Zu groß, um klein zu sein

Lisa Muhr
14.04.2019

Das erste voll ökologische Modelabel „Göttin des Glücks“ hatte kein Glück. Ein Jahr nach dem Zusammenbruch spricht Co-Gründerin Lisa Muhr über Mode, Nachhaltigkeit und das Scheitern.

Wieso Mode?
Das war Zufall. Wir haben uns 2005 zu viert auf einer Designermesse kennengelernt, viel Spaß gehabt und beschlossen, gemeinsam Mode zu machen. Aber mit der Gründung eines Unternehmens wird es dann bald mal ernst.

Vor allem in Sachen Nachhaltigkeit. Die habt Ihr ja sehr ernst genommen.
Nachhaltigkeit ist geprägt von Transparenz und Offenlegung. Wir wollten zeigen, dass uns Nachhaltigkeit entlang der gesamten Produktionskette ein Herzensanliegen ist. Das war unsere Vision.

Wie bekommt man das als Start-up eigentlich hin?
Das ist ja keine Kleinigkeit. Wir hätten das nie so schnell entlang der ganzen Produktionskette aufstellen können, wenn wir nicht die EZA Fairer Handel als Kooperationspartnerin gehabt hätten. Über deren Partnerbetriebe in Mauritius und Indien konnten wir auf eine vorhandene, voll transparente, zertifizierte Produktionskette zugreifen. So etwas selbst aufzubauen, dauert Jahre. So waren wir die Ersten in Österreich. Der Begriff „Fair Fashion“ war noch nicht einmal geboren.

Ihr habt ihn mitgeprägt.
Das war eine Riesen-Herausforderung. Die wenigen Fair-Trade-Produktionen in den Ländern des Südens sind groß strukturiert, haben Mindestmengen, unter denen sie nicht produzieren. Für jedes Modell, jede Größe, jede Farbe mussten wir die Minimumstückzahlen erreichen, obwohl wir als Marke ja gerade erst begonnen hatten. Wir konnten nicht sagen: Na, mach uns mal zehn Stück, und wenn die aus sind, produzieren wir nach. Das heißt, du musst alles im Vorhinein schätzen, bestellen und finanzieren. Dann hängt die Ware ein halbes Jahr im Laden und muss verkauft werden.

Ihr wart also von Anfang an unter Druck?
Wir waren unter Wachstumszwang. Wir wollten aber nicht gleich Schulden machen, sondern langsam aufbauen. Genau das war möglicherweise unser größter Fehler. Langsame Entwicklung erlaubt der hohe Druck in so einem System nicht. Wir hatten zuletzt fünf Filialen, hätten aber längst 30 gebraucht, um den Aufwand im Backoffice aufzufangen. Aber am Investorenhimmel fand sich niemand, der diesen Weg mit uns gegangen wäre. Den meisten ist die Modebranche zu volatil. Sie investieren lieber in Start-ups oder IT.

Die Mode ist ja auch sehr schnelllebig.
Absoluter Wahnsinn. Die Kollektionen müssen sich zumindest halbjährlich neu erfinden. So viel ist abhängig von der Witterung. Ein warmer Herbst bedeutet, dass man auf der Winterkollektion sitzen bleibt – die unberechenbaren Saisonen aufgrund der Wetterkapriolen machen der gesamten Modebranche zu schaffen. Dazu kommt die Konkurrenz der Riesen im Online-Handel. Als Kleiner bist du mit einem System konfrontiert, in dem 50 % Retouren normal sind. Die Kunden bestellen endlos und schicken zurück – alles ohne Portokosten. Da können Kleine nicht mit.

Hätte es Abzweigungen in den Erfolg gegeben?
Wir hätten runter vom hohen Ross steigen, nicht nur Fair Trade mit Biobaumwolle machen können. Das Produktportfolio wäre größer geworden. Größere Auswahl mit mehr Materialien, gepaart mit schnellerem, aggressiverem Wachstum, vielleicht auch nicht als Monolabel-, sondern als Multilabelstore. Das hätte zum Markt gepasst. Wir waren einfach zu lange zu klein, um groß zu sein und zu groß, um klein zu sein.

Ihr habt ja eine gläubige Anhängerschaft aufgebaut. Wären die mit einer Aufweichung des Wertesystems mitgegangen?
Teilweise. Die Frage ist: Wo liegen die Grenzen der Akzeptanz? Es hat sich in den letzten Jahren viel neues Material entwickelt, aus Zellulose zum Beispiel. Wir haben aber gesagt: Na schön, es ist Zellulose, aber sie wird trotzdem chemisch aufbereitet – auch wenn es im Kreislaufprozess ist – und wo kommt das Holz her? Das ist ja nicht nur Buchenholz aus Österreich. Wenn wir nicht so genau gefragt hätten, wär’s einfacher gewesen. Wir haben mit Bioleinen aus Frankreich und Belgien – in Österreich gewebt, in Kroatien vernäht – gearbeitet. Wir hätten schon einen Weg gefunden, wenn wir mehr Zeit und finanzielle Kraft gehabt hätten.

