Im Portrait

Kürbis-Ketchup & Karotten-Pesto

Nachhaltigkeit
09.08.2023

In Österreich werden jährlich hunderttausende Tonnen Lebensmittel weggeschmissen. Das Unternehmen "Unverschwendet" hat es sich zur Aufgabe gemacht, dagegen zu steuern – mit kreativen Methoden.
Cornelia Diesenreiter, Gründerin von Unverschwendet, widmet sich dem Thema Lebensmittelverschwendung.

Lebensmittelverschwendung ist zu einem der gravierendsten Probleme unserer Zeit geworden, und es gibt sie in allen Bereichen: in der Produktion, entlang der Lieferkette und in den Haushalten. Alleine in der österreichischen Landwirtschaft wird die Menge der anfallenden Lebensmittelabfälle auf 167.000 Tonnen jährlich geschätzt. „In den Medien werden Supermärkte oft als die Bösen dargestellt, aber in Haushalten und in der Landwirtschaft wird viel mehr weggeschmissen“, sagt Cornelia Diesenreiter, Gründerin von Unverschwendet. Tatsächlich entsteht die Hälfte aller vermeidbaren Lebensmittelabfälle zuhause, rund 521.000 Tonnen pro Jahr, hat der WWF errechnet. So werden hierzulande in jedem Haushalt jährlich bis zu 133 Kilogramm genießbarer Nahrungsmittel und zwischen 250 und 800 Euro vergeudet.

Die Lebensmittelrettung
Am Wiener Schwendermarkt begann 2015 die Geschichte von Unverschwendet, hier traf Cornelia Diesenreiter sich in der kleinen Küche eines Marktstandes mit Freund*innen, um gerettetes Obst und Gemüse zu Marmeladen und Aufstrichen zu verarbeiten. Nach einer Ausbildung zur Köchin, einem Rechts- und Wirtschaftsstudium und einem Abschluss in Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Boku Wien hatte Diesenreiter in England einen Master in nachhaltigem Produktdesign absolviert. In ihrem Studium erfuhr sie von einer Restmüllanalyse, die ergab, dass in einer Müllmenge von 1,5 Tonnen Müll 400 Kilogramm Lebensmittel gefunden wurden. Zurück in Österreich, entschloss sie sich dazu, sich diesem Thema zu widmen – doch auf dem Gebiet der Vermeidung von Lebensmittelabfällen gab es keine Jobs. „Also beschloss ich, selbst aktiv zu werden und gründete mit meinem Bruder den Verein Unverschwendet“, so Diesenreiter. Auch heute dient der Marktstand auf Wiens ältestem Markt noch als Geschäft und Treffpunkt für das Unverschwendet-Team, doch das Geschäft ist längst gewachsen: Wurden im ersten Jahr noch 500 Gläschen verkauft, waren es zwei Jahre später bereits 35.000. Heute befinden sich die Verkaufszahlen im sechsstelligen Bereich und das Unternehmen zählt 20 Mitarbeiter*innen. „Wir haben bereits 15 Millionen Kilo Obst und Gemüse angeboten bekommen, können aber bei weitem nicht alles annehmen.“

Gründe für Lebensmittelverschwendung
Unverschwendet nimmt ausschließlich Lebensmittelüberschüsse aus der Landwirtschaft an und arbeitet mit Betrieben zusammen, die Produkte wie Chutneys, Marmeladen oder Senf herstellen. Die Gründe für die Überproduktion sind vielfältig: die Lebensmittel sind zu klein, zu groß, zu krumm oder es ist gerade kein Transporter verfügbar. Doch auch die Unabwägbarkeiten der Natur spielen eine Rolle: „Wenn ein Supermarkt beim Bauern eine bestimmte Menge Melanzani bestellt, muss dieser 120 bis 160 Prozent anbauen, damit die bestellte Menge geliefert werden kann – weil er das Risiko von Hagel, Sturm oder Trockenheit mit einberechnet“, erklärt Diesenreiter. Ein weiterer Grund für Überproduktion sei die Lebensmittelindustrie: „Wir reden hier von einem sehr komplexen und hoch effizienten System, das es uns ermöglicht, günstig gute Qualität zu erhalten und beim Einkauf tausende unterschiedliche Produkte vorzufinden“, so die Unternehmerin. „Dabei kommt es immer wieder vor, dass Lebensmittel nicht in diesen Prozess passen und übrig bleiben – obwohl sie qualitativ hochwertig sind.“

