Zwei Krisen, eine Lösung
Unter dem Schlagwort Green Recovery sollen wirtschaftlicher Aufschwung und ökologische Transformation Hand in Hand gehen. Ob der Spagat gelingt, hängt davon ab, wie rasch sich die Ziele mit Leben füllen lassen und wie lange alte Kräfte weiterwirken.

Wie schlagen wir zwei Krisen mit einer Klappe? Da ist zum einen die Covid-Krise mit ihren einschneidenden wirtschaftlichen Folgen, und zum anderen der Klimawandel, der noch viel mehr Opfer fordern könnte als die Pandemie. Viele Unternehmen sind arg gebeutelt oder schon insolvent. Viele Länder, darunter auch Österreich, nehmen Milliarden für die Rettung von Unternehmen und Arbeitsplätzen in die Hand, um einen totalen Zusammenbruch der Wirtschaft zu verhindern. Doch dabei geht es vor allem ums blanke Überleben und wenn überhaupt, erst zweitrangig um die Umwelt. Ein anschauliches Beispiel ist die Rettung der Austrian Airlines. Gleichzeitig sind die Steuereinnahmen deutlich reduziert. Hinzu kommt, dass viele Menschen durch Lockdowns, Homeoffice und -schooling mürbe bis depressiv sind und nach Skiurlaub, der nächsten Fernreise oder einem Trip mit dem Wohnmobil quer durch die Lande lechzen – alles Dinge, die das Klima belasten.
Doch wie sollte die Gesellschaft agieren? Einerseits ist der Wunsch nach einem Aufschwung der Wirtschaft groß. Andererseits werden immer mehr Stimmen laut, dass wir nicht weiterwirtschaften können wie bisher und ein Zurück zur „Normalität“ die Erde schnurstracks in die Überhitzung führen würde, mit all den katastrophalen Endzeitszenarien vom Anstieg des Meeresspiegels über massive Dürren, Brände und Überschwemmungen bis hin zu Massenfluchten. Derzeit prescht besonders die EU mit ihrem Ende 2019 präsentierten European Green Deal und dem ambitionierten Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden, voran. Das neue Zauberwort, mit dem sowohl die Corona- als auch die Klimakrise bekämpft werden sollen, heißt Green Recovery. Es bedeutet, dass Maßnahmen und Investitionen, die in der aktuellen Wirtschaftskrise die Wirtschaft stützen, so gestaltet sein sollen, dass sie einen Strukturwandel zu einer nachhaltigen Wirtschaft befördern. Einen konkreten Schritt dorthin hat die EU mit dem europäischen Aufbauplan geschaffen, einem riesigen Corona-Konjunkturpaket mit Umwelt- und anderen Auflagen an die Mitgliedsländer.
DIE ANDEREN 63 PROZENT
Doch sind die Maßnahmen rund um die schillernden Schlagworte Green Deal und Green Recovery die richtigen und ausreichend? Sigrid Stagl, Vorständin am Department für Sozioökonomie an der WU Wien und Co-Direktorin des Competence Center STaR (Sustainability Transformation and Responsibility), sagt: „In einer Krise ist viel in Bewegung. Das ist normalerweise eine Chance, Dinge anzupacken. Doch der European Green Deal ist eine explizite Wachstumsstrategie: Zuerst muss Wachstum sein und dann kommt erst das Klima.“ Erst an zweiter Stelle werde versucht, mit 37 Prozent der Maßnahmen Emissionen und negative Auswirkungen auf die Ökosysteme wieder zu reduzieren: „Ich frage mich: Wo sind die anderen 63 Prozent? Wie kann es sein, dass öffentliche Förderungen nicht automatisch mit der Auflage verbunden sind, dass die geförderten Maßnahmen zur Klimagasreduktion und ökologischen Verbesserung beitragen? Das ist nicht zeitgemäß.“ Auf diese Weise könne es sich nicht ausgehen, das selbst gesteckte Ziel zu erreichen, bis 2030 mindestens 55 Prozent der Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Stagl ist nicht gegen Wachstum, wenn dieses Menschen, Regionen und Ländern, die es wirklich brauchen, mehr Einkommen bringt: „Aber der Einfluss des Wirtschaftswachstums in armen Ländern und Regionen ist marginal.