Alte Werte neu gelebt

08.03.2013

Die Schifffahrtsbranche steckt tief in der Krise, die Banken sind geizig, Investoren rar. Trotzdem gründen zwei junge Hamburger eine Reederei. Mit alten Werten und Geduld wollen sie Wachstum mit Substanz schaffen. Klingt vorgestrig? Von wegen.

Text: Daniela Schröder

Eigentlich sollte man. Eigentlich müsste man doch. Immer wieder malten sich die beiden aus, wie es wäre, wenn. Wenn sie gemeinsam etwas auf die Beine stellen würden. Ein eigenes Unternehmen hätten. Ihre eigenen Chefs wären. Mitten in der Wirtschaftskrise, als der Schifffahrtsbranche das Wasser bis zum Hals steht, fassen Lucius Bunk und Alexander Tebbe schließlich den Entschluss: Wir gründen unsere eigene Reederei.

Es ist das Frühjahr 2010, die Situation in der Frachtschifffahrt ist katastrophal. Im Sog der Krise sind die Aufträge weg- und die Preise eingebrochen. Gleichzeitig kommen weiterhin neue Containerriesen auf den Markt, in den Boomjahren hatten die Reeder optimistisch geordert. Doch nun sind die fetten Zeiten vorbei, der Branche geht es so schlecht wie nie zuvor. Bunk und Tebbe sehen es an der Situation in Singapur. Im größten Umschlaghafen der Welt warten hunderte Schiffe seit Wochen auf Fracht.

Bunk leitet zu der Zeit das Schanghai-Büro einer Hamburger ­Traditionsreederei. Er ist 31 Jahre, hat zwei kleine Kinder, nach dem VWL-, Philosophie- und Sinologiestudium kam er zur Schifffahrt. Tebbe stammt aus einer Kapitänsfamilie, er ist damals 28 und betreut die Schifffahrtssparte in einem Hamburger Emissionshaus. Der eine Projektentwickler, der andere Finanzfachmann – ein perfektes Team. Nicht zuletzt sind sie ehemalige Kollegen und Freunde, kennen einander gut und wissen, wie der andere tickt. Warum es in der Branche so schlimm aussieht und wie es anders laufen könnte, darüber haben sie schon zigmal bei einem Bier diskutiert.

Transportpartner, nicht Spekulationsobjekt
Fast drei Jahre später sitzen die beiden in einem Büro mit bester Hamburger Innenstadtadresse: „Auerbach Schifffahrt" steht neben der Messingklingel. An den hohen Altbauwänden hängen ein hölzernes Steuerrad, eine Schiffsglocke und eine Weltkarte mit drei roten Magneten, die zeigen, wo die Auerbach-Schiffe gerade unterwegs sind. Tebbe und Bunk tragen scharf geschnittene, dunkelblaue Anzüge, Bunk mit präzisem Zehntagebart, Tebbe mit sorgfältig verwuschelten Haaren. „Möglichst schnell möglichst viel Geld verdienen, dabei aber keine Verantwortung für Verluste übernehmen, das funktioniert auf Dauer nicht", sagt Tebbe. „Ein Schifffahrtsunternehmen ist kein Spekulationsobjekt", sagt Bunk. „Es muss wieder zu dem werden, was es über Jahrhunderte gewesen ist: ein Transportpartner für den weltweiten Handel mit Waren und Gütern." Wachstum auf Substanz bauen, reale Unternehmenswerte schaffen, das galt auch in der Schifffahrt viele Jahre als überholt. „Doch die Krise hat bewiesen, dass es so nicht weitergehen kann", sagt Bunk. „Mit Auerbach wollen wir an die alten Tugenden der Branche anknüpfen."

Zurück in die Zukunft
Das Geschäftskonzept der beiden Schifffahrtskaufmänner unterscheidet sich daher in wesentlichen Punkten von der Branchenusance. Die meisten Reedereien arbeiten heutzutage als reine Schiffsmanager, die Frachter sind über Anlegerfonds und Banken finanziert und werden gegen Chartergebühr an den Meistbietenden vermietet. Auerbach dagegen besitzt die Schiffe, zudem wollen die Chefs später auch die Ladung beschaffen, also Transportverträge mit den Kunden schließen. „Wir bauen die gesamte Wertschöpfungskette auf", sagt Tebbe. Denn damit steigt die Marge, zugleich macht sich die Reederei unabhängig vom Geschäftserfolg anderer Unternehmer. Dabei setzt das Auerbach-Duo auf eine Nische: Mehrzweck- und Schwergutfrachter, die alles transportieren, was nicht in genormte Schiffscontainer passt. Im Vergleich zum Konsumgütertransport per Containerriese gilt die Sparte als stabiler, denn die vielseitigen Frachtschiffe befördern Waren für langfristig geplante Projekte: Maschinen, Bauteile für Windkraftanlagen, Flugzeugtechnik, Komponenten für Fabriken und Kraftwerke. Brechen Wirtschaft und Warenhandel ein, dann fällt der Transportmarkt für Investitionsgüter nicht sofort ins Bodenlose.