Immer streng biologisch oder auch regional?
Regional ist das neue Bio. Das ist der volle Trend. Aber was heißt „regional“ in der Mode? Da muss man vorsichtig sein. Das heißt oft nur, dass hier in Österreich endgefertigt wird. Aber was ist mit dem vorgelagerten Teil der Produktionskette? Mode ist eine globale Angelegenheit und funktioniert in den seltensten Fällen ganzheitlich regional. Uns waren ganzheitliche Transparenz und Nachhaltigkeit aber immer das Wichtigste.

Wann war die Göttin des Glücks am Gipfel ihres Wirkens?
2013 und 2014. Da sind wir gewachsen, haben Filialen eröffnet, die Umsätze sind gestiegen. Dann kam die Wende. Der August 2015 war wahnsinnig heiß, der ganze Herbst zu warm. Dann kam die Flüchtlingskrise, wo die Leute zu Weihnachten viel gespendet und weniger gekauft haben. Wir haben damals den Umsatzrückgang dahingehend falsch interpretiert. Wir haben nicht erkannt, dass der Fair Fashion Markt begonnen hatte, sich zu kannibalisieren. Es waren plötzlich viel mehr „nachhaltige“ Materialien vorhanden. Viele Labels entstanden. Der Kundenstock ist aber nicht proportional mitgewachsen.

Es war ja so, dass damals auch C&A und H&M mit Biobaumwolle angefangen haben.
Die Großen warten neue Entwicklungen in aller Ruhe jahrelang ab und lassen die Pioniere mal vorarbeiten. Wenn sie merken, dass sich eine Nische entwickelt hat, wo man etwas holen kann, dann steigen sie ein. Wir hätten das sehen und viel schneller unsere gesunde Betriebsgröße erreichen müssen, bevor der Mitbewerb mit oftmals niedrigeren Standards in die Nische drängte.

Was wäre denn dein Ratschlag an dich, falls du in der Zeit zurückreisen und dich selbst beraten könntest?
Meine Lehre: In der Mode gibt es keine gesunde Zwischengröße. Entweder du bleibst klein, machst alles selber, oder du wirst ganz groß. Dazwischen lebst du nicht. Aufgrund unserer 100%-Fair- Trade-Produktion war Kleinbleiben nicht möglich. Aufgrund des Mangels an Geld war Wachstum nicht möglich.

Dann wäre der Ratschlag also: keine Mode machen?
Ich möchte nie wieder saisonabhängige Mode machen, davon habe ich die Schnauze voll. Das ist völlig wahnsinnig, gerade aus Nachhaltigkeitsgründen. Man bleibt auf wertvollen Kleidern sitzen, die man dann verscherbeln muss. In dem Moment, wo man ein hochwertiges Produkt rabattiert, hat irgendjemand den Schaden. Das Ding kostet nicht ohne Grund so viel. Auch unsere Kundinnen haben auf den Ausverkauf gewartet – ich verstehe das, aber trotzdem muss klar sein, dass so ein System das Gegenteil von nachhaltig ist.

"In der Mode gibt es keine gesunde Zwischengröße."

Was war der größte Schmerz?
Dass wir mit 13 Jahren Arbeit als PionierInnen in der nachhaltigen Mode, mit 500 % Engagement und Überzeugung in dieser Wirtschaft nicht überleben konnten.

Heißt das, dass 500 % Engagement nicht möglich sind?
Wir waren Fair Trade in allen Bereichen, außer bei uns selbst. Es geht einem irgendwann die Kraft aus. So intensiv, wie wir gearbeitet haben, das überlebe ich nicht noch einmal.

Wie hast du es denn überlebt?
Die Zeit hat geholfen. Die Ärzte haben geholfen. Ich bekam fast keine Luft mehr. Mein Atemsystem war voller Polypen, ich dachte, ich ersticke. Ich habe einen unglaublich lieben Mann, der für mich da war. Ich habe viel geschlafen und viel getanzt. Jetzt unterrichte ich an der FH in Wieselburg Green Economy. Mal sehen, ob ich in der Theorie bleibe oder wieder unternehmerisch tätig werde. Ich lasse mir Zeit.

Wo lebt denn die Göttin des Glücks jetzt?
In mir. Und in allen Menschen, die Göttin des Glücks tragen und ihre Philosophie weiter leben.