Führung in der Dauerkrise
Wirtschaftliche Unsicherheit, gesellschaftlicher Wandel und Fachkräftemangel fordern Führungskräfte heute auf ganz neue Weise heraus – besonders in kleinen und mittleren Unternehmen. Burkhard Hanke, Coach, Theologe und Experte für wertebasierte Unternehmensführung, erklärt, warum Klarheit heute wichtiger ist als Geschwindigkeit.

Führung ist heute keine Frage schneller Entscheidungen, sondern klarer Haltung – davon ist Burkhard Hanke überzeugt. Der evangelische Theologe, ehemalige Konzernmanager und heutige Coach begleitet Führungskräfte seit Jahren durch komplexe Zeiten. In unserem Gespräch spricht er über die Herausforderung der „Dauerkrise“, erklärt, warum Werteorientierung gerade für kleine und mittlere Unternehmen zur Überlebensstrategie wird, und verrät, welche Fehler Führungskräfte vermeiden sollten – nicht nur im Business, sondern auch bei sich selbst.
Die Wirtschaft: Herr Hanke, Sie sprechen von „Führung in der Dauerkrise“. Was genau meinen Sie damit?Burkhard Hanke: Führung findet heute nicht mehr in stabilen Systemen statt, sondern in einer Welt, die sich dauerhaft im Ausnahmezustand befindet: Klimakrise, Digitalisierung, Fachkräftemangel, gesellschaftliche Polarisierung, neue Wertegenerationen, geopolitische Herausforderungen. Diese Gleichzeitigkeit der Umbrüche nenne ich Dauerkrise – nicht im Sinne von Panik, sondern als neue Normalität.
In solch komplexen Zeiten reicht es nicht mehr, einfach schnell zu handeln. Geschwindigkeit ohne Richtung führt nur zu Aktionismus. Was wir stattdessen brauchen, ist Klarheit. Klarheit über Werte, über Prioritäten, über Kommunikation. Klarheit schafft Orientierung. Besonders, wenn äußere Rahmenbedingungen unsicher sind. Sie entsteht nicht durch Härte, sondern durch Verbindung, durch eine Führung, die zugleich mutig und empathisch ist.
Viele KMU kämpfen aktuell mit Personalmangel, wirtschaftlichem Druck und gesellschaftlichem Wandel. Welche Rolle spielt werteorientierte Führung in diesem Spannungsfeld?
Werteorientierte Führung ist kein Luxus in guten Zeiten. Sie ist ein Überlebensprinzip in herausfordernden Zeiten. Gerade in KMU, wo persönliche Nähe und direkte Verantwortung Alltag sind, wird Führung zur Kulturarbeit. Mitarbeitende bleiben nicht wegen der Boni, sondern wegen Haltung, Vertrauen und Entwicklungschancen.
Werte wie Verlässlichkeit, Offenheit und echtes Interesse an den Menschen machen den Unterschied, wenn Ressourcen knapp sind. Sie schaffen emotionale Bindung. Diese Bindung ist die wichtigste Währung im Kampf um Talente. Wer heute menschenorientiert führt, investiert in die Zukunftsfähigkeit seines Unternehmens. Nicht ideologisch, sondern strategisch.

