CSR & Digitalisierung

Nachhaltisierung

CSR; Nachhaltigkeit
23.03.2022

In vielen Unternehmen existieren die Digitalisierungs- und die Nachhaltigkeitsabteilung nebeneinander und sprechen zu wenig miteinander. Dabei sollten sie jetzt dringend zusammen die Geschäftsmodelle der Zukunft entwickeln.
Nachhaltigkeit und Digitalisierung

Digitalisierung und Nachhaltigkeit:

zwei Megatrends, an denen kein Unternehmen mehr vorbeikommt. Doch wie geht beides zusammen? Kann Digitalisierung überhaupt nachhaltig sein bzw. nachhaltige Entwicklungen fördern? Schließlich benötigen digitale Technologien sehr viel Energie – Extrembeispiele sind etwa die Blockchain-Technologie, aber auch das Sammeln, Speichern und Auswerten der Datenmassen in Zeiten von Big Data benötigen enorm viel Energie. Und tatsächlich spiegelt sich dieses Widerspruchsdenken noch in vielen Unternehmen wider. René Schmidpeter, Professor für Nachhaltiges Management an der IU Internationalen Hochschule in München und Herausgeber zahlreicher Publikationen über Nachhaltigkeit in der Wirtschaft: „Viele Unternehmen sagen: Wir können uns derzeit nicht mit Nachhaltigkeit beschäftigen, weil wir mit ganzer Energie unsere Geschäftsmodelle digitalisieren müssen.“ Doch hier brauche es ein Umdenken, denn: „Gerade die Digitalisierung kann einen wichtigen Beitrag für Unternehmen leisten, um nachhaltiger zu werden.“

Daniela Knieling im Portrait
Daniela Knieling, Geschäftsführerin von respACT

Auch Daniela Knieling, Geschäftsführerin der Unternehmensplattform für verantwortungsvolles Wirtschaften und Corporate Social Responsibility (CSR) respACT, betont die potenziellen Vorteile der Digitalisierung in Hinblick auf Nachhaltigkeit: „Die Digitalisierung hat das Potenzial, einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise und zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne der UN-Nachhaltigkeitsziele, der Sustainable Development Goals (SDG) zu leisten.“ Im Zuge des Projekts Digi for SDG, das von der Wirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung unterstützt wird, erhebt respACT mit österreichischen Unternehmen, wie dieser Beitrag konkret aussehen kann.

Es braucht einen kompetenten ­Umgang mit ­digitalen Technologien.

Daniela Knieling, Geschäftsführerin von respACT

Digitale Ressourceneinsparung

Knieling nennt einige Praxisbeispiele: „Digitale Zwillinge in der Produktion oder die Anwendung von Building Information Modeling (BIM) in der Bauwirtschaft können zu massiven Ressourceneinsparungen führen.“ Durch das Internet of Things (IoT) können Produktionsparameter smart gemessen und gesteuert werden und so zu Effizienzsteigerungen und einer besseren Kontrollierbarkeit von Herstellungsprozessen führen. Mithilfe von digital abgebildeten Infrastrukturen können Wartungsintervalle minimiert (Predictive Maintenance), Wertstofflager digital planbar und zugänglich gemacht und die Ressourceneffizienz gesteigert werden. Remote-Work und die Verlagerung von Terminen auf digitale Tools führen zur Reduktion von Emissionen, weil auf Anfahrtswege und Geschäftsreisen verzichtet werden kann. Zudem ließen sich durch ein datengetriebenes Nachhaltigkeitsmanagement ambitionierte Ziele leichter erreichen.
All diese Vorteile können auch KMU nutzen. Weil sie flexibler in ihren Entscheidungsprozessen sind, können sie Innovationsprozesse schneller zur Umsetzung bringen. Knieling: „Es gibt viele Beispiele von KMU und auch von Start-ups, die aus der Lösung eines ökologischen Problems mithilfe digitaler Technologien ein Geschäftsmodell entwickelt haben. Unternehmen wie refurbed, ummadum oder greenpass zeigen, dass man mit dieser Denkweise äußerst erfolgreich sein kann.“ Das 2017 gegründete Wiener Unternehmen refurbed betreibt einen Marktplatz für generalüberholte gebrauchte Elektrogeräte. Das Tiroler Unternehmen ummadum betreibt eine App, die nachhaltige Mobilität mit dem Fahrrad, zu Fuß oder in Fahrgemeinschaften belohnt. Und das ClimateTech-Start-up Greenpass hat eine Software-as-a-Service-Lösung zur gesamtheitlichen Bewertung, Optimierung und Zertifizierung der Umweltauswirkungen von Immobilien und Freiräumen entwickelt. Mit dem Projekt circle17 unterstützen respACT und AustrianStartups Kooperationen zwischen Start-ups und etablierten Unternehmen, die gemeinsam Geschäftsmodelle und Lösungen entwickeln, die zur Erreichung der SDGs beitragen.

