Funkelnde Konkurrenten
Jahrzehntelang schliff Swarovski unangefochten seine Kristalle. Doch ein ägyptischer Konzern setzt dem Traditionsunternehmen mehr und mehr zu. Wie die Tiroler ihre Position verteidigen wollen und warum sie erst so spät zum Gegenangriff geblasen haben.



Es kam unerwartet für das erfolgsverwöhnte Unternehmen: „Bei Swarovski wackeln Jobs“, „Kratzer im Kristall“ oder „Klunker mit Dellen“– Schlagzeilen wie diese kannte man in Wattens bis vor einigen Jahren nicht. Swarovski, das war stets ein Vorzeigeunternehmen, eines, auf das sich ganz Tirol etwas einbildete.
Ein Betrieb, der Eltern stolz gemacht hat, wenn ihre Kinder dort einen Arbeitsplatz hatten. Einst war man Quasimonopolist und versorgte die Welt von der Provinz aus mit Glitzersteinen. Doch die Zeiten für das 118 Jahre alte Familienunternehmen haben sich geändert. Denn seit mehreren Jahren macht nun der ägyptische Konzern Asfour den Tirolern das Leben schwer. Es ist ein Kampf, der erbittert geführt wird und der Swarovski neben der Wirtschaftskrise schwer erschüttert.
Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen? Als 1961 in Kairo 200 Arbeiter damit begannen, synthetische Kristalle zu schleifen, nahm man in Wattens vermutlich nicht einmal Notiz davon. Swarovski war damals bereits ein renommiertes Unternehmen und produzierte Kristalle wie niemand sonst auf der Welt. Swarovski war unangefochten an der Spitze seiner Zunft, keiner konnte mit ihnen mithalten. Um den Wettbewerb zumindest ein wenig zu beleben, wurde sogar intern, zwischen den zwei Werken in Wattens, Konkurrenz geschürt.
Das Ende der Hybris
Doch Ende der 1990er-Jahre war Asfour plötzlich und beinahe unbemerkt zum relevanten Player aufgestiegen: Das Unternehmen hatte aufgeholt und produzierte mittlerweile Unmengen und warf seine – zum Teil schlechteren – Produkte zu Dumpingpreisen auf den Markt. „Wir waren in einer Situation, die wir überhaupt nicht kannten“, erzählt ein Swarovski-Mitarbeiter, der namentlich nicht genannt werden will. „Es gab erstmals einen Konkurrenten, mit dem wir uns auf einem Qualitätsniveau messen mussten, das uns völlig neu war.“ Zu diesem Zeitpunkt konnte man den früher noch milde belächelten Mitbewerber nicht mehr ignorieren. Zu sehr wilderten die Ägypter im Revier des erfolgsverwöhnten Platzhirschen. Also wurden internationale Beratungsfirmen ins Haus geholt. PR-Consulter und andere externe Experten gaben sich die Klinke in die Hand. Doch rasche Entscheidungen lässt die Unternehmensstruktur kaum zu. Die Swarovskis sind eine große Familie in drei Dynastien. In einem Beirat, dem obersten Entscheidungsgremium, vertritt jeder Zweig seine Interessen. So scheiterte etwa Gernot Langes-Swarovski, Vater des heutigen Firmensprechers Markus Langes-Swarovski, mit seinem langjährigen Anliegen, das Unternehmen in eine Kapitalgesellschaft umzuwandeln – die Familie sollte sich, seiner Meinung nach, aus dem operativen Geschäft zurückziehen, wie etwa bei dem Autohersteller Porsche. Doch mit diesem Anliegen fand er kein Gehör bei dem Rest des Clans.
