Kanonen für den Kaiser

08.10.2014

Firmengeschichte: Škoda kennt heute jeder als Autobauer. Vor 100 Jahren war die böhmische Firma allerdings noch eine der bedeutendsten Waffenschmieden der k. u. k. Monarchie.

„Wir verlassen uns ganz auf unsere Stärke – durch Gottes und unsere Škoda-Werke“, heißt es in Karl Kraus’ „Die letzten Tage der Menschheit“. Doch damit war keineswegs der Autoproduzent gemeint, sondern vielmehr ein mittelständischer Betrieb mit Sitz im tschechischen Pilsen. Vor hundert Jahren produzierte Škoda nämlich Lafetten, Untergestelle für Kanonen, Geschützrohre und komplette Kanonen. Das Unternehmen wuchs in dieser Zeit zu einem der größten Rüstungsproduzenten der Donaumonarchie heran. Zentral für den Aufstieg war Emil Ritter von Škoda. Der Pilsner, Jahrgang 1839, zählte zur deutschen Minderheit in Böhmen und stammte aus einer vermögenden Arztfamilie mit besten Kontakten in die Residenzstadt Wien.

Begonnen hat alles im Jahr 1869. Damals kaufte der damals 30-jährige Emil Ritter von Škoda um 167.600 Kronen von Graf Waldstein-Wartenberg jene Maschinenfabrik, die im Ersten Weltkrieg eine bedeutende Rolle in der Rüstungsindustrie einnehmen sollte. In den Anfangsjahren stattete der Pilsner Betrieb noch Brauereien sowie Chemiefabriken aus, fertigte Förderanlagen für den Bergbau und galt als weltweiter Spezialität für die Ausstattung von Zuckerfabriken. Mitte der 1880er-Jahre entschloss sich der Firmenchef schließlich, ins Rüstungsgeschäft einzusteigen. Für eine Waffenfabrik nach Škodas Vorstellungen war das bisherige Betriebsgelände aber zu klein. Der Unternehmer kaufte deshalb vor den Toren Pilsens ein 30 Hektar großes Areal, wo er seinen Betrieb samt eigenem Rüstungswerk neu aufbaute. Škoda wurde so zum Mischkonzern. Man setzte auf den technologischen Wandel und konzentrierte sich auf die Herstellung von Stahlgeschützen, welche die Modelle aus Bronze und Gusseisen endgültig verdrängen sollten.

Steiniger Start als Waffenschmiede
Trotz des ausgezeichneten Know-hows verlief der Aufstieg zum Rüstungskonzern allerdings steinig. „Škoda hoffte auf große Heeresaufträge. Doch die k. u. k. Armee nahm nicht die erwarteten Stückzahlen ab. Die Heeresleitung bevorzugte die günstigeren Stahlbronzelegierungen, die in den eigenen Arsenalen erzeugt werden konnten“, erklärt Historiker Richard Lein, Spezialist für Wirtschafts- und Militärgeschichte der Andrássy-Universität in Budapest.

Die Beschaffungspolitik der Heeresführung führte letztlich dazu, dass die Donaumonarchie bis 1910 in einen Rüstungsrückstand gegenüber den anderen Großmächten geriet. Großbritannien gab etwa das Fünffache, das deutsche Kaiserreich immerhin noch mehr als doppelt so viel aus. Nationale Spannungen und Kompetenzstreitigkeiten erschwerten außerdem Investitionen in der k. u. k. Monarchie. Das Heer war nach dem Ausgleich mit Ungarn 1867 quasi dreigeteilt: in das gemeinsame k. u. k. Heer, in die österreichische sowie in die ungarische Landwehr. Die Erhöhung von Budgetmitteln hing oft von nationalen Zugeständnissen ab. Das änderte sich erst durch den Krisenherd am Balkan und der damit verbundenen Aufrüstung der k. u. k. Armee zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Kriegsgerät ging in den Export
Im Gegensatz zum Heer investierte die k. u. k. Marine bereits Ende des 19. Jahrhunderts verstärkt in die Aufrüstung. Škoda setzte mit seinen Stahlgeschützen auf diesen Sektor, musste sich aber gegen die ausländische Konkurrenz wie den deutschen Krupp-Konzern behaupten. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Škoda akkurat mit Aufträgen der deutschen Kriegsmarine den Durchbruch schaffte. Aufträge für die deutsche Handelsmarine, für italienische, russische und dänische Werften folgten. Ab den 1890er-Jahren bestellte auch die österreichisch-ungarische Marine verstärkt bei nationalen Lieferanten. „Die Aufträge in der Marine waren zwar prestigeträchtig, aber keineswegs kostende­ckend. Oft handelte es sich um Sonderanfertigungen“, zeigt Historiker Lein die Problematik auf.