Digitalisierung und CSR zusammendenken

Ökonom René Schmidpeter betont, dass Digitalisierung und CSR bzw. Nachhaltigkeit zusammengedacht werden müssen. Sowohl Nachhaltigkeit als auch Digitalisierung seien kein „Add-on“, sondern ein „Add-in“, das heißt, beide können nicht einfach auf ein bestehendes Geschäftsmodell draufgesetzt werden, sondern sie transformieren die jeweiligen Geschäftsmodelle grundlegend von innen heraus. Es mache zudem wenig Sinn, ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu entwickeln, ohne dabei die Errungenschaften der Digitalisierung zu nutzen. Wir befinden uns „im Übergang von einer Industrie- zu einer Wissensgesellschaft“, und Technologien wie KI, Cloud Computing, Blockchains etc. helfen dabei, neues Wissen zu generieren: „Die neuen Potenziale der Wissensverarbeitung schaffen innovative Möglichkeiten, Wertschöpfungsketten besser zu steuern und Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln.“ Schmidpeter zufolge wird man in Zukunft die Ökologie, das Soziale und das Wirtschaftliche durch das Wissen als vierte Dimension ergänzen: „Die Unternehmen, die in allen vier Dimensionen gleichermaßen einen positiven Impact generieren, werden die erfolgreichsten Wirtschaftsmodelle entwickeln.“ Und das wird sich auch im Management und in den Teams widerspiegeln: „Nachhaltigkeitsmanager und Digital Officer stehen vor der gleichen Herausforderung: Sie müssen einen Mega­trend ins Unternehmen integrieren.“ Derzeit bestehen die Nachhaltigkeits- und die Digital-Abteilung meist noch in Silos nebeneinander und sprechen zu wenig miteinander: „Die einen sagen, Nachhaltigkeit ist das Wichtigste, die anderen sagen, Digitalisierung ist das Wichtigste.“ Schmidpeter regt an, eine Art Transformationsmanager einzusetzen, der ein „nachhaltiges digitales Management“ betreibt. Dazu kommt die Notwendigkeit von multidisziplinären Teams, um den Übergang zu einer nachhaltigen Wissensgesellschaft erfolgreich zu meistern.

Portrait René Schmidpeter
René Schmidpeter, IU Internationale Hochschule
Raus aus dem Silo

Aber auch unternehmensübergreifend lohnt sich mehr Zusammenarbeit, um positive Effekte zu generieren, welche die Digitalisierung auf Nachhaltigkeitziele haben kann. Ein konkretes Beispiel ist ein aktuelles Forschungsprojekt unter der Leitung von Fraunhofer Austria, bei dem es um die Reduktion verschwendeter Lebensmittel mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) geht. Für das Projekt „Appetite“ entwickelt ein Forschungskonsortium mit Expertise in den Bereichen Supply Chain Management, Informations- und Kommunikationstechnik sowie Lebensmittelhandel ein Prognose-Tool, welches einen Teil der Lebensmittelverschwendung bereits im Vorhinein abwenden soll. Die KI soll Angebot und Nachfrage von Lebensmittelhändlern in Form von Kassa- und Logistikdaten, aber auch Wetterprognosen und Mobilfunkdaten verarbeiten und so verhindern, dass sich große Mengen von Lebensmitteln zur falschen Zeit am falschen Ort befinden. Am Projekt beteiligt sind auf Forschungsseite neben Fraunhofer auch die TU Wien, die WU Wien, Invenium Data Insights und IT-Power Services und auf der Anwendungsseite die Handelsketten Spar, Metro und Kast­ner, die ihre Daten zur Auswertung zur Verfügung stellen und den Algorithmus für ihre eigene Lieferkette testen werden.

