Europäisches Chip-Gesetz

Neue industrielle ­Revolution?

Elektronik
17.02.2023

 
Mit dem neuen Chip-Gesetz will die EU mehr Unabhängigkeit von asiatischen Erzeugern erlangen. Der Marktanteil Europas an der globalen Produktion von Mikrochips soll auf 20 Prozent steigen. 43 Milliarden Euro Subventionen sollen dabei helfen.
Chip-Gesetz für Europa

In der modernen Welt sind sie unverzichtbar. Kaum ein Gerät oder Auto kommt mittlerweile ohne Mikrochips aus. Doch im Vergleich zu Ländern wie Taiwan, China, Japan, Südkorea oder auch den USA ist Europa in der Entwicklung und Herstellung noch ein kleinerer Player. Das soll sich jedoch in den kommenden Jahren ändern, wenn es nach der Europäischen Union geht. „Mit dem EU-Chip-Gesetz werden wir Europa zum Anführer in diesem sehr wichtigen Markt machen“, sagte Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission, im Vorjahr. Im Moment kann Europa den Bedarf an Chips nicht decken und ist stark von den Erzeugern in Ostasien abhängig. Am weltweiten Markt ist der Anteil Europas mit neun Prozent überschaubar. Zwei Drittel aller hergestellten Chips werden in den Ländern Taiwan, China, Japan und Südkorea erzeugt. Allein das kleine Taiwan ist für 26 Prozent aller produzierten Chips verantwortlich. Auch hinsichtlich der Spannung zwischen Taiwan und China ist für die EU mehr Autarkie ein erstrebenswertes Ziel. „Der globale Markt für Chips ist exponentiell wachsend. Chips sind essenziell für unser tägliches Leben. Wir benötigen sie in unseren Smartphones oder unseren Wachmaschinen. Die Pandemie hat die Vulnerabilität der Chip-Lieferkette gezeigt, daher haben wir als Ziel, dass wir mit diesem Gesetz die Widerstandsfähigkeit stärken und mittelfristig Europa zu einem Industrieführer auf diesem Markt machen“, so von der Leyen.

43 Milliarden Euro an Investitionen
Mit dem European Chips Act (ECA) – so der offizielle Name – sollen bis 2030 43 Milliarden Euro an öffentlichen und privaten Geldern in die Chip-Industrie investiert werden. Der Fokus des europäischen Chips Acts liegt insgesamt auf fünf Bereichen: Ein Bereich betrifft die Forschung und die Herstellung von Chips. Die EU nennt das „From the Lab to the Fab“. Die Idee ist, dass ein besserer Übergang von der Forschung zur Herstellung gewährleistet werden soll. Ein anderer Punkt widmet sich der industriellen Produktion, denn hier benötigt Europa mehr fortschrittliche Produktionsanlagen, als es aktuell der Fall ist. Ein weiterer Bereich, auf dem der Fokus liegen wird, ist die Unterstützung von kleineren, innovativen Unternehmen. Hier ist geplant, dass man ausreichend Mitarbeiter*innen mit den passenden Fähigkeiten und Ausbildungen findet, es geht aber auch darum, die passenden industriellen Partner zu finden und, wenn nötig, den kleineren Unternehmen noch zusätzlich finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen. Und dann gibt es noch den Punkt zur Lieferkette. Die EU will die globalen Märkte offenhalten. Es sollen Partnerschaften zwischen Europa und den USA oder auch Japan geschaffen werden, wie von der Kommission betont wird. Doch ist man in der EU mit diesem Chip-Gesetz zu spät dran und sind 43 Milliarden Euro nicht zu wenig Geld, wenn man im Vergleich die USA und China heranzieht, die jeweils 170 Milliarden US-Dollar in den kommenden Jahren zur Verfügung stellen wollen? „Ich würde nicht sagen, dass der European Chips Act ‚zu spät‘ kommt. Ein ECA im Jahr 2020 mit doppeltem Budget hätte unsere Abhängigkeit von der Fertigung in Asien auch nicht signifikant verringert. Die Halbleiter-Wertschöpfungskette basiert auf transnationaler Arbeitsteilung: modernste Front-End-Fertigung findet praktisch ausschließlich in Taiwan durch TSMC und in Südkorea durch Samsung statt“, sagt Jan-Peter Kleinhans von der Denkfabrik Stiftung Neue Verantwortung mit Sitz in Berlin. Kleinhans ist Director für Technology and Geopolitics und ein führender Experte im Bereich Halbleiter und Geopolitik.

Das Ziel des ECA kann nicht sein,
uns unabhängiger von Asien zu machen.