“ Besonders besorgt stimmt die Ökonomin, dass es auch nach der Finanzkrise 2008/09 eine ähnliche Diskussion wie jetzt gab und man in Richtung ökologische Transformation wirken wollte: „Die empirische Evidenz zeigte, dass es zu einem Recoupling kam, also zu einer stärkeren Verschränkung von Wirtschaftswachstum und Materialverbrauch und Emissionen als vor der Krise. Nicht nur, dass man die Krise nicht als Chance zur Veränderung genutzt hat – es wurde sogar schlechter als davor.“
Doch womöglich ist man sich jetzt des Ernstes der Lage klarer als vor 13 Jahren. Seither wurde viel über Klima und Biodiversität geforscht, und Klimawandel-Leugner haben keinen guten Stand mehr. Auch Marc Fähndrich, Leiter der Wirtschaftspolitik und Berater für wirtschaftspolitische Koordinierung und Europäisches Semester in der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich, sagt: „Der wirtschaftliche Aufschwung wird nur dann nachhaltig sein, wenn er jetzt den grünen Wandel an die erste Stelle setzt.“ Der Übergang zu einer modernen ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft „bedeutet für uns, dass wir Wirtschaftswachstum und Ressourcennutzung entkoppeln werden“. Er verweist auf den Green Deal und darauf, dass Europa als erster Kontinent 2050 keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freisetzen werde.
KEIN SIGNIFIKANTER SCHADEN
„Wirtschaftlicher Aufschwung wird nur dann nachhaltig sein, wenn er den grünen Wandel an erste Stelle setzt.“ Marc Fähndrich, Europäische Kommission
Mitte 2020 präsentierte die EU den Aufbauplan „Next Generation EU“, ein Konjunkturprogramm, bei dem insgesamt 750 Milliarden Euro an die Mitgliedsländer unter der Bedingung ausgezahlt werden, dass sie das Geld auch hier wieder zu 37 Prozent in den Wandel zu einer grünen Wirtschaft investieren. Es gibt fünf weitere Bedingungen, doch den bei Weitem größten Anteil macht die Nachhaltigkeit aus. Dieser Aufbauplan solle „den Weg aus der Krise hin zu einem modernen und nachhaltigeren Europa“ ebnen, wie es auf der Website der Europäischen Kommission heißt. Marc Fähndrich: „Gemeinsam mit den traditionellen Budgetpositionen ist dies das größte Investitions- und Reformprogramm in der Geschichte der EU.“ Der Plan enthält auch das „Do-no-significant-harm-Prinzip“: Das bedeutet, dass unter anderem umweltschädigendes Verhalten verhindert werden soll. Fähndrich nennt ein Beispiel: „Die Förderung einer Straße kann nur unter engen Bedingungen geschehen und es würde in jedem Fall verlangt werden, weder Wasservorkommen noch Biodiversität zu beeinträchtigen und eine Umweltfolgeprüfung durchzuführen.“ Auch würden generell keine Technologien gefördert, die zum Beispiel Verbrennungsmotoren durch effizientere Verbrennungsmotoren ersetzen, denn über die Aufbaupläne sollen keine Investitionen gefördert werden, die auf fossilen Brennstoffen basieren. Auch die EU-Taxonomie streicht Fähndrich positiv hervor, durch die Investoren klare Signale bekommen, welche Investitionen grün sind: „Hierdurch werden wir die Finanzmärkte und die Unternehmensfinanzierung verändern.“