Wie können KMU-Führungskräfte Haltung zeigen, ohne dabei als dogmatisch oder unbeweglich zu wirken?
Haltung ist nicht Starrheit. Haltung ist die Fähigkeit, auch unter Druck integer zu bleiben. Das bedeutet nicht, immer alles richtig zu machen, sondern Entscheidungen begründen zu können, die den eigenen Werten entsprechen. Wer seine Überzeugungen transparent macht, aber offen für Dialog bleibt, wirkt nicht dogmatisch, sondern glaubwürdig. Haltung zeigt sich in kleinen Dingen, z.B. in der Art, wie Kritik geäußert wird, in der Bereitschaft zuzuhören, auch wenn es einmal unangenehm wird. Haltung zeigt sich auch in der Konsequenz, mit der Werte kommuniziert und vorgelebt werden.
Sie betonen immer wieder, dass Führung nicht nur Strategie, sondern auch Kulturarbeit ist. Was bedeutet das für kleine und mittlere Unternehmen, die oft keine eigenen HR-Abteilungen haben?
Gerade weil KMU oft keine eigene HR-Struktur haben, ist jede Führungskraft auch Kulturentwickler. Die Unternehmensidentität entsteht nicht durch Leitbilder auf Papier. Sie entsteht durch gelebte Alltagspraxis, z.B. durch den Umgangston, durch Entscheidungen in schwierigen Situationen, durch das, was nicht gesagt oder anerkannt wird.
Kulturarbeit bedeutet nicht, zusätzliche Projekte aufzusetzen, sondern im Tagesgeschäft Haltung zu zeigen: Wie gehen wir mit Fehlern um? Wie begrüßen wir neue Mitarbeitende? Wie geben wir Feedback? In kleinen Unternehmen wirken solche Signale oft direkter und damit umso stärker.
Was sind typische Fehler, die Sie bei Führungskräften in Veränderungssituationen beobachten – und wie können diese vermieden werden?
Ein häufiger Fehler ist das Festhalten an Kontrolle und Perfektion. In Zeiten des Wandels versuchen viele, Unsicherheit durch Detailregulierung zu kompensieren. Damit blockieren so Beteiligung und Eigenverantwortung.
Ein anderer Fehler ist die Scheu vor echter Kommunikation. Veränderung wird oft verpackt oder beschönigt, anstatt offen erklärt zu werden. Dabei sehnen sich Mitarbeitende – gerade in unsicheren Phasen – nach Klartext mit Haltung. Glatte PR-Botschaften helfen da nicht. Im Gegenteil. Vermeiden lassen sich diese Fehler durch eine Führung, die Vertrauen vor Kontrolle stellt, Fehler als Lernchancen begreift und bereit ist, auch ohne fertigen Plan in den Dialog zu gehen.
Sie sind evangelischer Theologe mit Schwerpunkt Wirtschafts- und Sozialethik – inwiefern prägt dieser Hintergrund Ihre Sicht auf Führung, Verantwortung und Unternehmenskultur?
Mein theologischer Hintergrund hat mich gelehrt, dass jeder Mensch ein Gegenüber mit unverlierbarem Wert ist. Kein Kostenfaktor, kein Talentpool, sondern ein Mensch auf einem Weg. Diese Grundüberzeugung durchzieht mein Führungsverständnis. Führung ist Beziehungsgestaltung, nicht Machtausübung.
Wirtschaftsethik ist dabei nicht moralischer Zeigefinger, sondern ein Kompass. Sie hilft, inmitten wirtschaftlicher Zwänge die Menschlichkeit nicht zu verlieren und zu erkennen, dass Werteorientierung nicht der Gegenspieler von Effizienz, sondern deren Voraussetzung ist.
Sie haben selbst Konzernkarriere, persönliche Krisen und den Wandel hin zum Coach erlebt. Was können KMU-Chefs aus Ihrer eigenen Biografie lernen?
Dass Krisen keine Unterbrechungen des Lebens sind, sondern oft seine Wendepunkte. Ich habe erlebt, wie es ist, sich selbst zu verlieren – in Rollen, Zahlen, Erwartungen – und wie wertvoll es ist, den eigenen Kompass wiederzufinden. Viele Unternehmer stehen heute unter einem enormen Druck. Mein Weg zeigt: Es ist keine Schwäche, sich Hilfe zu holen, innezuhalten oder neue Wege zu gehen. Im Gegenteil: Wer sich selbst gut führt, führt auch andere besser. Selbstführung ist kein Rückzug, sondern die Voraussetzung für tragfähige Entscheidungen, besonders in Zeiten der Erschöpfung.
Wenn Sie einem Geschäftsführer eines kleinen Betriebs in Österreich drei konkrete Empfehlungen für wertebasierte und zukunftsfähige Führung mitgeben könnten – welche wären das?
Erstens: Führen Sie Gespräche, keine Prozesse. Investieren Sie Zeit in echte Begegnung mit Ihren Mitarbeitenden. Jahresgespräche sind kein Ersatz für den Austausch im Alltag. Menschen bleiben, wenn sie gesehen werden.
Zweitens: Verwechseln Sie Klarheit nicht mit Härte. Sagen Sie klar, was ist. Und das gleichzeitig menschlich. Klare Kommunikation und Empathie schließen sich nicht aus, sondern bedingen einander.
Drittens: Vertrauen Sie – auch wenn es unbequem wird. Gerade in kleinen Teams ist Vertrauen das Fundament für Selbstverantwortung. Wer loslässt, gewinnt oft mehr Kontrolle zurück als durch Mikromanagement.

Burkhard Hanke
ist Coach, Redner und Berater für werteorientierte Führung. Er verfügt über mehr als 30 Jahre Erfahrung in internationalen Konzernen, unter anderem in den Bereichen Human Resources, Nachhaltigkeit und Unternehmensverantwortung (CSR). Als evangelischer Theologe mit Schwerpunkt Wirtschafts- und Sozialethik verbindet er ethische Fragestellungen mit praktischer Führungskompetenz. Hanke war am Aufbau des Netzwerks Wirtschaftsethik beteiligt und begleitet heute Führungskräfte insbesondere in den Themen Leadership, Unternehmenskultur, Employer Branding und nachhaltige Entwicklung. Sein Beratungsansatz legt den Fokus auf Klarheit, Haltung und zwischenmenschliche Kommunikation im Führungsalltag.