Jan-Peter Kleinhans, Halbleiter- und Geopolitikexperte

Jan-Peter Kleinhans, Halbleiter- und Geopolitikexperte
Jan-Peter Kleinhans, Halbleiter- und Geopolitikexperte

Den Mehrwert in lokaler Fertigung sehen
Allein der taiwanesische Halbleiterhersteller TSMC hat in den vergangenen beiden Jahren insgesamt 66 Milliarden US-Dollar in den Ausbau der eigenen Fertigung investiert. Die Summe übertrifft die geplanten Subventionen der EU deutlich. „Ein weiteres Beispiel wäre die Fertigung von Memory-Chips, die fast ausschließlich in Südkorea und China stattfindet, auch hieran wird der ECA nichts ändern. Das Ziel des ECA sollte und kann nicht sein, uns unabhängiger von Asien zu machen, sondern in die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu investieren“, so Kleinhans. Und auch das mit dem 20-prozentigen Marktanteil muss man sich näher ansehen, wie der Experte betont, denn es gibt einen Unterschied, ob die EU dabei auf den Umsatz oder den Produktionsanteil (auch Wafer Capacity) zielt. Das sind zwei voneinander unabhängige Ziele, die jeweils andere Herausforderungen an die Industriepolitik stellen. Am Beispiel Taiwan lässt sich erkennen, dass die Unternehmen zwar einen Anteil von 20 Prozent an der weltweiten Front-End-Fertigungskapazität haben, jedoch nur zehn Prozent Marktanteil, wenn man den Umsatz betrachtet. Kleinhans rät auch davon ab, durch Subventionen Dinge zu forcieren, die bereits in Asien existieren. „Damit sich langfristig und nachhaltig mehr Fertigung in der EU ansiedelt, müssen vor allem europäische Abnehmer-Industrien, wie Automotive, Telekommunikation oder die Medizingeräte-Industrie, Halbleiter als strategischen und wettbewerbsrelevanten Input sehen und einen Mehrwert in lokaler Fertigung erkennen“, meint der Experte.

Südostasien bleibt an der Spitze
Ein anderes Problem, dem sich Europa stellen muss, ist die zu geringe Anzahl an fortschrittlichen Produktionsanlagen für Mikrochips. Hier muss die Dichte der leistungsfähigen Anlagen erhöht werden. Doch das ist nicht so leicht. Moderne „Fabs“ müssen immer größer werden, damit die Investitionen in sie rentabel sind. Der Experte erklärt, dass eine moderne Fabrik mit einer Produktionsleistung von 20.000 Wafer-Starts pro Monat (WSPM) nicht profitabel wirtschaften kann. Eine Fab mit 100.000 WSPM kann dagegen deutlich kosteneffizienter produzieren als kleinere Werke. Südkorea und Taiwan profitieren deshalb massiv von Skaleneffekten, wie Kleinhans bekräftigt. Er rät der EU daher, einen etwas anderen Weg zu gehen, als es die Mitbewerber längst tun. „In meinen Augen sollte die EU ihre Stärken in anderen Fertigungsverfahren und -materialien ausbauen (auch durch Subventionen), bei denen es nicht um reine Fertigungsdichte geht, wie beispielsweise Verbundhalbleiter, wie Gallium-Nitrid und Silizium-Carbid, denn beide sind essenziell für Leistungs- und Funk-Halbleiter.“
Ein schlafender Riese bei der Produktion zukünftiger Chip-Generationen könnte China sein. Doch im Vergleich zu den anderen großen Erzeugerländern gibt es einige Unbekannte, etwa wie fortschrittlich China ist. Zwar sind im Reich der Mitte mittlerweile erste hochleistungsstarke 7-Nanometer-Chips erzeugt worden, jedoch schätzten Expert*innen den Entwicklungsstand des Landes bis vor Kurzem noch ein paar Jahre hinter dem der asiatischen und nordamerikanischen Konkurrenz. Der Weltmarktanteil an der Chip-Erzeugung ist aber bereits jetzt unübersehbar geworden. Lag er 2010 noch bei zehn Prozent, so stieg er mittlerweile auf über 20 Prozent und bis 2030 könnte die 30-Prozent-Marke fallen, wie das Magazin Capital berichtete. Auch Kleinhans sieht die 7-Nanometer-Chips noch nicht reif für die Massenfertigung. „Ohne Zugang zu ASMLs-EUV-Equipment wird China, zumindest in dieser Dekade, keine wettbewerbsfähige 7-nm-Fertigung aufbauen können“, ist Kleinhans überzeugt. Das niederländische Unternehmen ASML ist der weltweit größte Anbieter für Lithographiesystemen für die Halbleiterindustrie. EUV-Equipment sind Systeme für extrem ultraviolette Strahlung, die zur Herstellung von Mikrochips benötigt werden. Somit dürften Südkorea und Taiwan vorerst Produktionsweltmeister bei den Chips unter 10 mm bleiben.
Beim EU-Ministerrat für Wettbewerbsfähigkeit wurde Anfang Dezember der European Chips Act offiziell beschlossen. Die Abgeordneten des Europaparlaments verabschiedeten die Rechtsvorschriften zur Förderung der EU-Chipindustrie im Jänner. Die Verhandlungen zwischen Rat und Parlament stehen also bevor. „Europa ist der Kontinent, auf dem die industrielle Revolution startete und Europa kann auch das Zuhause einer nächsten industriellen Revolution sein“, meint jedenfalls von der Leyen zu den neuen Möglichkeiten, die ein solches Gesetz bieten kann. Ob es in diese Richtung gehen wird, muss sich aber erst zeigen.