Nacht des Scheiterns



Sein ehemaliger Geschäftspartner sitzt bis heute im Gefängnis. Sein Unternehmen wurde in den Sand gesetzt, und er musste Hausdurchsuchungen und juristische Verfahren über sich ergehen lassen. Geredet hat er darüber seit neun Jahren mit niemandem, Interviews dazu hat er strikt abgelehnt. Heute steht er mit Mikrofon mitten auf einer Bühne im Ruby Lissi Hotel in Wien, im Publikum richten sich die Augen von über 150 Menschen auf ihn. Hinter ihm wird ein großes Bild auf die Wand projiziert: Es zeigt ein Flugzeug im Sturzflug – Sinnbild für die Situation, in der sich Peter Kraus vor Jahren mit seiner in Aussicht gestellten Beteiligung im Telekom-Business befunden hat. „Ich habe blauäugig einem betrügerischen Investor vertraut und ihn nicht ausreichend geprüft, bevor ich mich auf ihn eingelassen habe. Deswegen bin ich gescheitert“, gesteht Kraus ein.
MISSERFOLG IST EIN TABU
Dass er auf einmal so freimütig über seine Niederlage redet, liegt an dem besonderen Rahmen der Veranstaltung. Seit rund drei Jahren veranstalten Salomé Wagner und Dejan Stojanovic die FuckUp Nights in Österreich. „Fuck up gilt als Synonym für das Scheitern in der Start-up-Szene im Silicon Valley“, erklärt Stojanovic die Namensgebung. Also ein Abend, um das Scheitern zu zelebrieren? Ganz im Gegenteil: „In Österreich wird sehr viel über Erfolg geredet. Aber davon kann man nichts lernen. Scheitern ist hingegen immer noch ein Tabuthema – das wollen wir mit dieser Veranstaltungsreihe aufbrechen. Misserfolg ist immer Teil des Erfolgs“, so Stojanovic.
Erfunden wurde die FuckUp Night von fünf Freunden in Mexiko, die selbst alle mit ihrem Unternehmen gescheitert sind. 2012 veranstalteten sie die erste „Nacht des Scheiterns“. Mittlerweile wurde die Veranstaltung in mehr als 80 Länder exportiert. „Wenn man über das unternehmerische Versagen spricht, kann man auch etwas davon lernen“, ist Stojanovic überzeugt.
KONTRÄRE PARTNER SUCHEN
Heute ist Kraus seit bereits sechs Jahren erfolgreicher Personalberater und Finanzmanager. Und hat von seinem damaligen Fehler sogar profitiert. „Ich habe ein besseres Gespür für Menschen entwickelt“, erklärt Kraus. Künftig würde er sich nur auf Partner einlassen, deren Background er von einem Anwalt seines Vertrauens vorher durchleuchten hat lassen. Mit seinem Fehlgriff steht Kraus aber bei Weitem nicht alleine da. „Der häufigste Grund für das Scheitern liegt im zwischenmenschlichen Bereich“, weiß Stojanovic. Das bedeutet, man setzt auf den falschen Partner oder das falsche Team. „Ein schlechtes Team kann auch die beste Idee gegen die Wand fahren“, so Stojanovic. Kraus rät dazu, sich einen Geschäftspartner mit konträren Kompetenzen zu suchen. Und Stojanovic ergänzt: „Erfolgreiche Startups, die sich mit technischen Innovationen beschäftigen, kombinieren meist einen Techniker mit einem Kaufmann.“
„ÜBER FEHLER REDEN BEFREIT“