Die Finanzmärkte sieht auch Wolfgang Anzengruber, bis 2020 Vorstandsvorsitzender der Verbund AG, im Wandel begriffen: „Wenn Sie Unternehmensanleihen aufnehmen, können Sie mit Green Finance deutlich bessere Konditionen erreichen. Das ist keine Fantasie der Kapitalmärkte.“ Betrachte man die Wirtschaftlichkeit und die Ertragskraft von Unternehmen, die in der Nachhaltigkeit tätig sind, „sieht man, dass das die Firmen sind, die erfolgreich sind und wachsen, während die konservativ arbeitenden Firmen eher in den Hintergrund gedrängt werden“. Das war vor mehr als zehn Jahren, als der Verbund aufhörte, in CO₂-emittierende Technologien zu investieren, noch anders: „Damals war das ein Minderheitenprogramm.“ Die Zeiten, als Nachhaltigkeit in kleinen Zirkeln besprochen wurde, seien vorbei: „Nachhaltigkeit und Wirtschaft sind keine Widersprüche. Nachhaltigkeit ist die Basis, auf der die Wirtschaft in Zukunft arbeiten muss, sonst werden wir die Dynamik des Wachstums massiv verlieren. Das Potenzial, das da vor uns liegt, ist riesengroß.“
„Nachhaltigkeit und Wirtschaft sind keine Widersprüche.“ Wolfgang Anzengruber, Verbund AG
NICHT ABWARTEN UND AUFSCHIEBEN
Anzengruber ist einer der Initiatoren der im November 2020 präsentierten Initiative CEOs for Future. Es ist kein Zufall, dass sich der Name an Fridays for Future anlehnt: Man will den Austausch mit jungen Menschen pflegen. Auch KMU und ihr Einfluss auf eine nachhaltige und dynamische Wirtschaft stehen im Fokus der Initiative. In einem Grundsatzpapier von CEOs for Future heißt es: „Wir befürworten die schrittweise Einführung von über alle Branchen wirkungsvollen und marktorientierten Steuerungsmechanismen (z. B. CO₂- Preis), mit dem Zweck, dass damit erneuerbare und nachhaltige Business Cases für Unternehmen profitabel werden.“ Es geht um Auflagen für alle, sodass faire Wettbewerbsbedingungen herrschen. Die Unterstützer der Initiative sehen sich in der Verantwortung, globalen Krisen wie der Corona- Pandemie, der Wirtschaftskrise, der Klimakrise und dem Verlust der Biodiversität „nicht mit Abwarten und Aufschieben zu begegnen“.
Die Wirtschaft fordert also selbst Regulierungen ein – nicht nur in Österreich. Selbst Bosse von Konzernen, die lange nicht mit Nachhaltigkeit assoziiert wurden, wollen radikale Änderungen. So fordert etwa VW-Chef Herbert Diess von der deutschen Regierung eine CO₂-Bepreisung von 100 Euro pro Tonne. Deutschland erhebt seit Anfang 2021 eine CO₂-Steuer von 25 Euro pro Tonne. Auch Wolfgang Anzengruber wünscht sich radikalere Maßnahmen von der Politik: Er fände es etwa gut, keinen Neubau ohne alternative Energiesysteme mehr mit öffentlichen Geldern zu fördern. Michaela Reitterer, ebenfalls Initiatorin von CEOs for Future, denkt noch radikaler. Die Präsidentin der Österreichischen Hoteliervereinigung und Hotelière des weltweit ersten Null-Energie-Bilanz-Hotels Boutiquehotel Stadthalle in Wien, sagt: „Es wäre relativ einfach zu sagen: Ab morgen darf kein Haus ohne Photovoltaikanlage mehr gebaut werden – Ausnahmen brauchen eine Genehmigung.“ Außerdem sollte auf allen Lebensmitteln der CO₂-Footprint explizit ausgewiesen sein. Reitterer engagiert sich bei CEOs for Future, weil die Klimakrise trotz der aktuellen Krise „die größte Herausforderung der nächsten Jahre“ bleibt. Und sowohl Anzengruber als auch Reitterer finden, dass Flugreisen für 40 Euro – Stichwort Kostenwahrheit – nicht mehr sein dürfen. Die CEOs for Future scheinen es ernst zu meinen: Sie unterstützen das Pariser Klimaabkommen, den European Green Deal und die Kreislaufwirtschaft und stehen für die Mobilisierung von Green Finance-Kapital und nachhaltigen Investitionen. Auch die Berücksichtigung der biophysikalischen Grenzen der Erde, die Anerkennung der 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der UNO und nachhaltige Aus- und Weiterbildung zählen zu ihren Prinzipien.