Interne Interessenkonflikte
So nahmen die internen Querelen zu, während die Übergabe an die fünfte Generation in die Wege geleitet wurde. Zu allem Überdruss hatte das Unternehmen einen Rückgang des wichtigen Industriekomponentengeschäfts zu verzeichnen. Eine Folge waren Entlassungswellen in Wattens. In Ägypten witterte man Morgenluft und schoss in Richtung Tirol. Hatte doch Asfour zumindest zeitweise mehr Mitarbeiter als Swarovski und rühmte sich umgehend damit, „der größte Kristallhersteller der Welt“ zu sein – wohl eine kalkulierte Demütigung in Richtung des Traditionsunternehmens. Es sollte nicht die einzige bleiben. So brüstet sich Asfour Crystal, die größte Kristallfertigung der Welt zu betrieben und der in Europa am meisten verkaufte Hersteller zu sein. Den Anspruch, Nummer eins zu sein, erheben jedenfalls beide Unternehmen. Erst vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass die Swarovski Auslandsholding GmbH 2012 nur halb so viel Gewinn erwirtschaftet hatte wie noch im Jahr davor: 50 statt 100 Millionen Euro. Ein herber Schlag. Wirtschaftseinbrüche in den großen Märkten wie den USA und die immer stärker werdende Billigkonkurrenz machen dem Tiroler Traditionsunternehmen aktuell schwer zu schaffen. Und auch die Stammkunden sind nicht mehr das, was sie einmal waren.
Vor zehn Jahren zählte die Swarovski Collectors Society weltweit noch stolze 450.000 Mitglieder, die Schwäne und Schweinchen aus Kristall sammelten. Heute sind es um 100.000 weniger. Interviews geben die Clan-Mitglieder selten, und wenn es gerade kriselt, schon gar nicht. Doch vergangenes Jahr, als sich Swarovski wieder im Aufwind wähnte, meinte Nadja Swarovski-Adams gegenüber dem Magazin „trend“: „Der Markt ändert sich ständig, die Konkurrenz wächst, der Druck steigt. Wir müssen schneller bessere Produkte entwickeln.“ Man war sich also der Probleme bewusst und suchte sein Heil vor dem missliebigen Konkurrenten in der Flucht nach vorne. Eine Strategie, die Erfolg haben sollte: Die 42-Jährige stieg als Letzte der fünften Generation in die Beletage des Unternehmens auf. Sie und ihre jungen Verwandten unterzogen den früher fast biederen Konzern einem Rebrush: Neue Geschäftsfelder wurden erschlossen, Modemacher wie Karl Lagerfeld setzen heute auf die Glitzersteine, die auf Kostümen von Lady Gaga ebenso glitzern wie am Kleid von Michelle Obama.
Neue Labels wie Lola & Grace sollen junge Kunden anziehen, und Parfüms sowie Crèmes werden ebenfalls mit dem Schwan verziert. Zudem wurden 2008 zeitgleich mit den Entlassungswellen am Standort Wattens 120 Millionen Euro in die Entwicklung „hochinnovativer Produkte“ investiert, wie es damals von Konzernseite hieß. Die Kraft der Marke (Swarovski ist hinter Red Bull die zweitwertvollste Marke des Landes) sollte das Unternehmen an der Spitze halten – auch wenn der Name gerade in Österreich und Deutschland in den vergangenen Jahren vorwiegend mit Fiona und ihrem Ehegatten Karl-Heinz Grasser in Verbindung gebracht wurde. Ein Umstand, der dem Image nicht unbedingt entgegenkam. Doch auch Asfour expandierte fortlaufend. Heute beschäftigt der ägyptische Konzern mehr als 20.000 Angestellte, die täglich hundert Tonnen Kristall produzieren – und das in einer immer besser werdenden Qualität. Die Technik des präzisen maschinellen Schliffs wird mittlerweile nicht mehr nur in Wattens hervorragend beherrscht.
98 Prozent der Asfour-Produkte gehen heute in den Export. Und für die meisten Kunden sei der Unterschied zu den Tiroler Kristallen kaum mehr ersichtlich, sagen Experten. Zudem hat Swarovski selbst längst Teile der Produktion in Billiglohnländer ausgelagert. So stellt ein Werk in China Low-End-Kristallsteine unter anderem Markennamen für den asiatischen Markt her. Insgesamt beschäftigt das Unternehmen heute mehr als 31.000 Mitarbeiter rund um den Globus – so viele wie nie zuvor –, die 2012 einen Rekordumsatz von knapp drei Milliarden Euro erwirtschafteten. Zahlen, die wieder etwas optimistischere Blicke in die Swarovski-Zukunft zulassen, wenngleich der Transformationsprozess des Unternehmens noch am Anfang steht. Der Konkurrenzkampf aber wird wohl gnadenlos weitergehen.
Text: Michael Lener und Michael Riedmüller