Beton statt Bildung
Der ausgewiesen schlechte Zustand des Bildungsstandorts Österreich gefährdet den Wohlstand. Die Suppe muss vor allem die Wirtschaft auslöffeln. Was läuft schief? Wir trafen den Bildungsexperten Franz Kühmeyer, Siemens-NÖ-Vorstand Josef Kolarz-Lakenbacher und IV-Vizegeneralsekretär Peter Koren zum Diskurs.


Interview: Stefan Böck
Franz Kühmayer: „Es ist immerhin Bewegung in die Debatte gekommen. Die Frage ist aber noch immer: Wo ist der Generalplan? Immer noch beschäftigt man sich mit kleineren Einzelsymptomen anstatt damit, Bildung zukunftssicher zu verankern. Wir reparieren den Aufholbedarf, der sich angestaut hat, wir sollten aber auf die Überholspur wechseln. Bildung muss die Speerspitze einer Gesellschaft sein.“ Die Lage der Bildungsnation
Josef Kolarz-Lakenbacher: „In Wahrheit ist die Zukunft des Landes von der Ressource Bildung abhängig. Ich bin gegen das Krankjammern. Ich finde auch, dass Ministerin Schmidt endlich eine Debatte in Gang gebracht hat. Ich sehe aber keine weiteren Schritte, sondern Stillstand. Die größten Baustellen sind die berufsbildenden höheren Schulen, die Lehrer- und Direktorenauswahl sowie deren Ausbildung. Nur ein Beispiel: Wer an der Pädak scheitert, kann immer noch auf die Uni gehen und so Lehrer werden. Das ist grenzwertig. Eine weitere Baustelle ist die Durchgängigkeit der Lehre. Wer von der Lehre zum Hochschulabschluss will, muss viele Hürden überwinden. Weiters beschäftigt mich das Anrechnungsthema: Damit stehlen wir den jungen Menschen Zeit. Und: Wenn die Wirtschaft einen Bedarf erkennt, dauert es viel zu lange, bis entsprechende Absolventen verfügbar sind. Die Fachhochschulen haben hier ein wenig Erleichterung gebracht.“
Peter Koren: „Uns dauert die Debatte schon zu lange. Das Bildungsvolksbegehren hilft, dass das Thema Priorität behält. Es muss aber unmittelbar nach dem Volksbegehren Umsetzungsschritte geben. Wenn ein Unternehmer sich bei der Handhabung von Missständen so viel Zeit lassen würde wie Österreich bei der Bildungsthematik, wäre er bald konkursreif.“
Was muss getan werden?
Peter Koren: „Es ist evident, dass uns die Fachkräfte ausgehen. Die Absolventen kommen zu spät auf den Arbeitsmarkt, teilweise erst mit 25, 26 Jahren. Für die Industrie ist es eine wesentliche Zukunftsfrage, qualifiziertes Personal zu bekommen, denn ohne die kann man die Aufträge nicht abwickeln. Die Problemanalyse ist fertig. Die Bildungsdebatte muss zu einem Ende kommen und in eine Umsetzungsphase münden, und zwar ohne Rücksicht auf Ideologien. Ob am Ende am Türschild Gesamtschule steht, ist uns ziemlich egal, wichtig sind die Inhalte, die dort vermittelt werden.“
Josef Kolarz-Lakenbacher: „Ideen gibt es ohne Ende. Man könnte sofort zur Umsetzung schreiten. Die Absolventen bringen derzeit nur Basiswissen mit. Das Wissen für den Job bringen die Unternehmen den Absolventen in entsprechenden Ausbildungsprogrammen selbst bei. Das Erschütternde ist, dass Praxiswissen auch bei vermeintlich simplen Dingen fehlt. Davon sind vor allem die sogenannten Soft Skills betroffen.“
Franz Kühmayer: „Fast alle Bildungsexperten sind sich einig, was getan werden müsste. Die Ideen gleichen sich weitestgehend. Wesentliche gesellschaftliche Gruppierungen haben sich ebenfalls geeinigt. Betriebswirtschaftlich gedacht, steht die Firma Österreich vor einem Problem, das das Unternehmen insgesamt gefährdet. Wenn man aber in einem Unternehmen die Maßnahmen identifiziert hat, geht man damit nicht zu sämtlichen Abteilungsleitern, um ihre Zustimmung einzuholen, sondern entscheidet sich für Leadership. Wenn die Spitze Österreichs, die Regierung, feststellt, dass Bildung ein ganz zentrales Thema für den Standort ist, dann ist auch hier Leadership gefragt und nicht die Rücksichtnahme auf Landeschefs und Bezirksschulräte. Man versucht Leute in den Prozess einzubinden, von denen teilweise mehr als abstruse Meinungen und Forderungen kommen.“
Stimmen die Lerninhalte?
