Export nach Kanada

O Canada!

Export
12.09.2022

 
Wer nach Kanada exportieren will, findet alles andere als einen einheitlichen Markt vor. Was niemanden abschrecken soll. Ein Wegweiser samt Beispielen für heimische Unternehmen.
Export nach Kanada

Was hatte sie sich gefreut, als im Mai endlich wieder das Weinfestival VieVinum stattfand. Wie in vorpandemischen Zeiten hatte Anika Riegler, bei der Österreich Wein Marketing (ÖWM) für die internationalen Märkte verantwortlich, Händler, Medien und Meinungsführer aus aller Welt eingeladen. „Alle sind gekommen“, strahlt sie. „Aber die aus Kanada haben uns überlaufen. Aktuell ist Kanada unser siebenstärkster Markt. Vergangenes Jahr hat es Großbritannien überholt.“ Und da geht noch mehr. So viel mehr, dass sich die ÖWM eine eigene Agentur in Montréal suchte, um dieses Potenzial auszuschöpfen. Warum gerade Montréal? Warum nicht Toronto oder Vancouver an der Pazifikküste? Riegler lacht: „Kanada ist viel, aber kein einheitlicher Markt. Man muss sich fokussieren.“ In ihrem Fall zuerst auf die zweitgrößte Metropole Kanadas, das französischsprachige Montréal mit seinen 4,3 Millionen Einwohnern. Montréal sprüht vor Lebenslust und auch vor kulinarischer Neugier. Alles, was aus Europa stammt, ist grundsätzlich interessant.
Hier kommt Österreich und beispielsweise Wein ins Spiel. „Noch bewegen wir uns in einer Nische. Doch wir haben mehr und mehr kanadische Experten auf unserer Seite. Sie zeigen den Konsumenten unsere österreichischen Weine. Und die mögen sie sehr.“ Auch weil sie gut zum Trend passen: „Bio, biodynamisch, natürlich und nachhaltig.“ 26,5 Prozent der österreichischen Landwirtschaft sind bio. 15,3 Prozent unserer Weine sind ebenfalls bio oder biodynamisch. Weitere 15,2 Prozent sind zertifiziert nachhaltig, wobei es zwischen diesen Kategorien Überschneidungen gibt. Das sind international herausragende Werte. Weil diese Qualitäten gerade gefragt sind, gehören sie auch betont.

Anika Riegler
Anika Riegler, Österreich Wein Marketing 

Rot, Weiß, Rosé – und Orange
Die ÖWM setzt auf die Neugier der Montréaler, die alles ausprobieren wollen, was hip ist. Aktuell ist das etwa Orange Wine. Hier werden weiße Trauben so wie Rotweine auf Beerenschalen vergoren und ziehen dadurch mehr Farbstoffe und Tannine an. Der Wein bekommt eine bernsteingelbe bis orange Farbe und seine charakteristische Trübung. „Die Montréaler wollen gar nicht wissen, wa­rum er orange ist. Er ist funky und deswegen verlangen sie ihn.“
Auch sonst unterscheiden sich die Geschmäcker im frankophilen Montréal vom anglophilen Toronto, dem mit 6,6 Millio­nen Einwohnern theoretisch größten, aber weit konservativeren Markt. In Montréal trinkt man neben Orange Wine und alternativen Weinstilen „Rot“, am liebsten österreichischen Zweigelt. Und natürlich Grünen Veltliner, „der wird überall als Erster gelistet“. In Toronto liebt man „Weiß“, neben Grünem Veltliner auch Riesling, Grauburgunder und Weiße Cuvées. Hier heißt es „bloß keine Experimente“. Die Konsumenten sind ausgewiesene Weinkenner und kaufen das, was ihnen ihre Sommeliers schon immer empfohlen haben. Um es vorwegzunehmen: Auf diese beiden Metropolen sollte man sich als Exporteur von Lebensmitteln aller Art zum Start fokussieren.

Kanada ist kein einheitlicher Markt.

