Managen wie die Mafia
Der ehemalige New Yorker Mafioso Louis Ferrante ist überzeugt davon, dass sich Unternehmer von der ehrenwerten Gesellschaft eine Menge abschauen können. Im Interview erklärt er, warum Mafiosi keine Rassisten sind und wie wichtig eine gute Zahlungsmoral ist.

Interview: Stephan Strzyzowski
Mr. Ferrante, Sie haben Ihre Laufbahn bei der Mafia in einem Buch aufgearbeitet, das beschreibt, wie effizient die Führungsprinzipien des organisierten Verbrechens sind. Warum haben Sie ihre kriminelle Karriere eigentlich an den Nagel gehängt?
Nach einem äußerst einträglichen Überfall wurde ich von der Polizei festgenagelt, die mithilfe der Informationen von Verrätern eine Liste von Anklagepunkten zusammenstrickte. Mir drohte eine lebenslange Gefängnisstrafe. Ich wurde aufgefordert, im Gegenzug für meine Freiheit mit den Behörden zu kooperieren und gegen andere Mafiosi auszusagen. Ich weigerte mich und wurde zu zwölfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Im Gefängnis erkannte ich, dass Kriminalität falsch war und beschloss auszusteigen.
Und das wurde einfach so akzeptiert?
Ich schwor den Mafia-Bossen, im Gefängnis zu sterben, wenn es sein müsste. Aber für den Fall, dass ich jemals entlassen würde, bat ich, aus der Mafia ausscheiden zu dürfen. Im Gegenzug für mein Schweigen und dieses Versprechen haben sie meinem Wunsch entsprochen.
Davor konnten Sie allerdings jede Menge Management-Erfahrungen in der Mafia sammeln, die Sie nun auch legalen Unternehmern ans Herz legen. Nehmen wir ein konkretes Beispiel: Ein Geschäftspartner kommt seinen Verpflichtungen immer viel zu spät oder überhaupt nicht nach. Wie sieht Ihr Tipp aus?
Nun, in der Mafia sorgt üblicherweise die Androhung von Gewalt dafür, dass die Leute ihre Rechnungen zeitgerecht bezahlen. Doch eine gute Zahlungsmoral ist grundsätzlich für beide Seiten wichtig. Ein Straßengangster, der Leute hinhält und nicht pünktlich zahlt, erwirbt sich schnell den Ruf eines Schnorrers. Als ich eingelocht wurde, hatte ich Außenstände von mehreren hunderttausend Dollar, schuldete aber meinerseits niemandem auch nur einen Cent. Ich bin davon überzeugt, dass man besser früher als später zahlt, wenn man sich sowieso vom Geld trennen muss. Denn dann wirken Sie als Star und stechen aus der Masse heraus. Ein guter Ruf spricht sich herum. Jeder wird mit Ihnen Geschäfte machen
wollen.
Ein Unternehmen ist immer nur so gut wie seine Angestellten. Welche Recruitingmethoden kann man sich denn von der ehrenwerten Gesellschaft abschauen?
Ehrgeizige Menschen, die erfolgreich sein wollen, stechen meistens aus der Masse hervor. Unternehmer müssen also immer ein wachsames Auge haben, um genau solche Personen zu entdecken und diese dann so einsetzen, dass sie dem Unternehmen den größten Vorteil bringen. Bei der Auswahl der Mitarbeiter setzen Mafiosi übrigens auch gerne auf Diversität. Sie machen ihr Geld mit irischen, schwarzen, griechischen, russischen und chinesischen Mafiosi. Nicht weil die Gesellschaft sie dazu zwingen würde – ganz offensichtlich scheren sie sich nicht um die gesellschaftliche Moral –, sondern weil es einfach clever ist. Der Mafioso Sammy Gravano hat einmal gesagt: Mafiosi sind die am wenigsten rassistischen Menschen der Welt. Sie sind einfach nur gierig. Die einzige Farbe, die ihnen etwas bedeutet, ist Grün – die Farbe des Dollars. Nationalität, Religion oder sonst was ist ihnen scheißegal. Das kann man sich ruhig zu Herzen nehmen.
Man sagt der Mafia nach, dass sie eisern nach einem festgeschriebenen Wertesystem lebt. Welche Bedeutung haben Werte, Ihrer Erfahrung nach, für den Geschäftserfolg?
Bei all ihrer brutalen Gewalttätigkeit hat die Mafia mit Sicherheit einen Sinn für Werte. Wie schräg oder unmoralisch sie auch auf Außenstehende wirken mögen, innerhalb der Organisation wird von jedem erwartet, dass er danach lebt. Im Rückblick muss ich der Mafia sogar den Verdienst an einigen meiner besseren Eigenschaften zuschreiben: Sei geradeheraus, versprich nichts, was du nicht halten kannst, sei nicht nachtragend! In der Mafia gehören diejenigen zu den besten Verdienern, die die Werte der Organisation leben. Jedes Unternehmen sollte darum einen Wertekatalog haben, und jeder Mitarbeiter sollte sich mit diesen Werten identifizieren. Dieser gemeinsame Boden wird sich im Unternehmensimage und in seinen Geschäftspraktiken widerspiegeln. Wenn die Treue zu bestimmten Werten, egal wie verdreht sie auch sein mögen, in einer kriminellen Vereinigung wie der Mafia zum Erfolg führt, wie viel mehr Erfolg werden echte Werte erst einem Unternehmen in der Welt von Recht und Gesetz bringen?
Mit Konfliktmanagement können in Unternehmen unnötige Reibungsverluste vermieden werden. Wie legt man denn in der Mafia Differenzen bei?
Das wichtigste Instrument der Mafia zur Beilegung von Auseinandersetzungen ist das Schlichtungsgespräch. Wenn zwei Männer vom selben Rang zu keinem Kompromiss kommen, wird eine Autoritätsposition – ähnlich dem mittleren Management – den Vorsitz
bei einem Schlichtungsgespräch führen. Es gilt das Gesetz, dass die Entscheidung dieses Vermittlers endgültig ist. Überraschenderweise sind die Verbrecher, die als Vermittler auftreten, in ihrem Urteil vernünftig und gerecht. Aus diesem Grund haben sich die Schlichtungsgespräche bewährt und werden hoch geschätzt. Stellen Sie sich eine Welt vor, in der sich die Menschen zusammensetzen und ihre Probleme ausdiskutieren und am selben Tag mit einer Lösung aus dem Gespräch gehen. Das ist die Welt der Mafia. Denn die Mafia weiß, dass Groll von Wachstum ablenkt und schwelende Konflikte irgendwann überkochen.