VERWIRRENDE SIGNALE
Doch geben all die Initiativen und die EU-Ziele Anlass, euphorisch in die Zukunft zu blicken, wo es den Menschen, den Unternehmen, der Natur und dem Planeten rundum gut gehen wird? Derzeit sind noch viele bremsende Kräfte am Werk. Sigrid Stagl verweist etwa auf den Verkehr als „das Sorgenkind in Österreich“: „Das 123-Ticket ist eine super Sache, aber es bräuchte noch viel mehr Ausbau des öffentlichen Verkehrs.“ Auch die Tatsache, dass in Österreich alle zehn Jahre eine Fläche versiegelt wird, die so groß wie Wien ist, hält sie für dramatisch: Versiegelter Boden reflektiert Wärme stärker und steigert die Überschwemmungsgefahr. Zwar begrüßt Stagl die „Farm to Fork“- Strategie der EU (Kasten S. 10), doch gleichzeitig werde diese auf europäischer Ebene nicht konsequent umgesetzt, denn immens viel Fördergeld fließt nach wie vor in die konventionelle Landwirtschaft. Zudem wünscht sie sich mehr Steuern auf umweltbelastendes Verhalten: „Es gibt noch immer die absurd billigen kohlenstoffaktiven Aktivitäten. Die Signale sind verwirrend.“ Es brauche „endlich eine ökosoziale Steuerreform, die diesen Namen auch verdient“, was für Stagl hieße: „Man müsste das ganze Steuersystem durchgehen und schauen, was es braucht, um die heutigen Ziele zu erreichen.“
„Bei der Kommunikation kommt es auf Realismus und Klarheit an.“ Daniela Knieling, respACT
Auch Daniela Knieling, Geschäftsführerin von respACT, einer Unternehmensplattform für CSR (Corporate Social Responsibility), fordert: „Die Bundesregierung muss sicherstellen, dass in der Corona-Krise kurzfristig eingeleitete Konjunkturpakete langfristigen Zielen dienen und zur Erreichung des Green Deals der EU, der UN-Nachhaltigkeitsziele und des Paris Agreements beitragen.“ Sie müsse in Zusammenarbeit mit Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft die Rahmenbedingungen setzen, die mit zukunftsweisenden Themen und Märkten und den langjährigen Planungshorizonten von Unternehmen kompatibel sind. Konkret fordern respACT und das Global Compact Netzwerk Austria im „Appell Zukunftsfähigkeit“ ein zukunftsfähiges Konjunkturprogramm. Knieling: „Damit fordern österreichische Unternehmen ein entschlossenes Vorgehen in der nachhaltigen Weiterentwicklung der Wirtschaft und Gesellschaft.“ Einen Weg dorthin ortet Knieling in der Digitalisierung: „Warum nicht Digitalisierung und SDGs zusammenbringen – und mit moderner Technologie nachhaltig und resilient in die Zukunft starten?“ Innovative Start-ups würden schließlich schon jetzt vormachen, dass sich Marktanteile durch die Nutzung digitaler Informationssysteme schnell zum Nachteil etablierter Unternehmen verschieben können und so Märkte disruptiv verändern – etwas, das Corona und das Klima notwendig machen. Als Beispiele nennt Knieling Start-ups wie Slack, Tesla und Uber und in Österreich die Shopping- und Essens-Lieferservices Alfi, Gurkerl, mjam sowie Unternehmen wie markta, refurbed oder runtastic.