Anika Riegler, Österreich Wein Marketing

Kuriosum Alkoholmonopol
Wesentlich für den Erfolg ist eine kanadische Besonderheit: Neun der zehn Provinzen haben eine eigene Alkoholbehörde, nur sie darf importieren und verkaufen. Die Monopolisten definieren nicht nur, was ins Land darf, sie betreiben auch durchaus ansprechende Fachmärkte mit gut ausgebildetem Personal. Nur dort können die Kanadier Alkohol kaufen. Die Ausnahme ist die Provinz Alberta, hier wurde der Detailvertrieb, nicht aber der Import privatisiert. Die Alkoholbehörden schicken Ausschreibungen (Tender) aus, in denen sie genau beschreiben, was und ob sie es für Dauerlistung oder Sonderposten suchen. Heimische Winzer bzw. deren lokale Agenten – ohne die ist es schwierig – können sich darauf bewerben. Das klingt für Österreicher erst einmal fremd, doch ist der Prozess einmal gelernt, funktioniert er.  Wer nun besonders schlau sein und die Monopolisten mit Direktlieferungen an Restaurants und Bars umgehen will: Das klappt nicht. Die dürfen zwar importieren, müssen ihre Kontingente aber ebenfalls von der jeweiligen Monopolbehörde genehmigen lassen. Die im Übrigen tatsächlich etwas von Weinen und vom Konsumentengeschmack versteht. Österreichische Winzer haben damit beste Karten. Fast beneidet Margret Zeiler die Weinexporteure. Zeiler ist bei der AgrarMarkt Austria (AMA) für die internationalen Märkte verantwortlich. Die Absatzkanäle für Lebensmittel sind deutlich fragmentierter. Alles steht und fällt mit dem Engagement des jeweiligen Importeurs (Broker), der jeden Händler, jede Supermarktkette einzeln adressieren muss. Und dann ist da noch die Sache mit der Haltbarkeit ihrer Produkte. Die von Käse reicht für den Transport mit dem Schiff oft nicht aus, kommt der Käse mit dem Flieger, verteuert ihn das empfindlich. Weil auch die lokalen Vertriebspartner mitschneiden, ist heimischer Käse auf der anderen Seite des Atlantiks ein wirklich elitäres Produkt.  
Dass die AMA den kanadischen Markt trotzdem aktiv bearbeitet, hat weltpolitische Gründe. „Früher“, sagt Zeiler, „war Russland für unsere Käseproduzenten ein wahnsinnig wichtiger Markt. Doch nach der Annexion der Krim hagelte es Sanktionen gegen Russland, das daraufhin seinerseits Agrarwaren aus Europa sanktionierte.“ Die Produzenten mussten sich Ausweichmärkte suchen. Also Kanada.
Im Vergleich zu den USA, die die AMA schon länger bearbeitet, gibt es ein Handicap: Österreich hat in Kanada kein gefestigtes Image. Das baut sie gerade auf: „Heute sind wir froh, dass wir den Weg der harten Industrialisierung nicht mitgegangen sind. Unsere kleinbäuerlichen Strukturen, die Familien­betriebe – das ist sehr gefragt und lässt sich gut vermarkten.“  Die findigen Marketeers taten sich zudem mit ihren französischen Kollegen zusammen und vermarkten ihre Käse nun gemeinsam unter dem Dach eines EU-Projektes. Win-win für alle: Die im französischsprachigen Teil natürlich deutlich besser verhafteten Franzosen kommen in den Genuss einer EU-Förderung, dafür lassen sie die Österreicher am Trittbrett mitfahren. „Soll uns nichts Schlimmeres passieren, als in der Käsewelt mit Frankreich in einem Atemzug genannt zu werden!“
Was uns zu einer weiteren Besonderheit führt, die es in Kanada zu bedenken gilt: die konsequente Zweisprachigkeit. Alle Verpackungen, POS-Materialien und Werbekampagnen müssen zwingend zweisprachig gehalten sein. Egal, welche Sprache in einer Provinz dominiert.

Tipps für Exporteure
Wer sich an den Exportmarkt Kanada heranwagt, sollte Zeit mitbringen. Mit einer zweiwöchigen Roadshow durch ganz Kanada kommt man nicht weit. „Illusorisch“, sagt Gregor Postl, österreichischer Wirtschaftsdelegierter in Toronto. „Auf der Landkarte schaut das machbar aus. Aber zwischen Ost- und Westküste liegen 5.800 Kilometer und vier Stunden Zeitverschiebung.“ Auch er plädiert dafür, eine Provinz nach der anderen aufzurollen, kennt aber auch österreichische Unternehmen, die einen bundesweiten Markteintritt vollzogen haben. Etwa die Nachhilfe-App GoStudent – doch die ist digital.  
Postls nächster Tipp: sich vorab wirklich gut vorzubereiten. Der anfängliche Mehraufwand lohnt sich. „Umso schneller kann man sich dann dort um sein Business kümmern und bleibt nicht auf den Behördenwegen stecken.“ Rechtsanwalts- und Steuerberatungskanzlei sollten dabei nicht fehlen, Exporteure sind auch mit einer Handels- und Marketingagentur gut beraten. Wer Mitarbeiter hinüberschickt, hat einigen Aufwand mit dem richtigen Visum.  Überraschend schwierig ist es, ein kanadisches Bankkonto zu eröffnen und eine Kreditkarte zu ergattern. „Die ist hier ein Identifikationsinstrument. Ohne Kreditkarte bekommt man nicht einmal einen Handytarif.“ Das Rad neu erfinden muss man aber nicht: Alle Prozesse sind gut beschrieben und einfach abrufbar (wko.at/aussenwirtschaft/ca).

Von einem Markt zum Nächsten
Wer derzeit weder in Kanada noch in den USA vertreten ist: Von Kanada aus startet es sich leichter in die USA und auch nach Mexiko als von Europa. Für Postl bestand das anfangs umstrittene CETA-Freihandelsabkommen zwischen Europa und Kanada seine fünfjährige Feuerprobe. CETA geht weit über Zölle und erleichterten Warenimport hinaus. Es eröffnet auch den kanadischen Dienstleistungsmarkt, erleichtert europäischen Fachkräften das Arbeiten in Kanada und bietet Investoren verlässliche Bedingungen. Ist man erst in Kanada etabliert, greift auch das USMCA, das Freihandelsabkommen zwischen den Kanada, USA und Mexiko.  
Der kanadische Markt, fasst Postl zusammen, „ist äußerst attraktiv und stabil. Und er ist weit offen für Exportprodukte aus Österreich.“ Agrarische Exportprodukte etwa verzeichneten dort sogar in den Coronajahren 30- bis 40-prozentige Zuwachsraten jährlich, ein Trend, der sich auch für heuer abzeichnet. Im gleichen Zeitraum sanken die USA-Exporte um 20 Prozent, auch für heuer sind minus fünf Prozent prognostiziert. Zugegeben, auf unterschiedlichem Niveau: 2021 exportierte Österreich agrarische Produkte im Wert von 910 Millionen Euro in die USA und von 43 Millionen Euro nach Kanada. Bei Lebensmitteln steht man in Kanada eben erst am Anfang. Zuletzt ein ultimativer Tipp für heimische Produzenten: Das Interesse an gesunden Snacks ist gewaltig.