Bericht wird Pflicht

CSR; Nachhaltigkeit
28.03.2023

 
Irgendwann erwischt es beinah jeden: Die EU verpflichtet einen rasch wachsenden Kreis von Unternehmen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Ein Überblick, wen es betrifft, wann es so weit ist und wie sich Firmen am besten vorbereiten.
CSR - Berichtspflicht

Gerald Heerdegen tut sich leicht. Einmal im Jahr setzt sich der Geschäftsführer des Mittersiller Flaggenherstellers Fahnen-Gärtner mit seinen Leuten zusammen und legt seine „Gemeinwohl-Matrix“ auf den Tisch. Feld für Feld gehen sie die ESG-Themen Umwelt, Soziales und Transparenz durch und suchen Handlungsfelder für das kommende Jahr. Sie reichen von „Plastiksackerln abschaffen“ bis „Recycling-Service für unsere Fahnen“.
Leicht tut sich Heerdegen, weil er immer schon nachhaltig dachte. Über die Jahre brachte er viel weiter und dokumentierte es auch. Weniger leicht tun sich KMU, die weder Matrix noch Doku haben. Die nur läuten hörten, dass ESG nicht länger die Kür einiger weniger Eifriger, ­sondern Pflicht für fast alle Unternehmen wird. Denen vor den Formalvorschriften graut, die auf Österreich zurollen.
Große kapitalmarktorientierte Unternehmen kennen sie bereits. Seit Jahren müssen sie im Lagebericht ihres Geschäftsberichtes Rechenschaft über ihre ESG-Performance ablegen. Die wird damit auch Gegenstand von Audit und Testierung. Noch folgen sie dabei den Regeln der Non-Financial Reporting Directive (NFRD, alle Begriffe siehe Glossar). Die NFRD wird EU-weit demnächst durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD vulgo Nachhaltigkeitsberichterstattung) abgelöst. Mit deutlich größerem Anwenderkreis: Ab 2026 (Berichtszeitraum ab 1. 1. 2025) sind auch haftungsbeschränkte Unternehmen berichtspflichtig, wenn sie zwei der drei folgenden Kriterien erfüllen: 250+ Beschäftigte im Jahresschnitt und/oder 40+ Mio. Euro Nettoumsatz und/oder 20+ Mio. Euro Bilanzsumme.  
Und weiter geht es: Ab 1. 1. 2027 (Berichtszeitraum ab
1. 1. 2026) müssen auch deutlich kleinere Unternehmen reporten, die kapitalmarktorientiert sind und zwei dieser drei Kriterien erfüllen: 10+ Beschäftigte im Jahresschnitt und/oder 700.000 Euro Nettoumsatz und/oder 350.000+ Euro Bilanzsumme. Was und wie genau sie berichten sollen, ist noch nicht entschieden, jedenfalls aber bis vier Monate nach Ende des Geschäftsjahres.  

Lieferkettengesetz mit Dominoeffekt
In Deutschland trat mit Jänner 2023 das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ vulgo Lieferkettengesetz in Kraft. Die EU will eine europaweite Regelung, genannt Corporate Sustainable Due Diligence Directive (CSDDD). „Sie will Unternehmen zwingen, ihren Lieferanten bei Nachhaltigkeit und Menschenrechten auf die Finger zu schauen“, erläutert Andrea Karner von der CSR-Plattform respACT.

Der Marktdruck steigt.

Andrea Karner, respACT

Andrea Karner,  respACT
Andrea Karner, respACT

„Was betrifft mich das deutsche Lieferkettengesetz?“, mögen sich heimische KMU-Chefs nun fragen. „Eine Menge“, sagt Karner, „weil viele heimische KMU deutschen Unternehmen zuliefern.“ Die nun auch die Nachhaltigkeit ihrer österreichischen Zulieferer sicherstellen müssen. Mit Dominoeffekt: „Der Marktdruck steigt.“
Auch als Bankkunde sollte man wachsam sein: „Wer von seiner Bank einen Kredit will, muss ebenfalls ESG-Rechenschaft ablegen.“ Für die Finanzbranche gilt seit 2021 die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR). Nach ihr müssen Banken ihre Kunden ebenfalls nach Nachhaltigkeitskriterien bewerten. Manche gewähren jenen mit grüner Agenda bereits bessere Konditionen.  
Zwischenbilanz: Selbst wenn man noch nicht betroffen ist, sollte man sich vorbereiten. Was uns zur nächsten Frage führt: Wie packt man es an?

