Eine Frage des Bären

13.04.2014

Der kleine Wasch- und Reinigungsproduzent Fit im ostdeutschen Hirschfelde wächst rasant. Er kauft und poliert bekannte Marken auf, die bei Konzernen ins Abseits geraten sind. Was große Hersteller nervt, das kann kleine stark machen. Wenn sie es schlau angehen.

Wolfgang Groß steht in einem Raum voller Waschmaschinen. Er trägt einen dunkelblauen Anzug, über seine Krawatte zieht sich ein Muster aus Palmen, Segelschiffen und Männchen in Hängematten. Groß schiebt sich die Lesebrille in die Haare und bohrt die Nase in ein weißes Frotteehandtuch. „Kopf-, Herz- und Basisnote, wie bei einem guten Parfum“, sagt er und philosophiert über die Kraft der Düfte.

Groß (62) ist Inhaber und Geschäftsführer des kleinen Wasch- und Reinigungsmittelherstellers Fit GmbH im sächsischen Hirschfelde. Der Raum mit den zwei Dutzend Haushaltswaschmaschinen ist das Testlabor des 200-Mitarbeiter-Unternehmens. „Duft ist bei uns ganz klar Chefsache“, sagt Fit-Marketingleiter Markus Jahnke und zwinkert. „Macht ja auch Spaß“, sagt Groß und riecht am nächsten Handtuch.

Die Düfte im Frotteestoff stammen aus Plastikflaschen mit rosafarbenem, hellgrünem, gelbem und blauem Inhalt, das Etikett der Flaschen zeigt ein fröhliches Bärchen. Kuschelweich heißt die Weichspüler-Marke. Im Spätsommer 2009 kaufte Groß sie dem Konsumgüterkonzern Unilever ab. Seit der Übernahme geht bei Fit der Umsatz durch die Decke. Schon 2010 sprang er von 38 auf 58 Millionen Euro, ein Viertel davon entfiel auf die Marke mit dem Bären. 2012 verbuchte der Mittelständler einen Rekordumsatz von knapp 120 Millionen Euro – gut 40 Prozent davon spülte Kuschelweich in die Kasse.

Eine echte Erfolgsgeschichte. Allerdings knüpfte Fit mit dem neuen Produkt nicht da an, wo der Konzern aufgehört hatte. Im Gegenteil. Groß und seine Mitarbeiter polierten die berühmte Marke wieder auf, schöpften brachliegende Potenziale aus und entwickelten das Produkt in Punkten weiter, die bei Verbrauchern in Deutschland als entscheidende Kaufkriterien zählen.

Was Groß und Klein unterscheidet
Ein international agierender Hersteller dagegen will globale Marken entwickeln und führen. Dabei orientiert er sich an den Kundenwünschen in den umsatzstärksten Märkten. Mehrere Varianten einer Marke zu unterhalten, um die Verbrauchervorlieben in verschiedenen Ländern und Regionen zu bedienen, das zahlt sich aus Konzernsicht nicht aus. Zudem braucht Markenführung Weitsicht und eine langfristig angelegte Strategie, schließlich lebt eine Marke vom Vertrauen der Verbraucher. Die konzerntypische „Umsatz jetzt“-Denke steht dem jedoch im Weg.

Bei Unilever war Kuschelweich zuletzt ins Abseits geraten. Im Jahr 2000 hatte der Konzern ein Wachstumsprogramm gestartet und straffte sein Portfolio, dabei konzentrierte er sich auf die Spartenführer in Europa und auf die globalen Goldesel. Nationale Marken wie Kuschelweich, 1969 von Unilever selbst für den deutschen Markt konzipiert, brachten zu wenig ein. So begann eine Abwärtsspirale: Erst schrumpfte das Werbebudget, dann der Marktanteil, daraufhin wieder das Werbebudget. Am Ende machte die Traditionsmarke mit dem Bären nur noch mickrige viereinhalb Prozent des Weichspüler-Marktes aus.

Das Geschäft mit der Wäschepflege gilt als knallhart. Günstige Handelsmarken sind weiter auf dem Vormarsch, die Discounter rufen eine Schnäppchenschlacht nach der anderen aus, ein Großteil des Umsatzes läuft über Sonderaktionen. Das Produktmerkmal weiche Wäsche ist längst ein Muss, auch ein attraktiver Duft gilt mittlerweile als Pflicht. Besonders für Markenprodukte ein insgesamt schwieriges Umfeld.

