Analyse Preissteigerungen

Warum uns die Great Resignation droht

Preissteigerungen
08.10.2022

Was die rasant steigenden Kosten für heimische Weltmarktführer und Mittelständler bedeuten, warum immer mehr KMU ihre Betriebe schließen werden und welche Wege aus der Inflation führen könnten, diskutieren IV-Generalsekretär Christoph Neumayer, Alfred Bernhard, CEO von Würth-Hochenburger, der Netzwerkforscher und FASresearch-Gründer Harald Katzmair sowie der Hidden-Champions-Experte Othmar Schwarz.
Preissteigerung Online-Diskussion Screen

Rohstoffknappheit, Inflation, Krieg, Corona: Eine Krise scheint die nächste zu jagen. Mehr als die Hälfte der KMU sehen, laut unserer Umfrage, ihr bestehendes Geschäftsmodell aufgrund der steigenden Rohstoffpreise bereits jetzt in Gefahr. Unter den Hidden Champions sind es ca. ein Viertel der Befragten. Wie erleben Sie die Situation?
Bernhard: Die Baubranche hat in der Pandemie eine sehr hohe Nachfrage erlebt. Die Probleme lagen eher im Bereich der Lieferketten und im Bereich der Preissteigerungen. Die Baustoffproduktion ist allerdings sehr energieintensiv, was sich nun durch die Energiepreissteigerungen sehr stark bemerkbar macht. Auch die Löhne und die Transportkosten steigen rasant. Weil es bislang eher unüblich war, Preissteigerungsklauseln zu vereinbaren, erwischt es jetzt manche Betriebe, die bestehende Verträge bei wesentlich höheren Preisen einhalten müssen. Das führt zu Ertragsverlusten. Dazu kommt noch ein weiterer Effekt auf der Nachfrageseite.

Welcher?
Bernhard: Die Preissteigerung bewirken, dass sich auch immer weniger Menschen Immobilien leisten können. Dabei haben wir schon eine relativ geringe Eigentumsquote und einen hohen Anteil von sozialen Wohnbauten. Natürlich können nicht alle Menschen subventionierte Wohnungen bekommen. Die Mieten steigen und das Heizen wird viel teurer. Die Zuschüsse zu den Heizkosten werden bereits verbraucht sein, wenn die hohen Rechnungen ankommen. Ich rechne daher damit, dass Vermieter vermehrt mit Ausfällen konfrontiert sein werden.  

Wie stellen Sie Ihr Unternehmen auf diese Gesamtsituation ein?
Bernhard: Wir versuchen die Kosten in einen optimalen Bereich zu bringen. Wir analysieren die Veränderungen und passen unsere Strukturen an. Wir glauben zum Beispiel, dass der Einbruch nächstes Jahr im Tiefbau geringer sein wird als im Hochbau. Solche Prognosen berücksichtigen wir in der Planung. Wir versuchen die Volition der Beschaffung auszugleichen. Unser Geschäftsmodell ist aber nicht gefährdet. Die ganze Situation bringt neue Anforderungen. Wir rechnen mit einem realen Rückgang im Bau zwischen drei und sechs Prozent und mit Preissteigerungen 2023 zwischen 8 und 10 Prozent. Wir glauben nicht, dass die Preise bald wieder signifikant fallen werden. Sie werden eher steigen. Sie würden nur fallen, wenn die EU massiv mit einem Gaspreisdeckel eingreift. An den Steigerungen bei Löhnen und Logistikkosten würde das aber auch nichts ändern.
Neumayer: Die Energiepreise sind aktuell das zentrale Thema, das bei vielen Betrieben sichtbar wird. Sie fragen sich: Wann kommt Unterstützung und wann kommt die Rechnung? Die Energiepreise werden jetzt vor allem in weiten Bereichen der Produktion zu einem ganz virulenten Thema. Warum? Weil viele langfristige Verträge abreifen. Es gibt viele Betriebe, die sich sehr professionell damit auseinandersetzen, oft größere und Hidden Champions.  Dennoch trifft der Preisanstieg die gesamte Breite der Industrie und Wirtschaft mit voller Wucht und das ist ein europäisches Problem, denn der Gaspreis ist in Europa sieben Mal höher als in den USA. Ohne Abfederungsmaßnahmen geht damit tagtäglich Wettbewerbsfähigkeit verloren. Wir brauchen also dringend Dämpfungsmaßnahmen.

