Alte Marke, neue Ideen

Weltmarktführer
12.02.2020

 
Beim Klagenfurter Uhrbandhersteller und Weltmarktführer Hirsch scharrt die nächste Generation bereits merklich in den Startlöchern. Wie die Brüder Matthäus und Nikolaus Hirsch das Werk ihrer Väter fortführen wollen und wo sie die größte Bedrohung für das Traditionsunternehmen sehen.

Nikolaus Hirsch ist 28 Jahre alt, sein Bruder Matthäus 27. Sie haben unterschiedliche Charaktere und verschiedene Talente. Aber sie ergänzen sie sich wie Yin und Yang. Ein Glücksfall. Nikolaus ist der schillernde, modebewusste, kreative. In seinem Kopf schwirren immer viele Ideen gleichzeitig herum, die er umsetzen will. Er beschreibt sich als „großer Ideengeber“ und „vielseitig interessiert“. Matthäus ist dagegen „geradlinig und offen“, auch neugierig, aber „analytisch und an Zahlen und Technik interessiert“.

Zusammen decken sie vieles ab, was ein Unternehmen benötigt. Sie werden die geballten Fähigkeiten brauchen: Im Hause Hirsch werden nämlich gerade die Weichen für den Generationenwechsel gestellt. Vater und CEO Robert Hirsch, erst 57 Jahre alt, hat seine beiden älteren Söhne bereits in die Geschäftsleitung geholt. Nikolaus übernimmt Marketing und Vertrieb, Matthäus Technik und Produktion. Jeder nach seinem Talent. Der dritte Sohn, Lorenz, studiert noch. Er wolle Banker werden, sagen seine älteren Brüder.

TRADITIONEN FORTSETZEN

Streng genommen reicht die Geschichte des Hauses Hirsch zurück bis ins Jahr 1765. Da entsteht, damals noch in Niederösterreich, eine kleine Gerberei und LedererWerkstatt. Die große Geschäftsidee hat dann Urgroßvater Hans Hirsch ausgerechnet in dem Jahr, in dem der Zweite Weltkrieg endet. 1945 schneidet er, bereits in Klagenfurt, am Küchentisch die ersten Uhrbänder aus Lederresten, mit der Nähmaschine näht er sie zusammen. Urgroßvater Hans gibt seinen Söhnen mehr mit als die zukunftsträchtige Marktnische. Beseelt von ständigen Qualitätssteigerungen bläut er allen folgenden Generationen seinen Leitspruch ein: „Es gibt nichts, was nicht noch besser gemacht werden könnte.“ Auch Uhrbänder. Die man im Übrigen als „schönstes Kleid der Uhr“ bezeichnet, wahlweise auch als „begehrliches Accessoire“. Sie sind alles, nur kein Gebrauchsgegenstand.

„Die Uhr ist ein Statussymbol.“​ Matthäus Hirsch

Vom Drang zur stetigen Verbesserung zeugen unzählige Patente und ungewöhnliche Materialien: neben Leder auch Kautschuk, Stein, EukalyptusFasern, Birkenrinde. Alles geht, alles wird unermüdlich in Design, Tragekomfort, Schließenmechanik und Displaytechnik optimiert. „Unsere größte Bedrohung wäre“, sagt Nikolaus, „dass wir aufhören, über Verbesserungen nachzudenken.“ Selbst Swatch schätzte lange Jahre die Kreativität der Klagenfurter. Dann zogen die Schweizer aber eine eigene Produktion auf.

MIT VIER SÄULEN GEGEN DIE KONKURRENZ

Hirsch ging seinen Weg weiter. Nicht einmal die asiatische Billigkonkurrenz beirrt die Familie. 2018 erzielten 830 Mitarbeiter einen Umsatz von 75 Millionen Euro. (Die Werte für 2019 waren zu Redaktionsschluss noch nicht bekannt.) Der Betrieb steht heute sicher auf vier Geschäftssäulen. Die erste ist die Eigenmarke, die sich strikt auf Uhrbänder im oberen Qualitätssegment fokussiert. Daneben entstehen laufend Submarken und andere Geschäftszweige. Hier haben die Brüder viel vor: „Wir haben das Glück, zu zweit zu sein: Zusammen haben wir noch mehr Ideen.“ Die neuen Projekte bekommen eigene Namen, sobald sie auf eigenen Beinen stehen können. Die Kernmarke bleibt unangetastet.