Bewusstseinsbildung
Unverschwendet-Produkte tragen klingende Namen wie Wassermelone-Pfeffer-Sirup oder Apfel und Mohn-Senf. Cornelia Diesenreiter ist selbst an der Produktentwicklung beteiligt und arbeitet mit renommierten Haubenköch*innen oder Unternehmen wie dem Senfhersteller Ramsa-Wolf zusammen. „Manche Rezepte stammen auch von unserer Oma“, schmunzelt die Pionierin. Auch Bio-Produkte gibt es im Sortiment, wie etwa einen Weichselsirup. „Wir haben auch Produkte, die nur einige Zutaten in Bio-Qualität enthalten wie Vanille oder Gewürze, bei denen der Überschuss aber nicht aus Bio-Landwirtschaft kommt.“
Das Unternehmen betreibt Bewusstseinsbildung in Form von Informationen auf der Website oder Facebook-Kampagnen. Auch auf der Rückseite der Produktetiketten wird über Lebensmittelabfälle aufgeklärt. „Wir kooperieren zudem mit der Wiener Tafel oder Too good to go, die ihrerseits viel Aufklärungsarbeit betreiben.“ Die Wiener Tafel arbeitet mit Supermärkten und Bäckereien zusammen, um nicht verkaufte Lebensmittel vor dem Wegwerfen zu bewahren, und versorgt rund 92 soziale Einrichtungen damit. Die Smartphone-App Too good to go vernetzt Betriebe – darunter Supermärkte und Restaurants – und Konsument*innen, um die Weitergabe unverkaufter Lebensmittel zu ermöglichen.

Cornelia Diesenreiter, Gründerin von Unverschwendet, widmet sich dem Thema Lebensmittelverschwendung.
Cornelia Diesenreiter, Gründerin von Unverschwendet, widmet sich dem Thema Lebensmittelverschwendung.

Ambitionierte Ziele
Mit Hofer hat Unverschwendet einen starken Partner gefunden: Seit Oktober 2022 gibt es bei Österreichs größtem Discounter Produkte der Marke Rettenswert zu kaufen, eine Kooperation mit Unverschwendet. Darunter befinden sich Köstlichkeiten wie Karotten-Pesto, eingelegte Zucchini oder Kürbis-Ketchup. Das „Team Rettenswert“ entwickelt und optimiert laufend mit Hofer gemeinsam die Rettenswert Standards für die Marke, beliefert die Produzent*innen von Hofer mit geretteten Überschüssen und kümmert sich um deren Kontrolle. „Die Überschüsse müssen in puncto Qualität und Lebensmittelsicherheit die gleichen gesetzlichen Standards erfüllen wie andere Rohwaren und durchlaufen die gleichen Prozesse und Überprüfungen“, erklärt Diesenreiter.
Das ambitionierte Ziel des Unternehmens ist es, durch Wachstum langfristig die Überproduktion von Lebensmitteln zu senken. „Je größer wir werden, desto mehr können wir retten“, so Cornelia Diesenreiter. „Das führt hoffentlich dazu, dass weniger produziert wird, da die Überschüsse im System gehalten werden können.“ Weitere Schritte auf diesem Weg sind bereits in Planung: Die Vermittlung von Lebensmittelüberschüssen an die Gastronomie sowie eine Datenbank, die erfasst, wann und wo Überschüsse anfallen. Kann dadurch Überproduktion verhindert werden? „Man kann herausfinden, wo Überschüsse anfallen werden, um sie dann in der Wertschöpfungskette zu halten“, erklärt Diesenreiter. „irgendwann sollte es möglich sein, alle Überschüsse zu nützen und dadurch die Gesamtproduktionsmenge zu senken.“