Eine Marke mit Strahlkraft
Als Groß von Handelspartnern hörte, dass Kuschelweich zu haben sei, rief er trotzdem sofort bei Unilever an. Stimmt, hieß es dort, wollen wir verkaufen. Der Fit-Chef war elektrisiert. Allein schon der Name! Ein klares Versprechen der Produktleistung, komprimiert in einem Adjektiv. Dazu das kuschelig weiße Bärchen, wie es sich entspannt in einen Stapel flauschiger Handtücher fallen lässt. Ein Klassiker der Fernsehwerbung, kaum jemand, der beim Namen Kuschelweich nicht an den jahrzehntelang ausgestrahlten TV-Spot denkt. „Mir war klar, dass die Marke Strahlkraft besitzt“, sagt Groß. „Es gab keinen Grund, der gegen sie sprach.“ Genau die richtige Einstellung, meint Andreas Pogoda von der Hamburger Markenberatung Brandmeyer. Zwar sei das Prüfen aller Zahlen und Fakten beim Kauf einer Marke Pflicht, ein Durchleuchten der Bilanz, nicht anders als beim Kauf eines Unternehmens. „Aktueller Umsatz und Gewinn sollten aber nicht ausschlaggebend sein“, sagt Berater Pogoda. „Entscheidend ist die Kraft der Marke: Wie stark ist ihre Einzigartigkeit, wie stark ist ihr Image in den Köpfen der Kunden verankert?“

Auf die Markentreue der Verbraucher verließ sich Fit-Chef Groß schon bei seinem Start tief im Dreiländereck Deutschland-Polen-Tschechien. Der promovierte Chemiker aus Mannheim hatte lange für Konsumgüter- und Pharmakonzerne gearbeitet, erst in der Forschung, später im Marketing. Anfang der 1990er wollte er sich selbstständig machen. Und fand auf der Suche nach der passenden Firma das Fit-Werk an der Grenze zu Polen, Produktionsstätte des gleichnamigen DDR-Spülmittels. Nach der Wiedervereinigung lag der Betrieb am Boden, plattgewalzt vom Boom der Westprodukte.

Aber Fit war nicht nur das Ost-Synonym für Geschirrreiniger, es war eine Allzweckwaffe, fast schon ein Mythos. 1954 auf den Markt gekommen, seitdem benutzt zum Teller spülen, Fenster putzen, Autos waschen, Läuse bekämpfen. Dazu die henkellose Flasche, geformt wie der Rote Turm, das Wahrzeichen von Chemnitz. Ganz schön gestrig. Doch Groß sah in der alten Ostmarke Zukunftspotenzial, er setzte auf ein Revival der vertrauten Produkte. „Tradition spielt eine große Rolle“, sagt er. „Was man gewohnt ist, das möchte man bewahren, das ist bei Marken ganz genau so.“

Tatsächlich ging es für Fit im Osten schnell wieder aufwärts, nach und nach führte es auch der Handel im Westen. Damit der Hersteller wachsen konnte, war eine Marke jedoch zu wenig. Groß entschied sich für den Einstieg ins Waschmittelgeschäft, kaufte Anlagen und Maschinen, investierte in sein Labor. Eigentlich sollten Handelsmarken dazu kommen. Dann erfuhr Groß, dass sein ehemaliger Arbeitgeber Procter & Gamble kurz davor stand, die Waschmittelmarken Rei, Rei in der Tube und Sanso zu verkaufen. Auch der US-Konzern straffte zu der Zeit sein Portfolio und stieß wieder ab, was ihm vor Jahrzehnten die Tür in den deutschen Markt geöffnet hatte. Groß bekam den Zuschlag.

Seitdem streckte er immer wieder die Fühler aus, streute in der Branche, dass er sich für weitere Marken interessiere, sicherte sich den Rückhalt seiner Banken. Als die Kaufoption Kuschelweich akut wurde, war der Fit-Chef vorbereitet. Zumindest auf das Finanzielle. Denn die Aufgabenliste bei Kuschelweich war lang.