Die Digitalisierung kann einen wichtigen Beitrag leisten.

René Schmidpeter, IU Internationale Hochschule

Gefahren und Rebound-Effekte

Freilich birgt die zunehmende Digitalisierung aber auch Gefahren. Laut Danie­la Knieling gilt es, „potenzielle Rebound-Effekte zu beachten. Der Einsatz einer digitalen Technologie kann einen effizienteren Energie- und Ressourcenverbrauch zur Folge haben, umgekehrt kann aber, beispielsweise durch eine steigende Zahl an Nutzern, der Trend wieder in die Gegenrichtung gehen.“ Auch die Quelle der Energie, die zur Nutzung digitaler Technologien verwendet wird, sei entscheidend: Eine Technologie wie zum Beispiel der digitale Zwilling könne nur „grün“ sein, wenn die dafür genutzte Energie erneuerbar ist. Zudem müssten Aspekte der sozialen Nachhaltigkeit beachtet werden. Knieling verweist hier auf die Corporate Digital Responsibility (CDR), also den verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Technologien als eine Unternehmensverantwortung. Unternehmen müssten sich etwa damit auseinandersetzen, wie sie sensible Daten nutzen oder welche unerwünschten Auswirkungen Anwendungen und Technolo­gien aus den Bereichen KI oder Big Data haben können.

Ethische Herausforderungen lösen

René Schmidpeter hat gerade das Buch „CSR und Künstliche Intelligenz“ in der Publikations-Reihe Corporate Social Responsibility herausgegeben. Er sagt zu den unerwünschten Nebenwirkungen: „Während Künstliche Intelligenz bisher mehr künstlich als intelligent war, werden in Zukunft durch Quantencomputing immer mehr Prozesse und Ergebnisse entstehen, die wir Menschen nicht mehr nachvollziehen können. Das ist vor allem aus ethischer Perspektive eine herausfordernde Situation.“ Was wäre zum Beispiel, wenn eine KI feststellen würde, dass der Mensch das größte Problem für die nachhaltige Entwicklung, für die Erholung des Klimas und die Biodiversität ist? „Wir müssen dafür sorgen, dass der Computer die menschlichen Bedürfnisse als vorrangig anerkennt und den Menschen nicht schadet.“ Wichtig sei, jetzt alles dafür zu tun, um eine Co-Evolution von Mensch und Maschine zu ermöglichen, die gemeinsam Lösungen finden. Idealerweise sollte der Mensch das Korrektiv für den Computer sein, denn der Mensch sei fähig, die Gegenwart von der Zukunft her zu denken, während der Computer die Gegenwart immer aus der Vergangenheit heraus betrachte. Eine weiteres Risiko: „Wenn Quantencomputing real wird, besteht die Gefahr, dass wir uns gesellschaftlich gar nicht mehr so schnell abstimmen können, wie sich die Technologie weiterentwickelt.“ Auch könnten jene Unternehmen oder Nationen, welche diese Technologie zuerst entwickeln, dadurch eine extreme Machtfülle erreichen – und dann stelle sich die Frage, wie die Weltgemeinschaft damit umgeht.

Know-how, Best Practice & Vernetzung

Daniela Knieling fasst zusammen: „Es braucht einen kompetenten Umgang mit digitalen Technologien, wenn wir unsere Klimaziele erreichen und sowohl die Energiewende als auch die Transformation hin zu einer kreislauffähigen Wirtschaft schaffen wollen.“ Derzeit seien österreichische Unternehmen noch damit beschäftigt, die unternehmensinternen Prozesse und Geschäftsmodelle zu digitalisieren. Sie würden vor allem Know-how, Best-Practice-Beispiele und Vernetzung benötigen, um digitale Technologien für nachhaltige Entwicklung kompetent nutzen zu können. Deshalb entwickelt respACT derzeit im Projekt Digi for SDG einen praxisnahen Leitfaden für Unternehmen. Knieling: „Der digitale Wandel lässt sich nicht aufhalten – es kommt darauf an, wie wir mit ihm umgehen. Digitalisierung und Nachhaltigkeit sollten nicht mehr getrennt voneinander betrachtet werden, sondern als zwei Seiten der gleichen Medaille.“