Logistik der Zukunft? Grün und vernetzt

Logistik
10.09.2020

 
Die Transportbranche setzt mehr und mehr auf saubere Energien und umweltfreund­liche Pilotprojekte. Bis zur kooperativen Logistik ist es aber noch ein langer Weg.
Erste Pilotprojekte zeigen auf, wie der grüne Transport in Zukunft aussehen könnte

So hört sich Zukunftsmusik an: Güter, die sich selbst ihren Transportweg bis zum Empfänger suchen. Je nach Bedarf wechseln sie von der Straße auf die Schiene oder auf das Wasser. Ist eine Zwischenlagerung notwendig, wird einfach der nächstgelegene Lagerort angesteuert. Vergleichbar mit einem Mail, das von Server zu Server durch das Netz rast. Möglich wird dies durch intelligente Behälter, die sich automatisch den effizientesten Weg durch das Transportnetzwerk suchen. Und durch offene Informationssysteme und die kooperative Nutzung der vorhandenen Infrastruktur – von den Transport-LKW bis hin zu den Warenlagern. Ein Punkt, bei dem es sich noch spießt. Denn derzeit sind die Transportunternehmen noch kaum zum Teilen mit der Konkurrenz bereit. Dennoch zeigen Pilotprojekte auf, wie der grüne Transport in Zukunft aussehen könnte.

Die letzte Meile wird „grün“

Ein Beispiel dafür ist der „City Hub Graz“, den die Österreichische Post im August für die Dauer von drei Monaten gestartet hat. Die Paketzustellung erfolgt dabei testweise mit E-Lastenrädern. Die Pakete werden im Logistikzentrum Kalsdorf vorbeladen und stehen dann an mehreren Plätzen zur Übernahme durch den Zusteller bereit – verteilt über die Grazer Innenstadt. Durch diese „Rendezvous-Logistik“ müssen die Zusteller für die Aufnahme von neuen Sendungen nicht mehr an einen zentralen City Hub zurückfahren, sondern können die gesamte Zustelltour ohne Unterbrechung durchführen. „Unser Ziel ist, damit die gleiche Produktivität zu erreichen, wie mit den Transporter-Zustellern“, erklärt Wolfgang Grausenburger, Marketing-Leiter in der Paketlogistik der Post. Getestet wurde das City Hub-System bereits im Vorjahr in Wien, wo das E-Lastenrad eine komplette Tour mit dem LKW ersetzen konnte. 

Bereits ab August 2021 wird die gesamte Postzustellung in Graz CO₂-frei erfolgen. Im Jahr 2030 soll die Zustellung dann österreichweit CO₂-frei sein, was bedeutet, dass bis dahin auf der letzten Meile ausschließlich E-Fahrzeuge oder Fahrzeuge mit alternativen Antrieben im Einsatz sind.

Probelauf mit Wasserstoff

Alternative Antriebsmöglichkeiten testet derzeit auch das heimische Transportunternehmen Gebrüder Weiss – und zwar in der Schweiz. Dort ist ab Oktober der erste mit Wasserstoff betriebene Schwer-LKW im Einsatz. „Dieser wird absolut CO₂-neutral betrieben, grüner geht’s nicht“, ist Peter Waldenberger, Leiter Corporate Administrative Support bei Gebrüder Weiss, überzeugt. Am Beginn des Projekts stand die Frage des Schweizer Handelsunternehmens Migros, wie der Schwerverkehr nachhaltiger gemacht werden könnte. Zusammen mit Partnern verschiedener Branchen – vom Tankstellenbetreiber bis zum Energieerzeuger – hat man sich darauf geeinigt, auf Wasserstoff zu setzen. „Elektro-LKW werden nicht rentabel sein, und bei Erdgas stellt sich die Frage, ob genügend Bio-Gas zur Verfügung steht. Wasserstoff ist die Zukunft“, meint Waldenberger. Warum Gebrüder Weiss mit so einem Projekt vorerst nicht auch in Österreich startet, ist schnell erklärt. „Das Thema wasserstoffbetriebene LKW steckt hier noch in den Kinderschuhen. Es gibt noch zu wenige Tankstellen und Wasserstoff-Produzenten“, sagt Waldenberger. 

Projekte wie diese machen den Transport zwar umweltfreundlicher und grüner, die Möglichkeiten kooperativer Logistik werden dabei aber kaum genutzt. „Wir haben schon Planspiele in diese Richtung durchgespielt. Damit es wirklich Sinn macht, müssten sich aber die großen Spediteure an einen Tisch setzen. Dafür sind aber wirtschaftlicher und politischer Leidensdruck noch nicht groß genug“, so Waldenberger.

Digitales Netz als Logistik-Vorbild

Mehrere Schritte weiter in Richtung einer tiefgreifenden Reorganisation des Güterverkehrs und der Logistik geht hier schon die Forschungsorganisation Fraunhofer Austria, die heuer zusammen mit 17 Partnern das Projekt „Physical Internet through Cooperative Austrian Logistics“, kurz PhysICAL, gestartet hat. Physical Internet ist ein Konzept für ein optimiertes, standardisiertes weltweites Güter-Transportsystem nach der Idee des Internets. Entgegen der heutigen Vorgehensweise, bei der ein einzelner Transportdienstleister Waren über große Distanzen transportiert, setzt die Idee des Physical Internet auf fragmentierte, anbieterunabhängige Transporte. Das Konzept verspricht nicht nur die Effizienz in der Logistik um bis zu 30 Prozent zu verbessern, sondern auch gleichzeitig Staus, Emissionen und Energieverbrauch um mindestens 30 Prozent zu reduzieren. Wie das in der Praxis funktioniert, soll eine Änderung der Holzlogistik im Murtal und im Lungau zeigen. „Damit wollen wir 30 Prozent der LKW-Fahrten von den derzeit 100.000 Tonnen Transportvolumen einsparen und auf die Bahn verlagern“, sagt Projektleiterin Sandra Stein von Fraunhofer Austria. Dafür werden intelligente Tragegebinde konstruiert, die über eine App ansteuerbar sind und dann über die Schmalspurbahn weitertransportiert werden. „Durch diese kooperativ genutzten Transportgebinde wird das Holz schneller abgeholt und dadurch weniger von Schädlingen befallen“, sagt Stein.

Speziell für KMU interessant ist die Idee des ersten realen Handelshauses der virtuellen Welt. „Viele KMU würden gerne am E-Commerce teilnehmen, haben aber zu wenig Ressourcen dafür“, so die Projektleiterin. Denn viele Produzenten wollen ihre Waren zwar online verkaufen, scheitern aber an der Logistik. Hier kommt das Handelshaus ins Spiel. Damit werden dem Produzenten sämtliche logistische Herausforderungen abgenommen: Die Produkte werden direkt „ab Rampe“ abgeholt, zwischengelagert und weiter Richtung Endkunden gebracht. „Durch das gemeinsame Abwickeln von Lagerung, Transporten und IT-Lösungen wird der Vertrieb über E-Commerce von der Unternehmensgröße unabhängig“, erklärt Stein.

Soweit die gelebte Realität auch noch von vielen der innovativen Konzepte entfernt sein mag: Kostendruck und ökologische Anforderungen werden vermutlich schon bald aus mancher Zukunftsmusik gewöhnlichen Alltag machen.

Text: Markus Mittermüller