Der Energiekostenzuschuss für Unternehmen wurde gerade Beschlossen. Reicht er aus?
Neumayer:
Nein, denn er beinhaltet leider einige Hürden, die viele Betriebe nicht nehmen können. Wir gehen davon aus, dass er eine Linderung verschafft, allerdings eben nur für manche Unternehmen. Wir werden also noch mehr Maßnahmen brauchen.

Wir erleben ­etwas, das sich als
Great Resignation bezeichnen lässt.

Harald Katzmair, FASresearch

Harald Katzmair, FASresearch
Harald Katzmair, FASresearch

Woran denken Sie?
Neumayer: Wir brauchen in Europa rasch eine Entkoppelung von Strom- und Gaspreis und eine Deckelung. Dafür empfehlen wir das Iberische Modell. Es sieht vor, Gas- oder Kohlekraftwerk die Strom produzieren und damit im Merit-Order-System den Preis definieren, zu subventionieren. Auf diese Weise könnte man den Preis rasch senken. Andernfalls werden wir Produktionsdrossellungen und Kurzarbeit sehen. Es liegen bereits Anträge von Unternehmen vor. Und es werden noch viele kommen. Wenn wir nicht rasch handeln, werden wir auch Marktaustritte sehen. Nicht bei den Leitbetrieben, sondern bei den Mittelständlern. Diese Entwicklung könnte und wird aber sehr stark in die Gesamtwirtschaft ausstrahlen.
Katzmair: Wir haben es mit zwei Welten zu tun: Es gibt auf der einen Seite Hidden Champions, die gewohnt sind, sehr agil zu agieren, sie sind hoch adaptiv, sie investieren und reagieren gerade in Krisen proaktiv. Das entspricht ihrer Kultur. Auf der anderen Seite stehen die kleineren Betriebe. Und da sehen wir ein düsteres Bild.  Wir wissen, dass die Margen in diesen Bereichen oft bei 3-5 Prozent liegen. Wenn Energiekostensteigerungen von mehreren hundert Prozent stattfinden und auch noch Fachkräfte fehlen, ist das extrem demotivierend. Wir erleben etwas, das sich als Great Resignation bezeichnen lässt. Das betrifft weniger die Arbeitnehmer. Sondern vor allem die Mittelständler. Viele werden ihre Firmen zusperren. Wenn Betriebe keine Leute und keine Rohstoffe bekommen, dann machen sie irgendwann zu. Ich befürchte, dass der Abstand zwischen den agilen und großen Betrieben, die sich mitentwickeln können und jenen, die keine Möglichkeit haben mitzugehen, immer stärker auseinanderklaffen wird.
Schwarz: Die Fakten liegen auf dem Tisch: Lieferengpässe, Preissteigerungen und hohe Energiepreise sind eine echte Belastungsprobe. Natürlich haben große Betriebe mehr Verhandlungsmacht und können Preise leichter weitergeben und rascher investieren. Hidden Champions können durch ihren globalen Fokus auch auf andere regionale Märkte ausweichen. Dafür muss man aber den entsprechenden Mindset mitbringen. Die meisten Hidden Champions tun das. Sie sehen Veränderung als Chance und versuchen daran zu wachsen. Was ich besorgniserregend finde ist, dass die Hälfte der KMU sagt, dass sie in den nächsten 6-12 Monaten keine Änderungen geplant haben. Man kann jetzt nicht einfach abwarten. Die Politik muss etwas tun, klar. Aber man muss sich auch selber helfen. Die Inflation wird uns noch länger begleiten und damit werden Preiserhöhungen nötig sein – auch bei bestehenden Verträgen. Das müssen auch KMU klar sehen.

Ich erwarte, dass die Inflation uns länger begleiten wird, vermutlich 5 bis 10 Jahre.

Othmar Schwarz, Simon Kucher & Partners

Othmar Schwarz, Simon Kucher & Partners
Othmar Schwarz, Simon Kucher & Partners

Regelmäßige Preissteigerungen (79%) und Neuverhandlung bestehender Verträge (71%) werden von den Hidden Champions laut unserer Umfrage als richtige Strategie gesehen, um steigenden Kosten entgegenzuwirken. Auch KMU setzen auf Preissteigerungen (75%) sowie Kostensenkungen, Personalabbau und Restrukturierung (45%). Lässt sich daraus eine neue Routine ableiten und wo führt sie uns hin?
Schwarz: Ich erwarte, dass die Inflation uns länger begleiten wird, vermutlich 5 bis 10 Jahre. Dazu führen Kurzfristeffekte wie die Lieferkettenprobleme, aber langfristig liegt das Problem in der zu hohen Geldmenge, die einem zu geringen Warenangebot gegenübersteht. Natürlich gibt es große Unterschiede in einzelnen Industrien und Unternehmen. Viele sind im Tunnel der Preiserhöhungen gefangen.

