„Jetzt hier sein, jetzt leben, jetzt frei sein“

Redaktion Die Wirtschaft
17.07.2014

Bruder Raimund hat viele Irrwege beschritten, bevor er Eremit wurde und in der Stille seine negativen Seiten anzunehmen lernte.

Interview: Stephan Strzyzowski

Bevor er der Eremit am Palfen zu Saalfelden wurde, arbeitete Raimund von der Thannen als Bankangestellter, Berufsschullehrer, Steuerberater und leitete ein Wohnheim. Doch hinter den Kulissen plagte ihn jahrzehntelang die Spielsucht. Schulden, ein gescheiterter Selbstmordversuch, die Diagnose Nierenkrebs und schließlich eine Verurteilung wegen Veruntreuung führten zum Zusammenbruch. Doch dann hat er sein Leben umgekrempelt und wurde zum Einsiedler. Wir haben ihn gefragt, welche Kraft die Stille in sich trägt.

Sie leben jetzt schon seit mittlerweile zehn Jahren als Eremit. Aus welchem Grund haben Sie sich in die Stille der Einsiedelei zurückgezogen?
Ich wollte nicht mehr an die Dinge der Welt gebunden sein, an die Wirtschaft und den Konsumwahn. Ich wollte frei sein und so wenig wie möglich benötigen. Ich wollte dem lieben Gott und den Menschen näher kommen.

Was ist das Schönste an der Stille?
Die Freiheit, die Schöpfung sehen, spüren, riechen zu können und mit der Natur zu leben. Nicht mehr getrieben zu sein von den Dingen der Welt. Sich nicht mehr von Fachleuten einreden zu lassen, was man noch brauchen könnte.

Gibt es denn irgendetwas, das Sie erst in der Stille begreifen ­konnten?
Dass es reicht, einfach für den Menschen da zu sein. Wenn heute irgendwelche Wirtschaftsleute mit Burn-out zu mir kommen, habe ich Zeit.

Passiert das häufig?
Es nimmt in den vergangenen Jahren merklich zu. Immer öfter kommen Menschen, die bereits hart an der Grenze sind. Da fließen dann oft viele Tränen. Sie spüren, dass sie etwas tun müssten. Sie müssten, schaffen es aber noch nicht, weil sie nicht loslassen können.

Was raten Sie diesen Menschen?
Nun, auch Ratschläge sind Schläge (lacht). Es gibt kein Rezept, aber ich denke, dass es bei Grenzgängern in Richtung Burn-out um die zentrale Frage des Sinns geht. Denn man verliert den Sinn in dieser Hektik, in dieser Getriebenheit, in dieser Gefangenschaft.

Wie lange hat es bei Ihnen gedauert, bis die Stille zu wirken begonnen hat? Bis Sie bei sich selbst angekommen sind?
Es gibt verschiedene Phasen und Rückschläge, aber das Ziel ist vielleicht  dann erreicht, wenn man nicht mehr bei sich ankommen muss. Wenn man die Frage nicht mehr stellen muss: Wer bin ich? Dann wird man vielleicht angekommen sein.

Es geht beim Eremitendasein also um Gegenwärtigkeit?
Es geht darum, einfach da zu sein. Jetzt hier sein, jetzt leben, jetzt frei sein und wach sein für das, was heute kommt. Nicht gefangen sein im Terminkalender, sondern einfach Zeit haben. In der Gegenwart mit Gott, mit den Mitmenschen hier sein – völlig absichtslos.  

Was ist es, das uns die Einsamkeit und Ruhe so schwer ertragen lässt?  
In der Stille ist man mit seinen Schattenseiten konfrontiert. Sie anzuschauen, auszuhalten und zu bearbeiten ist die Aufgabe des Eremiten. Und ihr sollten sich auch viele andere stellen.

Ist das der „Rat-Schlag“, den Sie den Leuten geben?
Ja. Wir sollten damit aufhören, immer nur zu schauen, was die anderen verkehrt machen und wo außerhalb die Gründe liegen könnten, die einem die Probleme bereiten.

Erzählen Sie Ihren Besuchern selbst mehr von Ihrem Leben, oder finden Sie sich öfter in der Rolle des Zuhörers?
Ich bin kein Geschichtenerzähler. Das Zuhören ist viel wichtiger, als große Missionsreden zu halten. Ein Mann hat mir einmal eine zynische Frage gestellt, und ich habe geantwortet: „Das weiß ich nicht, ich bin kein Missionar.“ Da hat er mich groß angeschaut und dann stundenlang von sich erzählt! Bevor er der Eremit am Palfen zu Saalfelden wurde, arbeitete Raimund von der Thannen als Bankangestellter, Berufsschullehrer, Steuerberater und leitete ein Wohnheim. Doch hinter den Kulissen plagte ihn jahrzehntelang die Spielsucht. Schulden, ein gescheiterter Selbstmordversuch, die Diagnose Nierenkrebs und schließlich eine Verurteilung wegen Veruntreuung führten zum Zusammenbruch. Doch dann hat er sein Leben umgekrempelt und wurde zum Einsiedler. Wir haben ihn gefragt, welche Kraft die Stille in sich trägt.

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