Viel Lob, kein Geld
Aber zunächst einmal musste ein Schiff her. Beim Kauf des ersten Frachters erwies sich die Krise zugleich als Vorteil und als Nachteil. Einerseits waren die Preise für Schiffe niedrig wie nie, Bunk und Tebbe konnten für weniger als die Hälfte des ursprünglichen Preises zuschlagen. Andererseits ging es dennoch um gut zehn Millionen Euro, eine immense Summe für ein Start-up. Vor allem in Zeiten, in denen die großen Schiffsfinanzierer Risiken scheuen oder bereits den Ausstieg aus dem Geschäft vorbereiten. Bunk und Tebbe bekamen dies zu spüren, als sie ihr Konzept den Banken vorstellten. Zehn Gespräche, zehn Absagen. „Viele klopften uns zwar auf die Schulter und lobten den Plan", sagt Bunk. „Aber Geld wollte uns niemand geben."

Tebbe erinnert sich an einen Berater einer norddeutschen Regionalbank, vor Jahren hatten die beiden kurz Kontakt. „Erfüllt eigentlich nicht unsere Kriterien", sagt der Banker, „klingt aber überzeugend, ich bespreche es mit meinem Vorstand." Wenige Tage später klingelt Tebbes Telefon: Die Bank gibt einen Kredit von sechs Millionen Euro. Allerdings nur, wenn die Gründer vier Millionen Euro selbst auftreiben – und zwar innerhalb von vier Wochen. Mit der Kreditchance in der Hand ziehen Bunk und Tebbe durch Hamburg, sind jeden Tag zu Gesprächen verabredet und auf Veranstaltungen unterwegs, um mit potenziellen Kapitalgebern zu sprechen. Die Hamburger Schifffahrtsbranche ist geprägt von Traditionen und großen Namen wie Hapag Lloyd, mehr als 120 Reedereien haben ihren Sitz in der Hansestadt. Zwei sehr junge Männer in einem sehr traditionsreichen Gewerbe. Doch ihr Konzept und ihre Visionen überzeugen die alten Hasen: Ein gutes Dutzend alteingesessener Reeder und Kaufleute steigt bei Auerbach ein, darunter ein ehemaliger Hamburger Wirtschaftssenator.

Alte Hasen mit an Bord nehmen
Keine anonymen Anleger also, sondern erfahrene Teilhaber, denen die neue Reederei Auerbach nicht die übliche Schiffsbeteiligung, sondern den Einstieg in das gesamte Unternehmen bietet. Als Mitgesellschafter sind die Anleger in die strategischen Entscheidungen eingebunden – die Struktur einer Reederei klassischen Zuschnitts, wie sie früher üblich war. „Eure Art, modern zu sein, ist komplett altmodisch", hat ein älterer Reeder einmal zu den Auerbach-Gründern gesagt. Für die Jungunternehmer ein Riesenkompliment. Die Werte von gestern seien auch die Werte von morgen, sagt Bunk. „Wir erfinden das Rad nicht neu, wir drehen es zurück." Ruhe bewahren, nachdenken, handeln – drei hanseatische Tugenden, denen sich Auerbach verschrieben hat. Nichts für Investoren also, die auf schnellen Gewinn aus sind.

Sondern für Menschen, die ein Unternehmen mitaufbauen wollen und ihm Zeit geben, sich zu entwickeln. Was noch Jahrzehnte dauern wird, meinen die Gründer. „Ein Schifffahrtsunternehmen aufzubauen, das geht nicht in zehn Jahren, dafür braucht es eine ganze Generation", sagt Tebbe. In den ersten drei Jahren haben sie auf Insolvenzversteigerungen drei Schiffe gekauft, zweimal haben die Anteilseigner das Kapital bereits erhöht, insgesamt zwölf Millionen Euro sind es mittlerweile. Bis 2015 soll die Auerbach-Flotte auf zehn Frachter wachsen, sieben rote Magnete liegen schon in Bunks Schreibtischschublade. Im Fokus der Auerbach-Chefs steht Asien, sie setzen auf den Plan der Chinesen, zunehmend große Industriegüter für den Export zu produzieren.

In Krisenzeiten etwas Neues auf die Beine zu stellen, das ist schwierig. „Aber manchmal muss man gegen den Strom schwimmen", sagt Tebbe. „Wenn es dunkel ist, dann kommt auch wieder Licht." Eine Krise bietet zugleich eine Chance. Bunk und Tebbe nutzen sie. Ohnehin seien miese Zeiten nicht per se schlecht, findet Bunk. „Man kann erst von einem nachhaltigen Geschäftsmodell reden, wenn man die eine oder andere Krise durchstanden hat."