „Stärken im Hinblick auf Planungshorizont und Entscheidungsstrukturen“ zu besinnen „und diese in der Unternehmensstruktur entsprechend abzubilden“, ist für Ehrlich-Adám wichtig.

Durch eine solche Flexibilität zeichnen sich laut dem Managementberater Thomas Haller viele Familienbetriebe aus: „Sie sind geübt im Improvisieren.“ Insbesondere in der Indus­trie hätten sich „viele mit dem Umstand arrangiert, dass die Nachfrage fluktuiert. Sie haben gelernt, ihre Kapazitäten hoch- und wieder herunterzufahren.“ Die Entwicklung dieser raschen Reaktionsfähigkeit sei den Krisen der letzten Jahre geschuldet.

Das gilt auch für die Wandlungsfähigkeit. Ehrlich-Adám von EVVA: „Es bedarf immer wieder des Mutes zu Erneuerungen, die zwar zukunftsweisend sein können, aber auch mit einem hohen Grad an Unsicherheit verbunden sind.“ Vor einigen Jahren traf man „eine der wichtigsten unternehmerischen Entscheidungen, nämlich „das Geschäftsfeld der elektronischen Zutrittssysteme aktiv zu besetzen und die Entwicklungsaktivitäten aus der eigenen Gesellschaft heraus zu steuern.“ Dafür habe sich EVVA intensiv sowohl mit Wissensträgern im Haus beraten als auch eine Reihe von externen Experten involviert. 

aus dem eigenen Saft Rudolf Krickl, Experte für Familienunternehmen bei der Unternehmensberatung PwC und verantwortlich für den Österreich-Report des Family Business Survey 2016, bestätigt: „Ein Erfolgsgeheimnis von sehr guten Familienbetrieben ist, dass sie sich Erfolgsmanager hereinholen und nicht nur im eigenen Saft schmoren.“ Sie lassen auch Mitarbeiter mitbestimmen, „da, wo deren Kernkompetenz liegt“. Probleme ortet Krickl besonders da, wo alteingesessene Strukturen in Unternehmen zu verkrusten drohen: Festzuhalten an dem, was vor 20 Jahren schon war, sei wenig erfolgversprechend. Er rät Familienunternehmen: „Nicht versteinern, nicht zu lange an Überkommenem festhalten, offen sein und junge Familienmitglieder frühzeitig einbinden, auch an moderne Finanzierungsformen denken, anstatt nur mit der Hausbank zu arbeiten.“ Besonders viel Offenheit ist aktuell beim Thema Digitalisierung gefragt. Hier ergab die Family Business Survey, an der weltweit rund 2800 und hierzulande 48 Familienunternehmen befragt wurden, dass 79 Prozent der befragten österreichischen Unternehmen die hohe Priorität der Digitalisierung erkannt haben.

Schwachstelle Nachfolge Zu den heikelsten Themen in Familienunternehmen gehört die Nachfolgeplanung. Hier orten sämtliche Experten die größte Schwachstelle und enormen Aufholbedarf bei Familienunternehmen. Rudolf Krickl unterscheidet zwischen jungen Familienunternehmen, deren Gründer meist zwischen 40 und 60 Jahren alt sind: „Wirklich wenige von ihnen haben einen Notfallplan im Falle eines überraschenden Todes.“ Bei alteingesessenen Unternehmen wiederum gehe es meist um die Planung der Übergabe der Unternehmensleitung an die Kinder oder externe Nachfolger: „Damit tun sie sich schwer.“ Nur rund zwölf Prozent der Familienunternehmen haben eine Familienverfassung, die unter anderem festschreibt, wie mit Mitarbeitern umgegangen werden soll oder wie die Beziehungen zur Region definiert seien. Meist enthielten Gesellschaftsverträge lediglich Lösungen für den Streitfall.

Regeln, wer geeignet ist Zu einer Familiencharta rät auch Miriam Bird, Assistenzprofessorin für Betriebswirtschaftslehre mit besonderer Berücksichtigung von Familienunternehmen am St. Gallener Center for Family Business, dringend. Darin werden etwa Regeln festgelegt, welche Voraussetzungen Familienmitglieder erfüllen müssen, um im Unternehmen mitarbeiten zu dürfen. Damit kann verhindert werden, dass Töchter und Söhne von Unternehmern nepotistisch an machtvolle Positionen gelangen, ohne dafür geeignet zu sein. Aber es gibt auch das gegenteilige Problem, wie Gottfried Spitzer von Deloitte betont: „Oft kann die alte Generation nicht loslassen.“ Über die Jungen heiße es oft, sie seien schlecht, „aber sie können sich oft nicht entfalten – das ist unfair.“ Spitzer plädiert daher für eine genaue Planung der Nachfolge und vor allem für eine „ganz harte Altersgrenze“, also zum Beispiel, dass ein Unternehmer ab einem bestimmten Alter keine neuen Organe mehr bestellen darf. 

Und: Es gibt bestimmte Übergänge, die besonders heikel sind – bei Familienunternehmen ist das meist die dritte Generation. Spitzer: „Der Gründer baut das Unternehmen auf, der Zweite hat das bei den Eltern erlebt, packt auch an und bringt es zu Wohlstand. Die dritte Generation wächst dann schon im Wohlstand auf.“ Wenn dann noch der Wettbewerb in der Branche zunimmt, die Marktchancen geringer werden und der Preisdruck steigt, kommt eben viel zusammen: „Es gehört schon eine besondere Disziplin dazu, Familienbetriebe über die dritte und vierte Generation im Wachstum zu halten.“ 

In Österreich blicken dennoch relativ viele Familienbetriebe optimistisch in die Zukunft: 85 Prozent der von PwC befragten Unternehmen planen, in den kommenden fünf Jahren zu wachsen. Die Zahlen, die den Status quo feststellten, sind im Vergleich aber nicht ganz so positiv: 60 Prozent der Unternehmen befinden sich aktuell auf Wachstumskurs, aber 20 Prozent müssen aktuell mit sinkenden Umsätzen fertig werden. Wenn die Unternehmen sich jetzt auf ihre Stärken konzentrieren, könnte sich der Optimismus aber lohnen.