Und was ist mit bestehenden Unternehmen? „Die gegenwärtige Situation führt uns vor Augen, wie fragil globale Wirtschaftssysteme sind“, sagt Knieling. Daher wurde Resilienz für viele Unternehmen zum Wort der Stunde, und vorausschauendes Risikomanagement erlange immer mehr an Bedeutung, wobei hier besonders Führungskräfte gefragt seien. Sie müssten in Krisen besonders auf ihre Kommunikation achten und „realitätsfeste und belastbare Hoffnung“ vermitteln, denn das wirke sich positiv auf die Resilienz aus und sei damit eine Schlüsselkompetenz von Leadership. Knieling ergänzt: „Bei der Kommunikation kommt es auf Realismus und Klarheit an. Dazu gehört auch, Nichtwissen einzugestehen und darauf zu verzichten, beruhigende Scheinlösungen zu kommunizieren.“ Sicher keine leichte Aufgabe, wenn die eigenen Geschäftsmodelle auf Messers Schneide stehen.
MÄRKTE ALS HAUPTTREIBER
Auch René Schmidpeter, geschäftsführender Gesellschafter von M3trix, einem Institut für nachhaltige Unternehmenstransformation, hält es für wichtig, dass Führungskräfte, aber auch Mitarbeiter ein neues Denken mitbringen, mit dem sie sowohl im Sinne von Nachhaltigkeit und Bekämpfung des Klimawandels handeln als auch sinnvoll wirtschaften können. Dabei gehe es nicht mehr um Nachhaltigkeit im Marketing, sondern: „Nachhaltiges Management muss rein in die Unternehmensstrategie.“ Alle Stakeholder – Politik, Wissenschaft, Unternehmen, Konsumentinnen und Konsumenten sowie NGOs – seien gefordert: „Das Momentum für systemischen Wandel kommt immer von mehreren Systemen und Gruppen gleichzeitig.“ Als Haupttreiber sieht Schmidpeter jedoch nicht die Politik – denn ihre Anreize für nachhaltiges Handeln würden derzeit nur bedingt funktionieren – sondern die Märkte. Hier macht er bereits positive Zeichen aus: „Die Finanz-Community sieht Billionen-Dollar-Chancen in der Bekämpfung des Klimawandels. Es ist die Chance des Jahrhunderts, in Sachen Nachhaltigkeit unternehmerisch aktiv zu werden.“ Die Richtung stimmt, meint Schmidpeter. Doch viele kritisieren die fehlende Dynamik, die nötig wäre, um so ambitionierte Ziele wie das Klimaabkommen oder die Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen. Schmidpeter: „Nur mit einem neuen Management-Paradigma, einer gemeinsamen Vision und der Mobilisierung aller gesellschaftlichen Kräfte kann der wirtschaftliche Aufschwung gelingen.“ Doch wir dürften nicht länger versuchen, „ein paar Prozent effizienter zu werden“, sondern müssten „um den Faktor zehn effizienter werden“: „Wir brauchen einen starken Innovationsschub, der gleichzeitig zu einem humanen sowie wirtschaftlichem Aufschwung führt, sodass die Schulden, die wir in der Krise aufnehmen, sowie die staatlichen Subventionsgelder, die wir gegenwärtig verteilen, mehr als aufgewogen werden.“ Die Alternative dazu sei ein großer gesellschaftlicher Aufruhr, wie er sich etwa beim Sturm aufs Kapitol in den USA bereits angedeutet hat: „Wenn die planetaren Grenzen auf Dauer massiv überschritten werden, wird kein wirtschaftliches Handeln mehr sinnvoll sein. Dann droht eine politische Diktatur.“
TRANSFORMATION IST MÖGLICH
Trotz der möglichen Gefahren gibt es so viele ambitionierte Nachhaltigkeitsziele wie nie zuvor. Daniela Knieling stimmt das optimistisch. Dennoch weist sie darauf hin, wie herausfordernd es wird, Klimaneutralität bis 2040 in Österreich zu erreichen, „wenn man bedenkt, dass der CO₂-Ausstoß in Österreich momentan steigt“. Das Grazer Wegener Center hat errechnet, dass dafür allein bis 2030 die Emissionen um 64 Prozent im Vergleich zu 2005 sinken müssten. Laut Knieling brauche es für die Erreichung dieses Ziels tiefgehende Veränderungen, und Finanzierung, Reduktionsmaßnahmen und Innovation müssten Hand in Hand gehen: „Das politische Bekenntnis zur Klimaneutralität ist ja schon im Regierungsprogramm festgehalten. Entwicklungen wie beispielsweise die Digitalisierung zeigen uns, dass umfassende Transformationen auch in relativer kurzer Zeit möglich sind – warum dann nicht auch hier?“ Es brauche Mut, den Willen zur Verpflichtung sowie zu konkreten Maßnahmen und konsequenter Umsetzung. Es wird alles andere als leicht, aber vielleicht gelingt es ja mit geballter Anstrengung wirklich, Aufschwung und Ökologie unter einen Hut zu bringen.
