Gegen den Einheitsbrei

Start-up
11.04.2019

 
Die Übermacht der Lebensmittelkonzerne beginnt zu bröckeln. Das nutzen findige Start-ups, die auf aktuelle Ernährungstrends setzen. Mit Erfolg.

Entscheiden wir eigentlich selbst, was wir essen? Ein Blick auf die hohe Konzentration unter den Lebensmittelkonzernen gibt eine eindeutige Antwort. Die 50 größten Konzerne erwirtschaften 50 Prozent des weltweiten Umsatzes in der Lebensmittelbranche. Bei einzelnen Produkten – wie beim Teehandel – ist diese Konzentration noch einmal um einiges höher. Hier kontrollieren der britisch-niederländische Unilever-Konzern Chart zusammen mit dem indischen Unternehmen Tata sowie Associated British Foods rund 80 Prozent des globalen Teehandels. Das zeigt der „Konzernatlas 2017“, erstellt unter anderem von der Heinrich-Böll-Stiftung, klar auf. Eine Fusionswelle, die laut dieser Datensammlung seit 2010 unter den Lebensmittelkonzernen um sich greift, verstärkt den Trend, dass Konsumenten unter immer weniger Herstellern auswählen können.

Revolution der Babynahrung

„Der Markt ist unter der Kontrolle der großen, alteingesessenen Firmen. Die Branche ist schwierig für Start-ups. Disruption ist beispielsweise im technischen Bereich viel einfacher möglich“, bestätigt ­Sebastian Haupt. Dennoch hat der Wiener, gemeinsam mit seinen Mitgründern Hannah Schmitz und Johannes Papp, den Sprung gewagt und mit dem Start-up Tummy Love laut eigenen Angaben die „Babynahrung revolutioniert“. Den Grund dafür, dass trotz Marktkonzentrationen immer mehr junge Unternehmen nachrücken, erklärt sich Walter Scherb junior so: „Erstmals seit 40 Jahren verlieren die großen internationalen Firmen Marktanteile. Davon profitieren kleinere, agilere Unternehmen, die das Vertrauen der Konsumenten zurückgewinnen können.“ Diesen Trend will der Miteigentümer des Lebensmittelproduzenten Spitz nutzen. Seit Beginn des Jahres sucht er mit seiner Neugründung Square One Foods gemeinsam mit Andre Schneider und Michael Goblirsch neue Ideen für Lebensmittel. „Die Branche ist im Umbruch. Die Leute wollen wissen, was im Produkt wirklich drin ist, und sie wollen dem Unternehmen vertrauen können“, bestätigt Goblirsch.

Spitz-Erbe setzt auf Start-ups

Viele Handelsketten reagieren darauf und nehmen vermehrt regionale und innovative Produkte in ihre Regale auf. Hier sehen die Jungunternehmer ihre Chance. „Wir sind kein Venture-Fonds und haben keine externen Investoren. Wir streben mit den Start-ups eine Partnerschaft auf Augenhöhe an“, erklärt Scherb. Die weiteren Eckpunkte: Mit 15 bis 25 Prozent beteiligt sich das Trio an den neuen Unternehmen, die bis zu 500.000 Euro Umsatz pro Jahr machen. Fixe Exit-Zeitpunkte gebe es laut Schneider nicht: „Wir richten uns auch nach den Zielen der Gründer und wollen zwischen fünf und zehn Jahren dabeibleiben.“ Erstmals fündig wurde Square One Foods in Hamburg. Seicha nennt sich das Unternehmen, das Matchatee aus Japan zu einer grünen Limonade verarbeitet. Auch das zweite Investment ist international ausgerichtet. Es handelt sich dabei um den englischen Low Carb-Nussriegel-Produzenten Adonis Smart Foods.

Geschmack ist Trumpf

Wonach die drei Unternehmer ihre potenziellen Partner auswählen, ist klar definiert. „Das Produkt muss eine Innovation sein, einen Bedarf erfüllen oder auch neue Wege im Marketing oder bei der Verpackung gehen“, sagt Schneider. Besonderes Augenmerk wird auch auf das Gründerteam gelegt. „Und das Produkt muss natürlich schmecken!“

Eine fast noch größere Rolle als der Geschmack spielt bei Tummy Love das Thema Gesundheit. „Die Fertigprodukte, die es am Markt für Babys gibt, entsprechen nicht mehr dem Trend“, ist Haupt überzeugt. Der Gründer spielt dabei vor allem auf die Konservierungsform an. Konventionelle, jahrelang haltbare Babybreie werden üblicherweise durch mehrfaches und hohes Erhitzen konserviert. „Vitamine und andere Nährstoffe werden durch die extremen Temperaturen von über 120 Grad zerstört. Hinzu kommt, dass die Produkte ihren frischen Geschmack und ihre natürliche Farbe verlieren. Anstelle von Natürlichkeit findet man in den oft viel zu süßen Breien Konzentrate, Konservierungsstoffe, Säfte und andere Zusätze“, erklärt der Geschäftsführer.

Hochdruck statt Hitze

Aus diesem Grund wendet ­Tummy Love ein neues Konservierungsverfahren mit dem Namen High Pressure Processing an. „Wir benutzen Hochdruck statt Hitze. Der hohe Druck zerstört die unliebsamen Bakterien und Keime, ohne die kostbaren Inhaltsstoffe der Zutaten in Mitleidenschaft zu ziehen“, so Haupt. Die Chancen, sich mit einer individuellen Ernährungslösung gegen den „Einheitsbrei“ am Markt zu etablieren, sind groß. Immerhin stammen laut Konzernatlas drei Viertel der in Westeuropa verpackten Babynahrung von den vier größten Herstellern, in Nordamerika sind es 88 Prozent und in den als Ozeanien bezeichneten Pazifikstaaten sogar 92 Prozent. Märkte auf anderen Kontinenten sind für das Start-up jedoch noch Zukunftsmusik. Gestartet ist der Babybrei-Produzent vor wenigen Wochen in Deutschland und Österreich, die Schweiz soll bald folgen.

Warum eine studierte Grafikdesignerin und zwei Wirtschaftsstudenten mit aussichtsreichen Karrieren in der Technologiebranche ins Lebensmittelfach wechseln, ist für Haupt leicht zu erklären: „Uns hat es gereizt, ein physisches Produkt zu entwickeln, das man schmecken und riechen kann. Es ist ein emotionales Thema und bietet noch dazu einen Mehrwert für die Gesellschaft.“

Marmelade statt Technik

Eine Konstellation, die sich bei den Start-ups durchaus häufig wiederfindet. „In den seltensten Fällen haben die Gründer einen Lebensmittel-Background. Oft sind es Kreative, Marktetingleute oder auch Investmentbanker“, weiß Schneider, der derzeit immerhin rund 50 Bewerbungen pro Monat erhält. „Etwas zu schaffen, das man auch herzeigen kann, ist wie der Trend, wieder selbst Marmelade zu kochen – ein Gegenpol zur technisierten Welt“, ergänzt Scherb.

In welche Richtung sich die Ernährungstrends entwickeln, weiß Goblirsch: „Pflanzenbasierte Ernährung nimmt weiter zu, auch eiweißreiche Ernährung ohne tierische Produkte wird stark nachgefragt.“ Die große Klammer, die über diesen Entwicklungen steht, ist laut dem Gründer ganz klar das Vertrauen, das der Kunde in das Produkt und das Unternehmen haben will und muss. Ein Trend, der bestimmt noch weiteren Start-ups in die Hände spielen wird.