Digital im Geschäft

Digitalisierung
11.05.2022

 
Die Digitalisierung hat neue, disruptive ­Geschäftsmodelle hervorgebracht, die binnen kürzester Zeit Kunden gewinnen und Umsätze generieren – und zwar meist nur via Mausklick. Ein Blick über die zehn erfolgreichsten.
Cursor-Hand. Digital im Geschäft

Martin Giesswein hat mit dem Niedergang von Nokia als damaliger Country Manager für Österreich persönlich erlebt, was es bedeutet, wenn Unternehmen digitale Geschäftschancen ungenutzt lassen. „Wir sehen, dass jene Firmen in den letzten 20 Jahren in der Internetwirtschaft am meisten Geld verdienen, die ganz bestimmte digitale Geschäftsmodelle anwenden“, sagt der Digitalisierungsexperte.
Das sind die zehn digitalen Geschäfts-Modelle:

1. Abo-Modell Das wohl gängigste und besonders starke Modell, das man bei Strom- und Handyrechnungen schon seit Jahrzehnten kennt, bietet laut Martin Giesswein einen immensen Vorteil: „Man hat stetig wiederkehrende Kund*innen und muss sich nicht um ständige zeitaufwendige Akquise kümmern.“ Er selbst hat das Abo-Modell als CEO der Plattform Immobilien.net angewandt und für Makler Jahresabos angeboten: „Das hat uns damals 80 Prozent unseres Umsatzes eingebracht“, so Giesswein. Sein Rat: „Alle Verkaufsprozesse in der Organisation ansehen. Häufig sind Käufe Einzeltransaktionen, die jedes Mal Aufwand und Zeit bedeuten. Oft könnte man einfach auf ein digitales Abo umstellen. Das kann fast jedes Unternehmen machen.“

2. Das Gratis-Modell Die Google-Suche ist ein perfektes Beispiel: Keine Nutzer*in zahlt etwas für dieses Service. Mit den Daten über die Suche kann Google aber Trends generieren und Werbung auf der Ergebnisseite anzeigen. Am leichtesten merkt man sich dieses Geschäftsmodell mit dem Satz: Wenn Sie nichts für das Produkt zahlen, sind Sie das Produkt.

3. Freemium-Modell Das Freemium-Modell basiert auf einem Gratis-Modell, wodurch potenzielle Kund*innen angezogen werden. Der Begriff setzt sich aus den Worten „free“ und „Premium“ zusammen. „Ein kostenpflichtiges Premium-Upgrade im Rahmen eines Abo-Modells eröffnet dann meist weitere Dienstleistungen“, sagt Giesswein.

4. Ökosystem-Modell „Wir bei Nokia verkauften blind über den Mobilfunkbetreiber an die Endkund*innen unsere Telefone. Wir wussten nichts über die Endkund*innen. Heute arbeiten Firmen wie zum Beispiel Apple oder Google im Ökosystem-Modell. Sie umgarnen die Kund*innen mit vielen Dienstleistungen und haben dadurch alle Endkundendaten: Hardware, Online-Services, Musik, Mail, Speicherplatz, Payment, Watch, Podcast. Für die Kund*innen ist es einfacher und kostengünstiger, im Ökosystem zu bleiben, als sich davon zu lösen.“ Die Zukunft gehöre aber auch den offenen Ökosystemen, die organisationsübergreifend Lösungen und Innovationen entwickeln. Der Vorteil dieses Modells: Durch die Kollaboration können Bedürfnisse umfassend abgedeckt und nachhaltige Lösungen für Probleme gefunden werden. In vielen Fällen bringt das Ökosystem den teilnehmenden Unternehmen mehr: der Kuchen wird vergrößert und gleichzeitig werden durch das Teilen die Kosten gesenkt.