Ein Tipp, der möglicherweise auch Nicola Werdenigg vor ihrem Scheitern bewahren hätte können. Die ehemalige Skirennläuferin hat 2004 begonnen, individuelle Skidesigns und -modelle anzubieten, die sich der Kunde selbst gestalten kann. Eine für die damalige Zeit nahezu revolutionäre Idee. Umgesetzt hat Werdenigg diese zusammen mit ihrem Ehemann. Hinsichtlich der Vertrauensbasis sicher ein idealer Geschäftspartner. Der Haken dabei: „Ein Blick von außen wäre absolut notwendig gewesen, wir hätten uns einen unabhängigen Beraterkreis suchen müssen, der die Risiken des Unternehmens Schritt für Schritt prüft. Eine Risikoabwägung wie ich selbst sie immer mache, wenn ich am Berg bei einer Skitour unterwegs bin“, meint die Unternehmerin. Nicht der einzige Fehler, wie Werdenigg heute weiß. Die 2007 gestartete Mass Customization musste mangels Investoren mit viel Privatvermögen finanziert werden, das zu schnelle Wachstum des Unternehmens rächte sich mit Produktionsfehlern bei der Skianfertigung oder falschen Managemententscheidungen. „Ich wollte den Ski für jedermann erschwinglich machen und war damit aber zu billig. In einem höheren Preissegment wäre ich mit dem Produkt für zahlungskräftige Kundenschichten – wie damals zum Beispiel die Russen – attraktiver gewesen.“ Der folgende Konkurs im Jahr 2008 war damit vorprogrammiert. Vor Publikum ihr Scheitern einzugestehen, stört Werdenigg überhaupt nicht. „Auch beim Skisport habe ich nach Niederlagen im Interview Rede und Antwort stehen müssen. Über Fehler zu sprechen, kann befreien und tut gut. Ich gebe mein Wissen über das Scheitern gern weiter“, so die Sportlerin. Heute betreibt sie erfolgreich eine Agentur für Online-Kommunikation und zaubert als „Die Kochschwester“ kulinarische Genüsse bei Pop-up-Restaurants auf den Tisch.
„Ich kann das nicht und brauche Hilfe“, ist laut dem FuckUp-Nights-Veranstalter ein Satz, der viel zu selten ausgesprochen wird – Unerfahrenheit ist am zweiten Platz, was die Gründe für ein Scheitern betrifft. „Ob Experten, Vertrauenspersonen, Investoren oder ähnliche Start-ups: Unternehmer sollen offen auf andere zugehen und sie um Unterstützung bitten“. An dritter Stelle für das Scheitern stehen laut Stojanovic finanzielle Schwierigkeiten.
SPRUNG INS KALTE WASSER
„Eine unternehmerische Scheidung ist schlimmer als eine private.“ Rainer Fübi kann den Vergleich ziehen, er hat beides erlebt. Ohne wirtschaftlichen Background ist er 2003 „ins kalte Wasser gesprungen“ und hat ein IT-Dienstleistungsunternehmen gegründet. Ein paar Jahre später wollte sich der Unternehmer mehr auf seine Familie konzentrieren, hat 51 Prozent des Unternehmens an seinen damaligen Partner übertragen und war danach nur mehr als Consultant tätig. Eine Rückkehr ins Unternehmen nach seiner Scheidung wurde ihm jedoch verwehrt. „Ich war mit 49 Prozent Gesellschafter und konnte damit nichts mehr tun. Daher musste ich eine Abfindung akzeptieren.“ Sein größter Fehler? „Ich war zu leichtgläubig. Ohne Vertrauen in den Partner geht es nicht. Aber heute weiß ich, dass dieses Vertrauen erst verdient werden muss.“ Er bereut es nicht, eine Unternehmensgründung ein zweites Mal gewagt zu haben. „Heute habe ich ein gutes Team, auf das ich mich in jeder Situation verlassen kann.“ Allen, die vor der Überlegung stehen, selbst ein Unternehmen zu gründen, rät Fübi: „Es ist noch kein Unternehmer vom Himmel gefallen. Unternehmer sein kann man nicht lernen, man muss es einfach tun. Und so kalt ist das Wasser nicht, in das man springt.“
Autor:
Markus Mittermüller