Leadership

Motivationsverlust: Was Führungskräfte ins Aus treibt

13.08.2025

Führung wird oft an Zahlen und Ergebnissen gemessen – doch was passiert, wenn Top-Manager die innere Motivation verlieren? Leadership-Expertin Violeta Nikolic erklärt, warum das Phänomen „Quiet Quitting“ längst in den Chefetagen angekommen ist und wie Unternehmen und Führungskräfte gegensteuern können.

Motivation, Sinn und Energie sind nicht nur für Mitarbeitende entscheidend – auch Führungskräfte brauchen sie, um langfristig erfolgreich zu sein. Violeta Nikolic, Gründerin von MindShape Coaching, beobachtet in ihrer Arbeit immer häufiger, dass selbst erfahrene Top-Manager innerlich auf Abstand gehen. Im Gespräch schildert sie, welche Warnsignale ernst genommen werden müssen, welche Rolle Unternehmenskultur spielt und welche Kompetenzen künftig über erfolgreiche Führung entscheiden.

Die Wirtschaft: In Ihrer Arbeit mit Führungskräften – wie oft begegnet Ihnen das Phänomen, dass Top-Manager innerlich kündigen, und woran erkennen Sie das?
Ich erlebe es deutlich häufiger, als viele vermuten. Und oft beginnt es leise. Wie ein feiner Haarriss in einer Glasfront, der nur sichtbar wird, wenn das Licht im richtigen Winkel einfällt. Nach außen läuft alles. Präsentationen sind perfekt vorbereitet, Kennzahlen stimmen, Deadlines werden eingehalten. Doch unter der Oberfläche hat sich etwas verschoben.
Als Coach erkenne ich diese Momente an subtilen Veränderungen. Entscheidungen werden defensiver, Risiken gemieden, und selbst starke Persönlichkeiten wirken plötzlich farbloser, wenn sie von Zukunftsplänen sprechen. Die Strahlkraft ihrer Vision nimmt ab, das Feuer in den Augen flackert nur noch schwach. Netzwerken reduziert sich auf das Nötigste, und in manchen Gesprächen schwingt schon die gedankliche Suche nach Alternativen mit, auch wenn offiziell noch alles „im grünen Bereich“ scheint.

Welche Warnsignale gibt es noch?
Körperliche und emotionale Signale, die Führungskräfte selbst zunächst nicht ernst nehmen, wie z. B. eine bleierne, fast lähmende Müdigkeit, eine unterschwellig brodelnde Gereiztheit, Schlaf, der kaum noch erholsam ist. Manche beschreiben es, als würden sie auf Autopilot laufen, funktional, aber innerlich längst abgekoppelt. Diese feinen, oft unscheinbaren Hinweise sind für mich als Coach die wahren Frühwarnsysteme. Sie zeigen, dass nicht der Wille zur Leistung fehlt, sondern der innere Sinnanker sich gelöst hat. Früh erkannt, kann man den inneren Kompass neu ausrichten, zu spät, und er zeigt nur noch ins Leere.

Welche zentralen Faktoren führen Ihrer Erfahrung nach dazu, dass hochrangige Führungskräfte Motivation und Leidenschaft verlieren?
Motivation stirbt nicht an Arbeit, sondern an Arbeit ohne Bedeutung. Selbst enorme Belastung kann eine Führungskraft tragen, solange klar ist, wofür sie steht und wohin sie führt. Fehlt dieser Sinn, beginnt die Energie zu versiegen. Es entsteht eine Kluft, wenn Entscheidungen nicht mehr im Einklang mit den eigenen Werten stehen oder wenn politische Spiele und Machtinteressen das Feld bestimmen. So habe ich Führungskräfte gesehen, die unter hohem Druck gearbeitet und dabei vor Energie geleuchtet haben, weil sie wussten, wofür sie es tun. Und ich habe andere erlebt, die unter weniger Belastung ausgebrannt sind, weil der Sinn verloren ging.
Anerkennung ist auf allen Ebenen ein entscheidender Faktor. Wenn Leistungen als selbstverständlich gelten und kein echtes Feedback erfolgt, bleibt irgendwann nur das Pflichtgefühl. Wenn dann auch noch Stillstand eintritt, d.h. keine Entwicklung, keine neuen Lernfelder, wird aus Engagement mechanisches Abarbeiten. Hinzu kommt die Einsamkeit an der Spitze. Ohne Gesprächspartner, die wirklich verstehen und einordnen können, wächst die Distanz zum eigenen Tun.