WIE EUROPA GRÜNER WERDEN WILL
● Europa soll zum ersten klimaneutralen Kontinent werden, und zwar bis 2050, wenn es nach der Europäischen Kommission unter Ursula von der Leyen geht, die Ende 2019 den European Green Deal mit ebendiesem Ziel ausrief.
● Der European Green Deal enthält Maßnahmen wie die Dekarbonisierung des Energiesektors, Investitionen in umweltfreundliche Technologien, eine kreislauforientierte Wirtschaft (Circular Economy Action Plan), energie- und ressourcenschonendes Bauen und Renovieren, Erhalt und Wiederherstellung von Ökosystemen und Biodiversität und eine nachhaltige Mobilität.
● Die EU strebt auch eine Veränderung der Landwirtschaft an. Im Rahmen der Strategie „vom Hof auf den Tisch“ (Farm to Fork) strebt sie eine sichere Versorgung der europäischen Bevölkerung mit nachhaltig produzierten Lebensmitteln an. Bis 2030 soll eine Halbierung der Verwendung von chemischen Pestiziden, eine Verringerung der Nährstoffverluste unter Vermeidung rückläufiger Bodenfruchtbarkeit um mindestens 50 Prozent, eine Verringerung des Düngemitteleinsatzes um 20 Prozent und ein Rückgang von 50 Prozent des Einsatzes von Antibiotika in der Viehzucht bis zum Jahr 2030 erfolgen.
● Mit dem Konjunkturprogramm „Next Generation EU“ verteilt die EU insgesamt 750 Milliarden Euro an aufgenommenen Schulden an die Mitgliedsländer – in Form von Zuschüssen und Krediten. Den größten Teil dieses Pakets macht mit 672,5 Milliarden Euro die „Aufbau- und Resilienzfaszilität“ aus. Jedes Mitgliedsland, das Geld aus diesem Topf bekommen will, muss das Geld in sechs Säulen stecken. Jeder nationale Aufbau- und Resilienzplan muss mindestens 37 Prozent der zugedachten Mittel in den Klimaschutz investieren und 20 Prozent in die Digitalwende, um die wichtigsten Säulen zu nennen. Alle Reformen und Investitionen im Rahmen dieses Aufbauplans müssen zudem dem „Do-no-significant- harm-Prinzip entsprechen. Das heißt, dass neben den Zielen kein anderes Umweltziel signifikant verletzt wird. Österreich soll 3,5 Milliarden Euro erhalten, Italien beispielsweise 70 Milliarden.
● 2021 wird die Europäische Kommission einen Vorschlag über eine EU-weite CO₂-Bepreisung machen. Auch zum Emissionszertifikate- Handelssystem ETS soll es heuer in der EU einen Reformvorschlag geben.
● Im Dezember 2020 wurde das EU-Klimaziel ambitionierter gestaltet: Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken (vorher lag das Ziel bei 40 Prozent).
● Auch das Finanzsystem wird in Angriff genommen – mit der Sustainable Finance Strategy und der Non Financial Reporting Directive. Die Taxonomie-Verordnung soll etwa helfen, Wirtschaftsaktivitäten künftig nach ihrer Nachhaltigkeit zu klassifizieren. Sie verpflichtet jene Finanzmarktteilnehmer, die ein Finanzprodukt als ökologisch vermarkten wollen, über den Anteil an ökologisch nachhaltigen Investitionen zu berichten.