Matrix: Nachhaltigkeit überall dabei
Egal, welches inhaltliche Thema seine Kunden an Nikolaus Schmidt, Co-Geschäftsführer der Unternehmensberatungsplattform Klaiton, herantragen, er fragt sie immer: „Haben Sie schon daran gedacht, ob es dabei auch Nachhaltigkeitsaspekte gibt?“ Eine Querschnittsmaterie, meint er, für die das Bewusstsein hoch ist: „Die Frage ist eher, wie und wo man es in der Organisation verankert.“
Die besten Startpunkte sind „grüne“ Business-Case-Rechnungen oder unternehmensweite Nachhaltigkeits-Projektpläne. Ist das Ziel eines KMU etwa, seine CO2-Emissionen zu senken, beginnt die Business-Case-Rechnung mit der Ist-Analyse von Energiebedarf und Emissionen pro Produktionsstandort. Schmidt und seine Berater untersuchen Verbesserungspotenziale und Durchführbarkeit, definieren gemeinsam mit dem Kunden konkrete Ziele, planen Ressourcen und Zeiten, starten das Vorhaben und begleiten es durchgehend.
Die meisten Veränderungen sind technisch und/oder prozessual. „Vor fünf Jahren waren Shareholder von – vorerst – investiven Sustainaility Business Cases schwerer zu überzeugen als von Einsparungsprojekten. Nur weil die Mitarbeiter nachhaltig produzieren wollten, musste das dem Eigentümer nicht gefallen. Das hat sich gedreht.“
Oft bringt er auch die Themen Organisationsentwicklung und Kommunikation ein. „Darauf vergessen viele: Was verändert sich im Gesamtunternehmen, wenn wir nachhaltiger wirtschaften? Hat das Auswirkungen auf unser Führungs- und Organisationsverständnis? Und wie kommunizieren wir das nach innen und außen?“
Schmidts letzter Tipp lautet, stärker an Kooperationen zu denken. Die Abwärme des Brauquartiers Puntigam in Graz etwa heizt 800 Wohnungen und 17.000 m2 Büro- und Gewerbeflächen. Philanthrope Kernfrage: „Haben wir etwas, das anderen nützt?“

Mitreden können: Begriffe und Abkürzungen rund um die Berichterstattung

CSDDD: Corporate Sustainability Due Diligence Directive (vulgo Lieferkettengesetz oder EU-Richtlinie zur Lieferkette) soll nachhaltiges und verantwortungsvolles Verhalten in Unternehmen fördern und Menschenrechts- sowie Umwelterwägungen in Geschäftstätigkeit und Corporate Governance verankern.

CSRD: Corporate Sustainability Reporting Directive löst ab 2024 die alte NFRD als neue Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung ab. Sie verpflichtet eine deutlich größere Zahl an Unternehmen und folgt dem Prinzip der doppelten Wesentlichkeit: Unternehmen sollen Informationen über wesentliche Auswirkungen veröffentlichen, die entweder von ihnen selbst ausgehen oder auf sie einwirken.

ESRS: European Sustainability Reporting Standards
Die CSRD liefert die Vorgaben, die ESRS werden die Inhalte definieren.

EU-Taxonomie: Verordnung zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen
EU-Verordnung, die Vorgaben für ökologisch nachhaltige Investitionen festlegt und die Offenlegungsverordnung ändert.

NaDiVeG: Nachhaltigkeits- und Diversitätsverbesserungsgesetz (Österreich) setzt die derzeit geltenden NFRD der EU auf nationaler Ebene um und verpflichtet definierte große Unternehmen zur nichtfinanziellen Berichterstattung.

NFRD: Non-Financial Reporting Directive verpflichtet zur nichtfinanziellen Berichterstattung betreffend Umwelt-, Sozial- und Arbeitneh­mer*innenbelangen, zu Korruptionsbekämpfung und Maßnahmen zur Achtung der Menschenrechte. Wird abgelöst von der CSRD.

SFDR: Sustainable Finance Disclosure Regulation erhöht die Transparenz darüber, wie Finanzmarktteilnehmer Nachhaltigkeitschancen und -risiken in ihre Investmententscheidungen integrieren.