Die Rahmenbe­dingungen passen bei uns einfach nicht mehr

Alfred Bernard, Würth-Hochenburger

Alfred Bernard,  Würth-Hochenburger
Alfred Bernard, Würth-Hochenburger

Es gibt aber auch bereits gegenläufige Tendenzen.
Schwarz: Stimmt, das Pendel kann sich kurzfristig auch wieder in die andere Richtung bewegen. Wir werden auch Preisreduktionen von Unternehmen sehen, um Nachfragerückgang entgegenzuwirken und entsprechend Marktanteile zu halten. Es wird also insgesamt volatiler. Fakt ist, dass sich Unternehmen viel öfter mit Preisänderungen befassen müssen. Alle Jahre einmal darüber mit Kunden zu reden, wird nicht reichen.
Bernhard: Die Resignation, von der Herr Katzmair gesprochen hat, erlebe ich jeden Tag bei Kunden. Viele Unternehmer fragen sich, warum sie sich das antun sollen. Auch die Motivation der Arbeitnehmer lässt  teilweise zu wünschen übrig. Viele fragen, ob 30 Stunden nicht besser wären. Doch reden wir einmal über die Unternehmer! Warum sollen sie sich das antun? Bei uns wackelt der Schwanz mittlerweile mit dem Hund. Unternehmer, die sich jeden Tag vor den Karren spannen, sehen sich von allen Seiten mit Forderungen an Ihre Leistung konfrontiert. Das muss man einmal wieder justieren. Ca. 70% der Wirtschaftsleistung wird von den sogenannten Kleinen generiert. Wenn die wegfallen, werden die Großen noch größer. Doch Innovation und Qualität wird vielfach von den Kleinen getragen. Wir treiben damit weite Teile der Innovationswirtschaft in die USA. Die Krise verstärkt diesen Trend zusätzlich. Die Rahmenbedingungen passen bei uns einfach nicht mehr und die politische Kommunikation passt auch nicht. Ich glaube nicht, dass man den Hund zum Jagen tragen muss. Wenn wir ein humanistisches und soziales System wollen, müssen wir dafür mehr arbeiten und nicht weniger. Leistung ist notwendig für Humanismus. Das hat auch mit politischer Kultur zu tun. Dafür braucht man Mut. Die Politik kann nicht immer noch höhere Beiträge von den Leistungsträgern verlangen. Bei einer Steuerquote von 50% arbeiten sie bereits die halbe Zeit für andere. Wenn sich immer mehr Menschen aus dem System herausnehmen, kippt es irgendwann und das gilt auch für die Firmen.
Katzmair: Wie stehen vor einer Herausforderung rund um den Mindset der Menschen und um die politische Kultur. Der Eindruck, dass wir als gesamte Gesellschaft Ambitionen haben, wird nicht mehr glaubhaft vermittelt. Dass wir als Gesellschaft etwas erreichen wollen. Denn klar ist, dass der Weg zum Erfolg immer steinig ist. Das Bild, das zum Thema Arbeit vermittelt wird, widerspricht dieser Tatsache aber immer öfter. Wir haben eine Studie zum Thema Bürocampus der Zukunft gemacht und uns die verschiedenen Konzepte angesehen. Das Ergebnis war erstaunlich: Man hat immer den Eindruck, es handelt sich um ein Wellnessurlaubsparadies. Mit Fitness, Sauna und Kulinarik. Ein Symbol das mit der gegenwärtigen Situation auf der Welt nicht übereinstimmt. Die harte Realität wird dieses Bild vermutlich schon bald schmerzhaft gerade rücken. Denn die kommenden Jahre werden nicht leichter.  
Neumayer: Wir erleben tatsächlich ein Versagen der politischen Kommunikation. Seit mehr als zwei Jahren. Man sollte in Krisen klar kommunizieren, wo Herausforderungen sind, welche Ziele und welche Werte wir verfolgen. Krisen sind Zeiten der Chancen, um Gestaltungsverantwortung zu übernehmen. Das findet nicht bzw. unzureichend statt. Das ist unser Kritikpunkt an der nationalen Politik. Wie vermittle ich Wertschätzung für die, die jeden Tag aufstehen und den Wohlstand schaffen, den wir verteilen? Jeder will die Vorteile genießen, aber niemand mehr dazu beitragen. Ein Spitzensteuersatz von 55 % ist dafür ein Symbol. Ein zweiter Punkt: Wer arbeiten will, darf nicht bestraft werden. Wir haben ein Steuersystem, das Teilzeit favorisiert. Wer in Vollzeit geht, wird nicht bonifiziert. Da müssen wir nachschärfen. Auch bei jenen, die länger arbeiten wollen als sie müssten. In der Pension zu arbeiten ist aber abgabenseitig unattraktiv. Wir müssen wieder vermitteln wofür wir stehen. Und diese Erkenntnis muss in Rahmenbedingungen münden.
Schwarz: Viele qualifizierte Jobsuchende haben heute fünf Angebote. Zusätzlich wird teilweise ein extrem romantisches Bild der Arbeitswelt vermittelt. Zum Beispiel in der Startup Szene: Man tut Gutes, hat überschaubare Arbeit und ist sein eigener Chef. Doch das Gegenteil ist der Fall. Jeder, der selbstständig ist weiß, dass es das nicht gibt. Doch die Großwetterlage ist nicht so rosig, wie sie gesehen wird. Das Überangebot wird nicht mehr lange da sein. Man wird wieder motiviert sein müssen, damit man einen Arbeitsplatz bekommt.