Groß begann mit dem Drehen an der Kostenschraube. Um die Wege in der Produktion kurzhalten und dem Handel einen attraktiven Preis bieten zu können, investierte er kurz nach dem Kuschelweich-Kauf in neue Maschinen, seitdem stellt er die Flaschen und Verschlüsse für seine Produkte im eigenen Werk her.
Das Design der Kuschelweich-Flasche gab Unilever nicht mit ab, denn der Hersteller nutzt es auch für seine Weichspüler in anderen europäischen Märkten. Wie ein großer Unternehmensapparat in solchen Punkten tickt, das kennt Groß aus seinem früheren Arbeitsleben. „In einem internationalen Konzern darf nicht jedes Land reinquatschen“, sagt er. Was bedeutet: Die Entscheidung über ein Produkt fällen die Manager des Marktführer-Landes. Und weil ein Konzern dezentral produziert, müssen die anderen Länder auch Neuheiten übernehmen, die sich für sie nicht rechnen, etwa eine aufwändige Flaschenoptik.

Schneller entscheiden, Kosten reduzieren
Groß dagegen bestimmt selbst, wie seine Verpackungen aussehen. Das Fit-Team stellte die Form der Kuschelweich-Flasche von geschwungen auf viereckig um. Was für die Flasche bedeutete: 40 Prozent weniger Gewicht und besser in den Transportkarton zu packen.

Für Groß ist die hohe Fertigungstiefe ein Muss, um möglichst günstig fertigen und dem Handel attraktive Preise bieten zu können. Kunden kümmert das nicht. Argumente wie Arbeitsplätze und Umweltschutz dagegen zählen für viele Verbraucher. Entsprechend zog Fit die Werbung auf. „Kuschelweich zurück in Deutschland!“, verkündeten Printanzeigen, betonten den Treibhausgas-Spareffekt der kürzeren Transportwege und den Jobfaktor der Produktion vor Ort.  

Das entscheidende Merkmal des Produktes aber sei der Duft, sagt Groß. In der Startphase durfte Fit die Kuschelweich-Parfums von Unilever nutzen. „Auf Dauer überlassen wollte der Konzern sie uns jedoch nicht“, sagt Groß, schließlich plante das Unternehmen nicht den Verkauf seiner kompletten Weichspüler-Sparte, sondern nur das Abstoßen einer lokalen Marke.

Anders als große Wettbewerber beschäftigt Fit keine eigenen Duftentwickler. Groß beauftragte Parfumhersteller mit dem Kreieren neuer Düfte. Ein Marktforschungsinstitut testete die Vorschläge: Was nicht ankam, ging zum Verbessern zurück an die Parfümeure. Einmal pro Monat trafen sich 15 Fit-Mitarbeiter plus Chef, um die Umfrage-Sieger zu bewerten. Insgesamt dauerte der Prozess länger als ein Jahr. Entsprechend hoch waren die Kosten. „Doch Duft ist ein komplexes Thema“, sagt Groß, „und sein Stellenwert bei einer Kaufentscheidung nicht hoch genug einzuschätzen.“

Was die Entscheider in einem Konzern natürlich ebenfalls wissen. Doch sie haben auch in diesem Punkt weniger Freiheiten als eine kleine Firma. Zwar verkauft ein internationaler Hersteller seine Produkte unter anderen Markennamen, was in Deutschland und Österreich Kuschelweich heißt, das heißt in England Snuggle, in Frankreich Cajoline, in Italien Coccolino. Beim Duft aber, erzählt der ehemalige Konzern-mann Groß, gelte bei den Großen der kleinste gemeinsame Nenner: „Vom Nordkap bis nach Sizilien muss man sich auf ein Parfum einigen, das alle Verbraucher akzeptieren.“

Bei vier Düften orientierte sich Fit an den Vorgänger-Versionen, zwei weitere entwickelte das Unternehmen selbst – Favoriten in den Verbraucherumfragen, die es auf dem deutschen Markt früher jedoch nicht gab. Die Neuen füllten offensichtlich eine Marktlücke, denn die blumig riechende und die vanillige Sorte verkaufen sich mit am besten. Was beweist: Auch beim Produkt selbst gelang es Fit, das Potenzial der berühmten Weichspüler-Marke auszuschöpfen.