5. On-Demand-Modell Es besagt, dass das Produkt den Kund*innen zur Verfügung gestellt wird, wenn sie es brauchen. „Das bedeutet eine Reduktion der Vorhaltekosten“, meint Giesswein. Unter dem Zugzwang der Streaming-Anbieter würde auch das klassische Fernsehen reagieren: „Das lineare Fernsehen transferiert sich in Apps und TV-Theken, wo Sendungen auf Abruf zu sehen sind.“ Das On-Demand-Modell sei auch für traditionelle Sparten wie die Versicherungsbranche spannend: „Das würde bedeuten, dass ich erst eine Versicherung abschließe, wenn ich einen Unfall habe und dann für fünf Jahre per Abo-Modell bei der Versicherung bleibe –, das wäre für Konsumenten doch viel attraktiver.“

6. „Verwenden statt Eigentum“-Modell Dieses Modell überlappt sich mit dem On-Demand-Modell und geht vom Sharing-Ansatz aus. „Ich benötige on demand ein Auto, zum Beispiel miete ich mir als Kunde über Carsharing eines und nutze es in der nächsten Stunde. Ich bezahle dabei nur einen Bruchteil dessen, was der Besitz des Autos kosten würde“, sagt Giesswein, „und dank ihres Erfolgs werden beide Modelle immer öfter angewendet.“ Das Unternehmen selbst habe einmalige Anschaffungskosten des Produkts, aber in Summe höhere Einnahmen über dessen Vermietungslebenszeit.

7. Plattform-Modell „Einen Schritt weiter geht Uber: Das Unternehmen kauft nicht einmal mehr die Hardware, nämlich die Autos, sondern vermittelt die Fahrer samt Autos gegen Gebühr – und zwar on demand und just in time. Und Uber besitzt auch noch die Kontrolle über die Daten“, sagt Martin Giesswein. Plattform-Modelle würden dort Sinn machen, wenn man sehr viele Verbraucher mit Unternehmen zusammenbringen könne.

8. Hypermarket-Modell Amazon ist ein als Buchversandhandel gestartetes Plattform-Business, das inzwischen auf die Verdrängung von Mitbewerber*innen ausgerichtet ist und von Lebensmitteln über Technikwaren bis Mode einfach alles anbietet – on demand und bequem. „Das Hypermarket-Modell findet man im digitalen als auch im analogen Bereich“, sagt Martin Giesswein. So würde auch Amazon zunehmend in die analoge Welt eintauchen: etwa im Logistikbereich mit einer Flugzeugflotte oder Hafenlizenzen.

9. Experience-Modell „Mit diesem Modell verkaufen Unternehmen ihren Kund*innen ein Erlebnis, eine positive Erfahrung“, sagt Martin Giesswein. Beispiele dafür sind Tesla, Apple oder Red Bull, deren Produkte stark mit einem bestimmten Lifestyle verbunden werden. Die Margen sind in solchen Fällen lukrativ: So hat das iPhone zwar nach Stückzahlen weltweit nur einen Marktanteil von 20 Prozent, macht aber 80 Prozent des Branchenprofits.

10. Affiliate-/Pyramiden-/Influencer-Modell Um digitale Güter an die Endkund*innen zu bringen, helfen netzwerkstarke Partner oder Influencer, die mit Affiliate-Links ihre Kundschaft weiterlotsen. Im realen Leben setzt Microsoft etwa mit seinem pyramidenartigen Modell auf Tausende zertifizierte Partner, die Microsoft-Produkte verkaufen oder lizenzieren. So kann Microsoft direkte Lohnkosten einsparen und trotzdem fast jedes Unternehmen im Land als Kund*in haben.

„Je mehr Geschäftsmodelle wir in einem Unternehmen miteinander kombinieren, desto erfolgreicher wird das ­Unternehmen sein“, sagt der Digitalisierungsexperte abschließend.

WU Executive Academy

In seinem „Digital Game Changer“-Workshop an der WU Executive Academy gibt Giesswein sein Wissen an Führungskräfte traditioneller Unternehmen weiter, um sie für die gegenwärtige Wirtschaft vorzubereiten.