Die Waffenproduktion blieb für den Škoda-Konzern deshalb über lange Zeit ein Verlustgeschäft, das andere Sparten ausgleichen mussten. Eine Absatzkrise in der Maschinenindustrie brachte das Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern im Jahr 1899 sogar tief in die roten Zahlen. Auf Druck der Gläubigerbanken, der böhmischen Escompte-Bank und der österreichischen Creditanstalt, wurde Škoda in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Das Unternehmen wurde stärker auf den Export ausgerichtet. Nicht zuletzt deshalb, weil dies für die Banken ein lukratives Geschäft war. Einerseits vergaben die Institute Kredite an Staaten, die ihr Militär verstärkten, andererseits verdienten sie über ihre Beteiligungen an Rüstungsbetrieben mit.

Erfolgreiches Lobbying beim Kaiser
Bis 1904 kämpfte Škoda mit der Krise. Obwohl die Rüstungssparte kaum Gewinne schrieb, setzten die Pilsner verstärkt darauf und lagerten die Maschinenproduktion in eine eigene AG aus. Um in engeren Kontakt zu den Verantwortlichen zu treten, verlegte Škoda-Generaldirektor Georg Günther die Zentrale 1904 von Pilsen nach Wien. Lobbyismus war ein gängiges Mittel. Als Kaiser Franz Joseph schließlich für ein Militärmanöver in Böhmen war, gelang es der Firmenleitung, ihn im September 1905 zu einem Werkbesuch nach Pilsen zu bewegen. Seine Majestät bekam eine wertvolle silberne Prunkkassette mit 52 eingravierten Werkaufnahmen überreicht und revanchierte sich mit Großaufträgen für die Marine.

Der Erste Weltkrieg belebte schließlich die Auftragslage: Die Heeresleitung begann in den ersten Kriegsmonaten im Herbst 1914 massenhaft Rüstungsgüter zu bestellen. Der Grund: Die Verantwortlichen erkannten, dass die Ausrüstung vielfach veraltet war. Die nationalen Rüstungsbetriebe, bisher auf den Export fokussiert, mussten fortan die Produktion auf Massenfertigung umstellen. Zu- und Neubauten wurden bei Škoda innerhalb weniger Monate aus dem Boden gestampft und erweitert. Allein 1914 wurde das Werk um eine Montagehallte, eine Aufsatzfabrik und eine Schmiede aufgestockt. Die Belegschaft stieg trotz Fachkräftemangels bis zum Jahr 1917 auf 35.000 Arbeiter an.

Škoda produzierte nun schweres Kriegsgerät wie Schnellfeuerkanonen, Haubitzen und Mörser. Zum prestigeträchtigsten Produkt sollte der 30,5-cm-Belagerungsmörser M11 werden. Das Geschütz konnte eine 380 Kilogramm schwere Granate rund 9.600 Meter weit feuern und war dank eines ausgeklügelten Zugwagensystems der Firma Austro Daimler mobiler als jedes andere schwere Geschütz.

Hergestellt musste unter dem Kriegsleistungsgesetz werden, das seit Beginn des Weltkriegs galt. Demnach waren die Škoda-Werke auf Aufträge der Heeresleitung beschränkt. Arbeiter wurden de facto Soldaten gleichgesetzt, Kündigungen verboten, und Streiks kamen einem gefährlichen Hasardspiel gleich. Doch mit Fortdauer des Kriegs ließen sich Proteste nicht mehr unterdrücken. Die Gründe lagen auf der Hand: Zu Spitzenzeiten kam ein Arbeiter auf 110 Wochenstunden. Hohe Arbeitsverpflichtung, aber auch der Nahrungsmittelmangel schürten zudem den Zorn der Arbeiter. Allein in Österreich streikten im Jänner 1918 rund 600.000 Menschen.

Tiefe Einschnitte nach dem Krieg
Das Ende des Ersten Weltkriegs führte zu tiefgreifenden Veränderungen im Škoda-Konzern. „Škoda saß nach 1918 auf einem riesigen Schuldenberg. Der Staat, den es so nicht mehr gab, hatte viele Aufträge nicht bezahlt, so Historiker Lein. Der tschechoslowakische Staat überlegte, den Betrieb zu verstaatlichen, entschied sich aber für den Verkauf an ein ausländisches Unternehmen. Karl Škoda verkaufte auf Vermittlung von Edvard Beneš seine Anteile an den französischen Großkonzern Schneider-Creusot. Dieser stellte die Škoda-Werke auf neue Beine: So wurde das Geschäft etwa durch Lokomotivbau sowie den Kauf des Flugzeugherstellers Avia erweitert. In Fusion mit dem Automobilfabrikanten Laurin & Klement entstand 1925 die größte Autoproduktion der Tschechoslowakei. Seit 1991 gehört diese Sparte zum deutschen VW-Konzern. Von Škoda ist heute vor allem der Name geblieben. Die ehemaligen Holdingtöchter gehören aber längst ausländischen Investoren. Die Škoda Transportation ist weiterhin in Pilsen beheimatet. Das Kerngeschäft des Unternehmens sind heute Niederflurstraßenbahnen, Oberleitungsbusse, U-Bahnen und Lokomotiven für die tschechische Staatsbahn. Mit dem Waffengeschäft, welches das Unternehmen einst zum Paradekonzern der Monarchie gemacht hat, hat der Name Škoda heute aber nichts mehr gemein.