Inwiefern trägt die Unternehmenskultur dazu bei, dass Führungskräfte entweder resilient bleiben oder in einen Zustand der inneren Distanz geraten?
Kultur ist das Klima, in dem Menschen atmen. Und man spürt sofort, ob dieses Klima nährt oder lähmt. Eine förderliche Kultur schafft psychologische Sicherheit, lebt ihre Werte konsequent und bietet Raum für Entwicklung und Autonomie. Fehler gelten als Lernchancen (und nicht als Karrierekiller), Leistung und Regeneration stehen im Gleichgewicht.
Eine Kultur, die hingegen von Angst, Intransparenz und starren Hierarchien geprägt ist, entzieht Kraft. Besonders zerstörerisch ist es, wenn die Werte eines Unternehmens nur auf der Webseite oder in Firmenbroschüren existieren, im Alltag aber mit Füssen getreten werden. Das ist kein Betriebsunfall, sondern Verrat am eigenen (Werte-)Fundament. So werden moralische Spannungen erzeugt, die auf Dauer jede Motivation erodieren lassen.

Welche konkreten Schritte können Unternehmen ergreifen, um die emotionale Erschöpfung ihrer Führungsteams frühzeitig zu erkennen und gegenzusteuern?
Früh reagieren, bevor Menschen innerlich verschwinden. Dazu gehören Gespräche, die nicht (nur) der Leistungskontrolle dienen, sondern dem ehrlichen Interesse am Menschen. Anonyme Stimmungsbarometer sind wertvoll, aber nur, wenn die Ergebnisse ernst genommen und in konkrete Handlungen übersetzt werden. Führungskräfte sollten darin geschult werden, Anzeichen von Überlastung sowohl bei anderen als auch bei sich selbst zu erkennen. Externe Coaches bieten geschützte Räume, in denen Themen angesprochen werden können, die intern oft unausgesprochen bleiben. Unternehmen müssen zudem den Mut haben, Arbeitslasten realistisch zu gestalten, Projekte zu beenden, wenn sie keinen Wert mehr schaffen, und Erholung fest in die Leistungskultur zu integrieren. Prävention bedeutet hier nicht Kostenersparnis, sondern das Bewahren von Leistungsfähigkeit, Menschlichkeit und Vertrauen.

Welche Methoden oder Routinen empfehlen Sie Führungskräften persönlich, um ihre eigene Energie und Motivation langfristig zu erhalten?
Energie und Motivation sind wie zwei Flammen, die nicht von allein brennen. Sie müssen genährt werden. Der erste Schritt ist Selbstführung im ganz praktischen Sinn. Regelmäßig innehalten, den inneren Kurs prüfen und entscheiden, worauf die eigene Kraft fließt und worauf nicht. Ohne diese Klarheit versickert Energie im Kleinen, bevor sie im Großen wirken kann.
Regeneration ist dabei nicht verhandelbar. Ein gesunder Körper ist kein Luxus, sondern die Basis: nährstoffreiche Ernährung, ausreichend Bewegung und erholsamer Schlaf. Dazu kommen bewusste Pausen, auch geistige. Das heißt, digitale Grenzen setzen, das Handy weglegen, raus aus der Dauerbeschallung, um dem Geist Raum zum Auftanken zu geben.
Motivation lebt von Sinn und Inspiration. Wer sein persönliches Warum kennt und es regelmäßig ins Bewusstsein holt, schafft sich eine innere Tankstelle, die auch in stürmischen Phasen zuverlässig Kraft liefert. Inspirierende Netzwerke und der Austausch mit Menschen außerhalb des eigenen Arbeitsumfeldes halten den Blick weit und bringen frische Ideen. Kontinuierliches Lernen sorgt dafür, dass Neugier und geistige Beweglichkeit nicht verloren gehen. Beide sind starke Treiber für Motivation.
Und ganz wichtig ist es, Erfolge zu feiern, auch die kleinen. Denn nichts verstärkt Motivation so sehr wie das bewusste Wahrnehmen von Fortschritt. Wer diese Routinen in seinen Alltag integriert, schützt seine Energie und hält seine Motivation nicht nur am Leben, sondern lässt sie wachsen.

Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Rolle der Führungskraft in den nächsten fünf Jahren verändern?
Die Führungskraft der Zukunft ist für mich nicht mehr der Kapitän, der stur am Ruder steht und nur Befehle gibt. Sie ist eher ein Navigator eines Schiffes, der Wind, Wetter und Crew im Blick hat. Wer nur Kommandos ruft, wird eines Tages allein auf dem Deck stehen. Wer aber die Segel richtig setzt, den Kurs erklärt und die Mannschaft einlädt, mitzusteuern, wird auch in stürmischen Zeiten gemeinsam ankommen, ohne dass jemand leise von Bord geht.
In den nächsten fünf Jahren werden wir eine deutliche Verschiebung sehen. Weg vom klassischen Entscheider hin zum Sinnstifter, Enabler und Energiearchitekten. Es reicht nicht mehr, Anweisungen zu geben und Ergebnisse einzufordern. Erfolgreiche Führung bedeutet, ein Umfeld zu schaffen, in dem Menschen von sich aus ihr Bestes geben wollen. Das erfordert ganz neue Kernkompetenzen. Vertrauen über Distanz aufzubauen und hybride Teams zu führen, wird genauso wichtig sein, wie technologische Entwicklungen zu verstehen und gezielt zu nutzen. Wir bewegen uns in einer Welt voller Unsicherheit und schnellem Wandel, und da braucht es mehr als Fachwissen. Empathie, aktives Zuhören und emotionale Intelligenz sind Grundausstattung. Wer merkt, wenn die Motivation kippt und früh gegensteuert, hat die Nase vorn.

Welche Kompetenzen sind entscheidend, um „Quiet Quitting“ vorzubeugen?
Resilienz, Konfliktlösungskompetenz und systemisches Denken sind keine „Zusatzqualifikationen“ mehr, sondern Überlebenswerkzeuge. Kulturelle Intelligenz wird entscheidend sein, um diverse und generationsübergreifende Teams zu führen. Digitale Kompetenz wird darüber bestimmen, ob Technologie ein Hebel oder ein Hindernis ist. Change-Kompetenz unterscheidet jene, die Wandel nur ertragen, von denen, die ihn aktiv gestalten, und kreative Problemlösungsfähigkeit öffnet den Weg aus eingefahrenen Denkmustern hin zu neuen Perspektiven.
Dazu kommt, dass Führungskräfte ein hohes Maß an Selbstführung und Energiemanagement benötigen. Wer nicht weiß, wie er sich selbst ausrichtet und regeneriert, kann andere nicht langfristig adäquat führen. Ein Coaching-Mindset hilft, Mitarbeitende nicht nur zu steuern, sondern sie in ihrem Wachstum zu begleiten. Netzwerkkompetenz sorgt dafür, dass ein belastbares Beziehungsnetz geknüpft werden kann, das im entscheidenden Moment trägt, sei es für Wissen, Rat oder tatkräftige Unterstützung.
Und eines darf man nicht vergessen …. Visionen, die im Leitbild verstauben, bewirken gar nichts. Sie müssen erlebbar sein. Wer glaubt, mit Kontrolle und Prozessen Menschen binden zu können, wird in ein paar Jahren vor leeren Stühlen stehen. Wer hingegen Verantwortung teilt, eine klare Vision lebendig macht und den Menschen ins Zentrum stellt, baut eine Kultur, in der Motivation und Leidenschaft organisch wachsen und in der Menschen bleiben, weil sie wollen, nicht weil sie müssen.


Zur Person

Violeta Nikolic ©Mindshape
Violeta Nikolic ©Mindshape

Violeta Nikolic ist Gründerin von MindShape Coaching und Expertin für Leadership-Entwicklung. Sie begleitet Führungskräfte und Teams dabei, ihre innere Motivation zu stärken, Resilienz aufzubauen und in komplexen Unternehmensumfeldern erfolgreich zu agieren. Ihre Arbeit verbindet psychologische Expertise, praxisorientierte Coaching-Methoden und ein tiefes Verständnis für die Herausforderungen moderner Führung.

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