Die zweite Säule ist B2B, genannt „Industrial Sales“. Hirsch ist Partner und Hauptlieferant der Schweizer Uhrenindustrie. Deutschland, Österreich und die Schweiz sind die besten Märkte, dicht gefolgt von den asiatischen. Dementsprechend ist auch die Produktion aufgeteilt: In Klagenfurt entsteht die Qualitätsware, in China nahe Shenzhen die Massen- und Modeware. Die beiden Werke in Indien „gibt es nicht mehr“.

Der dritte Geschäftsbereich ist in Österreich wenig bekannt. „In-Time“ heißt die Kette, ein Shop-in-Shop-Konzept, das in der Schweiz, in Spanien, Portugal und Großbritannien Services rund um die Armbanduhr anbietet – Reparatur, Band- und Batteriewechsel. Wer in London zu Debenhams geht, findet dort einen In-Time-Kiosk. Warum nicht in Österreich? „Weil wir hier keine Kaufhauskultur haben.“ 2017 kaufte Vater Robert die 60 britischen In-Time- Shops auf und vereinte sie unter diesem Namen mit den 90 eigenen.

„Unsere größte Bedrohung wäre, dass wir aufhören, über Verbesserungen nachzudenken.“​ Nikolaus Hirsch

Die vierte Säule steht für den Auftrag an die junge Generation: Digitalisierung. Der Geschäftsbereich „Wearables“ befasst sich mit smarten Armbändern. Stilvoll müssen sie sein: Die ersten wurden für die Erste Bank und Sparkasse designt und mit programmierbaren Chips für bargeldloses Bezahlen bestückt. Weitere Aufträge von Finanzdienstleistern in Wien, London und New York folgten. Im Klagenfurter Werk tragen auch die Mitarbeiter Wearables: als Zutrittssystem, zur Zeiterfassung, für die Warenentnahme und die Kantine.

INKREMENTELL ODER DISRUPTIV?

Vater Robert sorgt für die digitale Transformation im Werk. Er führte SAP ein, Sensorik und den ersten Roboter. Der klebt Produktkennzeichnungen auf die Bandhalterungen, eine eintönige und leicht zu automatisierende Arbeit: „Die Mitarbeiter, die das früher gemacht habe, sind in der Logistik besser eingesetzt.“

Die Handschrift von Nikolaus und Matthäus trägt der erste Onlineshop, den die Unsere größte Bedrohung wäre, dass wir aufh ören, über Verbesserungen nachzudenken. Nikolaus Hirsch Brüder 2013 mit 20 bzw. 21 Jahren noch als Studentenprojekt einführten. Heute noch vertreiben sie dort Bracelets, Armbänder im Stil der Uhrbänder. Die Technologie ist dieselbe wie für das Kernprodukt, warum also nicht diversifizieren? Getreu der Markenlinie heißt der Shop nicht Hirsch, sondern NiMa Atelier, nach den Vornamen der Brüder. Vehement widerspricht Nikolaus, dass dies nur eine inkrementelle Innovation sei: „Nein, das ist disruptiv: Omnichannel statt B2B!“

Längst haben die Brüder Schnellwechselverschlüsse in der Pipeline, mit denen der Konsument sein Uhrband selbst tauschen kann, ohne Hilfsmittel. Dann steht auch B2C nichts mehr im Weg. „Wir entwickeln unsere Produkte heute konsumentenorientierter als früher“, sagt Nikolaus. „Und wir stellen die Stylingmöglichkeiten in den Vordergrund.“ Jetzt ist er voll in seinem Metier.

Bleibt noch die Frage, ob sich die Armbanduhr, um die das gesamte Geschäftsmodell von Hirsch kreist, in Zeiten des Smartphones nicht überleben könnte. Das finden die beiden nun wirklich lustig. „Wir brauchen die Uhr längst nicht mehr als Zeitmesser“, lacht Matthäus. „Sie ist ein Statussymbol“, ergänzt Nikolaus, „und für Männer das wichtigste überhaupt!“

Autor/in:

Mara Leicht