Der Fall Fit und Kuschelweich zeige, dass national geführte Marken bei kleinen Herstellern besser aufgehoben sind als bei einem Konzern, sagt Franz-Rudolf Esch, Professor für Markenmanagement an der European Business School in Wiesbaden. „Mittelständler schaffen es, auch vernachlässigte Marken wieder zum Glänzen bringen, denn sie können mehr Hingabe und Augenmerk auf das Maßschneidern des Produktes legen als ein Großkonzern.“

Am deutlichsten wird es an der Geschichte des Kuschelbären. In der großen weiten Welt der Wasch- und Reinigungsmittel positionieren sich Produkte meist über ihre Wirkung. Waschen weißer als weiß, reinigen mit Fünffach-Fleckfaktor, besitzen höchste Fettlösekraft, spülen Wäsche so weich nie zuvor. Technisch nüchtern, ergebnisfixiert. Kuschelweich hingegen setzt nicht auf Funktion, sondern auf Emotionen. Der Bär als Werbefigur verankert die Marke in den Köpfen potenzieller Kunden, verleiht einen Muss-ich-kaufen-Effekt. Neben dem Plüschtier verblasst jedes Produktargument. „Der Bär ist der Kern der Marke“, sagt Groß. „Ein starkes Pfund, das Kuschelweich bereits mitbrachte.“

Keine Marke ohne Bär!
Unilever sah es genauso. Als die Kaufverhandlungen so gut wie durch waren, kam plötzlich der Hammer: Den Kuschelbären verkaufen wir nicht mit, erklärten die Konzernmanager, der soll weiterhin für unsere Weichspüler in den anderen europäischen Märkten werben. Fit-Chef Groß und sein Marketingmann Jahnke fielen fast von den Stühlen. Der Bär ist das Entscheidende an Kuschelweich, argumentierten sie, er ist untrennbar mit der Marke verbunden, das Produkt funktioniert doch nur über das Tier! Aber die Konzernvertreter blieben hart.

Zurück in Hirschfelde heckten Groß und Jahnke einen Plan B aus: Wenn die uns ihren Bären nicht geben wollen, dann wollen wir das Recht, uns einen eigenen Bären zu suchen. So klopfte Fit bei Werbeagenturen an. Vier Konzepte für einen Nachfolger-Bären lagen schließlich vor: Panda, Koala, Eisbär, Braunbär. Die Kunden wählten den Braunbären als Werbefigur. Mit ihm siegte der Typ, der dem Vorgängermodell am ähnlichsten ist. Vielen Käufern ist die Marke aus der eigenen Kindheit vertraut, und wenn sie selbst Eltern sind, kehren sie oft zu ihr zurück. Ein Kundenstamm, der sich halten wird, meinten Groß und sein Team. Außerdem konzentrieren sich die Wettbewerber auf andere Käuferschichten und -typen, positionieren ihre Weichspüler als Verwöhn- oder Parfumprodukt. Mit klarem Familienfokus und „Kuschelgarantie“ dagegen tritt seit jeher allein die Mittelpreis-Marke mit dem Bären auf. Ausschließlich über das Internet ließ sich diese Zielgruppe aber nicht erreichen. Fernseh-Spots sind für Fit jedoch kein Thema, viel zu teuer. Da kam Groß, Vater von zwei erwachsenen Töchtern, auf die Idee mit dem Bärensong. Sein Kalkül: Radiowerbung ist weitaus billiger und erreicht sehr schnell sehr viele Menschen. Also ließ er eine eigene Werbehymne komponieren.

„Ich bin dein kleiner Kuschelbär von Kuschelweich und riech’ so fein“, singt eine sanfte Männerstimme, jemand klimpert auf einer Gitarre. Kleine Kinder lieben es. – „Ein Bär, den jeder kuscheln mag und gerne an sich drückt.“ – Erwachsene sehen einen Bären im Handtuchstapel landen, weil sie die Marke automatisch mit der berühmten Fernsehwerbung von damals verbinden. – „Mein Duft macht Wäsche frisch und dich verrückt.“ Ist zwar der falsche Bär, an den die Verbraucher bei dem Lied denken. Aber die Gefühle passen. Und eine Marke lebt schließlich von Emotionen.

Text. Daniela Schröder