Stichwort Großwetterlage: Während Hidden Champions die Business-Wetterlage dieses Jahr noch mehrheitlich als Heiter bis Wolkig (50%) bewertet haben, wird das nächste Jahr von KMU und Hidden Champions laut unserer Umfrage deutlich düsterer prognostiziert. Womit rechnen Sie?
Neumayer: Bei den Marktumfragen, die wir vierteljährlich erstellen, sehen wir, dass es enorme Disparitäten gibt, zwischen der aktuellen Auftragslage und dem Blick in die Zukunft. Die Inflation wird uns nicht verlassen. Aber 50% davon kommt aus dem Energiebereich. Das Problem müssen wir in den Griff bekommen. Ich sehe auch die Gefahr einer Lohn-Preisspirale, wenn die Lohn-Abschlüsse zu hoch ausfallen. Wenn wir die Energiepreise dämpfen und diversifizieren, sehe ich noch eine herausfordernde Situation für die Volkswirtschaft in den nächsten 3-4 Quartalen. Aber ich gehe davon aus, dass wir das Energiethema in den Griff kriegen. Es wird sich eipendeln und dann kann man daran arbeiten, in den nächsten Jahren aus der Talsohle wieder herauszukommen. Es gibt schließlich auch Entwicklungen, die mich zuversichtlich stimmen.

Wir brauchen in Europa rasch eine Entkoppelung von Strom- und Gaspreis.

Christoph Neumayer, Industriellenvereinigung

Christoph Neumayer, Industriellenvereinigung
Christoph Neumayer, Industriellenvereinigung

Welche sind das?
Neumayer: Die Abschaffung der kalten Progression wird bei den Menschen spürbar ankommen. Auch die Reduktion der Lohnnebenkosten ist positiv zu bewerten. Der Konsumentenmarkt bleibt dadurch womöglich stabil. In den nächsten Jahren kommen wir also vielleicht wieder aus dem Krisenmodus heraus.
Bernhard: Wir werden relativ zeitnah eine Lösung im Energiesektor bekommen. Das wird ein politischer Eingriff und mittelfristig wird dann das Angebot steigen. Die Inflation sehe ich mehrjährig bei 5 %. Ich glaube auch, dass sich die Kapitalkosten auf einem höheren Niveau stabilisieren werden. Wir werden auch eine höhere Staatsquote sehen. Das hat auch Einfluss auf die Leistungsbereitschaft der Menschen. Für die Unternehmen sehe ich die Zukunft herausfordernd, aber auch mit Chancen gespickt.  
Katzmair: Ich glaube, es kommt zu einer noch stärkeren Differenzierung von Leadership, Mindset und Kulturen, die der Welt gerecht werden müssen. Es wird jene geben, die fähig sind, die Komplexität zu meistern, und Führungsstile, die es nicht können. Da geht die Schere auf. Wer bereits erfolgreich ist, wird noch erfolgreicher. Die sich vorher schwer getan haben, werden noch stärker zurückfallen - auch gesellschaftlich. Das hat politischen Sprengstoff.   
Schwarz: Ich unterstreiche die Disparität. Sie wird enorm sein. Es gibt Unternehmen, deren Auftragsbücher für 2023 bereits prall gefüllt sind. Andere haben nichts. Auf welcher Seite man steht, wird stark von der Kultur abhängen, aber auch von den Prozessen. Wer mit der Volatilität von Nachfrage und Preisen gut umgehen kann, wird sich wesentlich leichter tun.