Franz Kühmayer: „Ein guter Teil der Erwachsenenbildung ist eine Reparaturmaßnahme des Bildungssystems. Jede Führungskraft in Österreich ist durch irgendein Training gegangen. Die gleichen Menschen waren aber im Bildungssystem, und man fragt sich, wie man dieses absolvieren kann, wenn man danach extra erlernen muss, wie man im Team arbeitet. Das ist aberwitzig. In unserem Bildungssystem wird man nach wie vor auf Einzelleistung getrimmt. Unser gesamtes Beurteilungssystem zielt auf die Feststellung von Fehlern ab. Die Wirtschaft funktioniert heute komplett anders: interdisziplinär, vernetzt, international, kreativ, innovativ.“
Josef Kolarz-Lakenbacher: „Früher waren bei uns 40 Leute in einem Raum, und es war anhand der Sitzordnung sofort klar, wer davon der Chef ist. Wer heute die Siemens City besucht, erlebt offene Raumkonzepte, Teamlösungen und eine große Vielfalt an Sprachen. Unser Bildungssystem versucht Schwächen auszugleichen: Bist du schlecht in Mathematik, geben wir dort Nachhilfe. Ob derjenige gut im Zeichnen ist, interessiert nicht und wird auch nicht gefördert. Natürlich muss man rechnen lernen, aber danach wird es spannend, wenn man Talente richtig fördert. Lediglich in den Fachhochschulen wird bei den Aufnahmetests nach besonderen Stärken und Interessen gefragt.“
Peter Koren: „Die Betriebe melden uns, dass sie mit neuen, jungen Mitarbeitern in den ersten Monaten intensiv arbeiten müssen um überhaupt ein gewisses Basisniveau zu erreichen. Das kann es natürlich nicht sein, aber die Unternehmen strecken sich hier nach der Decke und tun ihr Möglichstes. Dreh- und Angelpunkt sind die Lehrer. Sie müssen entsprechend ausgebildet und unterstützt werden. Es muss aber auch klar sein, dass nicht jeder, der will, Lehrer werden kann. Das ist ein Beruf, für den wir nur die Besten brauchen können. In diesem Punkt verstehe ich auch die Lehrergewerkschaft überhaupt nicht. Die vertreten die jungen, tüchtigen und innovativen Lehrer ja gar nicht mehr.
Fehler im System
Josef Kolarz-Lakenbacher: „Heute stellt man Pädagogik über alles, auch über Praxis und Fachwissen. Es klingt verrückt, aber wir müssen den Verantwortlichen den Wert der Praktiker im Unterricht erklären. Früher war das keine Debatte. Bei technischen Themen ist fehlender Praxisbezug ganz schlecht!“
Peter Koren: „In Vorarlberg können derzeit Pflichtschullehrerposten nicht besetzt werden. Der Beruf ist nicht mehr attraktiv. Das ist ein bedauernswertes Syndrom.“
Franz Kühmayer: „Österreichs Antwort auf schlechte Pisa-Ergebnisse ist, mehr Geld zu investieren. Dabei sagen Studien genau das Gegenteil. Lehrer sind der Schlüsselfaktor, um bei Pisa-Ergebnissen vorn zu liegen. Schafft man es, die fachlich und pädagogisch Besten ihres Faches dazu zu bringen, Lehrer zu werden? Schafft man es, die Einstiegsphase der Junglehrer so zu gestalten, dass sie durch Feedback, Teamarbeit und Coaching nicht frustriert werden? Schafft man es, den Beruf für diese Leute attraktiv zu halten und den Arbeitsplatz als einen modernen Wissensarbeitsplatz zu gestalten? Der Lehrer ist der Dreh- und Angelpunkt in der ganzen Debatte. Auch mir fehlt jedes Verständnis, wie die Gewerkschaft hier agiert.“
Josef Kolarz-Lakenbacher: „Es bedarf auch einer entsprechenden Bezahlung von Kindergärtnerinnen und Volksschullehrern.“
Peter Koren: „Ich finde, dass vor allem die Direktoren unterbezahlt sind. Es ist kein Anreiz für einen Lehrer, Direktor zu werden. Die Direktoren müssen die Manager ihrer Schule sein dürfen. Sie müssen Lehrer aussuchen und auch entlassen dürfen. Sie brauchen ein Budget, um Schwerpunkte zu setzten. Sie sind eine Schlüsselstelle in den Schulen. Eine HTL oder ein Gymnasium ist mit einem KMU vergleichbar.“