Airbnb für Barrierefreiheit

Barrierefreiheit
17.05.2017

 
Wer barrierefrei verreisen möchte, muss häufig – im wahrsten Sinne des Wortes – mit Stolpersteinen rechnen. Ein britisches Start-up will das ändern.

Text: Sonja Tautermann

Srin Madipalli kommt nach einem 9-stündigen Flug am Flughafen in Sydney an. Sein Rollstuhl – zerstört. Der wurde nämlich versehentlich beim Entladen fallen gelassen. Zum Glück konnte dank der Hilfsbereitschaft des Personals noch ein Leih-Rollstuhl aufgetrieben werden, um doch noch zum Hotel zu gelangen. Madipalli hat Spinale Muskelatrophie (SMA). Das bedeutet: Er kann seine Beine nicht bewegen, seine Arme nur eingeschränkt und ist zeitlebens auf 24/7-Pflege angewiesen. Der Gedanke ans Verreisen machte ihm immer Angst – und so blieb er lange in seiner Komfortzone, also daheim. Doch vor ein paar Jahren war die Abenteuerlust schließlich größer: Madipalli nahm sich eine Auszeit von seinem Rechtsjob und ging auf eine sechsmonatige Reise: „Das ist eines der besten Dinge, die ich jemals getan habe. Ich verwende einen motorisierten Rollstuhl, konnte aber dennoch in Bali tauchen gehen, Rollstuhl-Trekking in Kalifornien machen und habe sogar gelernt, wie man ein Flugzeug fliegt!“

Doch schiefgegangen ist dabei so ziemlich alles, was er sich zuvor in seinen schwärzesten Fantasien ausgemalt hatte. Manches davon hätte sich aber wohl auch mit bester Planung nicht verhindern lassen. So ging Madipalli zum Beispiel auf Bali das Ladegerät für seinen E-Rollstuhl kaputt. Zum Glück konnte er schließlich – nach zehn Telefonaten mit dem deutschen Hersteller – einen lokalen Händler ausfindig machen, der eine chinesische Replik im Angebot hatte. Doch die wohl schlimmste Erfahrung: Als Madipalli tief und fest schlief, ging sein Assistent auf einen Drink. Das endete allerdings in einer Schlägerei samt anschließender Verhaftung. Ohne seinen Assistenten steckte Madipalli bis zum späten Vormittag im Bett im Hotelzimmer fest, da er das Telefon nicht erreichen konnte. Die Hotel-Security musste ihn schließlich befreien.

Herausfordernde Logistik Doch nicht immer ging es so dramatisch zu. Meist waren es eher die alltäglichen Dinge, die das Reisen beschwerlich machten. „Ich kam bei einer Unterkunft an, die als barrierefrei beworben wurde – nur um herauszufinden, dass sie es nicht war“, sagt Madipalli. Das „stufenfreie Badezimmer“ in LA hatte eine Stufe. Gemeinsam mit dem Portier war es zumindest möglich, eine Not-Rampe zu gestalten, die eine temporäre Lösung für eine Nacht ermöglichte. „Es ist immer noch frustrierend schwierig, eine gute barrierefreie Unterkunft zu finden. Das Ärgerliche ist, dass es einige hervorragende barrierefreie Plätze da draußen gibt, aber sie sind so schwer zu finden.“ Viele Hotelbuchungs-Seiten hätten schlechte Informationen, was die Barrierefreiheit anbelangt, und es könne schwierig sein, ihnen zu vertrauen. „Ich fand die Logistik, einen Trip im Rollstuhl zu planen, zeitweise unglaublich kompliziert. Für meine Reise musste ich nach Leihautos in der neuen Umgebung recherchieren, die speziell adaptiert sein mussten, so dass mein Rollstuhl hineinpasst. Das war nicht nur schwierig, sondern auch unglaublich langweilig und zeitraubend und nahm eine Menge der Freude, diesen spannenden Trip zu planen.“

Accomable wurde geboren Seine Erfahrungen brachten ihn schließlich gemeinsam mit Martyn Sibley, der ebenfalls SMA hat und gerne reist, auf eine Idee: Was wäre, wenn es eine Plattform gäbe, die barrierefreie Unterkünfte gesammelt auflistet, mit detaillierten Informationen über die Infrastruktur und Services? Accomable.com war geboren. Dafür brachte sich Madipalli sogar selbst bei, wie man programmiert. Auf Accomable findet man nun detaillierte Informationen, ob der Zugang von Eingang, Schlafzimmer und Badezimmer stufenlos ist, ob eine bodengleiche Dusche, Wannengriffe oder ein Aufzug vorhanden sind bzw. ob die Unterkunft auch speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit Hör- oder Sehbeeinträchtigung eingeht. 

Das 2015 von Madipalli und Sibley gegründete britische Start-up legte einen fulminanten Start hin. Der Businessplan und der frühe Prototyp der Plattform reichten aus, um sich ein 30.000-Dollar-Investment vom Skoll Centre für Social Entrepreneurship zu sichern. Die Skoll Foundation wurde von ­Jeffrey Skoll gegründet, dem ersten Präsidenten von eBay, der damit Start-ups mit sozialem Zweck unterstützt. Kurz nach dem Launch wurde Accomable in der New York Times ge­featured, viel Publicity inklusive. Darauf folgte 2016 eine Rekord-Finanzierung für eine Barrierefreiheits-App sowie die Eröffnung eines Büros in Texas. Auch über Buchungen kommt auf der Plattform, die das „Airbnb für Barrierefreheit“ sein will, Geld herein: „Wie die meisten Hotel- und Unterkunfts-Buchungsplattformen erhalten wir eine Vermittlungsgebühr für jedes Hotelzimmer oder jede Unterkunft, die über unsere Seite gebucht wird.“

Listung nur mit Barrierefreiheit-Nachweis Mittlerweile sind über 1000 Einträge aus mehr als 60 Ländern – darunter auch Österreich – auf Accomable zu finden. Wer auf der Plattform gelistet sein möchte, muss die Behauptungen in Bezug auf die Zugänglichkeit nachweisen. Wer also zum Beispiel sagt, dass in der Unterkunft Wannengriffe im Badezimmer vorhanden sind, muss dies auch durch ein Foto absichern. „Zu Beginn waren viele der Unterkünfte Plätze, an denen ich mich selbst aufgehalten hatte oder die ich besucht hatte oder die ein Mitglied unseres Team oder unserer Community empfohlen hat.“ Für die Zukunft ist auch ein System geplant, auf der Videos hochgeladen werden können, die die Barrierefreiheit beweisen.

Mit barrierefreiem Tourismus wurden laut einer Studie der Europäischen Kommission alleine in der EU 2012 786 Milliarden Euro Umsatz gemacht. „Ich denke, es ist oftmals überraschend, wie viele Menschen ein Problem mit der Mobilität haben, mehr als 10 % in Großbritannien und 18 % in den USA. Der Markt für barrierefreie Unterkünfte ist definitiv unterversorgt. Das wollen wir ändern“, erklärt Madipalli. 

www.accomable.com