Industrieservice

Service Excellence als strategischer Erfolgsfaktor

Hans-Peter Machwürth
02.05.2025

„Wir müssen unseren Service ausbauen und ihn aus Kundensicht exzellent gestalten, damit wir mittel- und langfristig zu den Top-Playern in unserem Markt zählen." Zu dieser Erkenntnis gelangen immer mehr Hersteller*innen von Investitionsgütern.

In der Investitionsgüterindustrie hat sich ein tiefgreifender Wandel vollzogen. Bis vor ein, zwei Jahrzehnten lebten die Anbieter*innen in ihr nahezu ausschließlich vom Verkauf ihrer Produkte, als beispielsweise der von ihnen produzierten Maschinen und Anlagen, und dieser sicherte den Löwenanteil ihres Gewinns. Doch seitdem hat sich der Servicebereich – einst als ein begleitendes „Add-on“ bzw. notwendiges Übel betrachtet – zum Profit-Motor in ihnen entwickelt.

Service statt Preisnachlass

Dieser Wandel ist unter anderem eine Folge des gestiegenen globalen Wettbewerbsdruck. Er führte im Produktverkauf zu sinkenden Gewinnmargen, denn: Um bei Neuanschaffungen den Zuschlag zu erhalten, müssen zum Beispiel die Maschinen- und Anlagenbauer*innen den Nachfrager*innen oft hohe Preisnachlässe gewähren. Das senkt die Marge. Ein professionell aufgestelltes Servicegeschäft hingegen mit einem klaren Leistungsversprechen, das den Zielkund*innen einen echten Mehrwert bietet, ermöglicht stabile, wiederkehrende Einnahmen und hohe Gewinnmargen. Das haben nicht wenige namhafte Hersteller*innen von Industrie- und Investitionsgütern schon vor Jahren erkannt und erwirtschaften heute bereits einen Großteil ihres Deckungsbeitrags durch digitale Services, Plattformmodelle, Pay-per-Use-Angebote usw.– mit Margen von teils über 60 Prozent.

Erste Entwicklungsschritte im Programm „Customer in Focus“

„Wenn wir mittel- und langfristig zu den Top-Playern in unserem Markt zählen möchten, müssen wir unseren Service ausbauen und ihn aus Kundensicht exzellent gestalten.“ Dies erkannte im Jahr 2012 auch das Top-Management eines global agierenden Maschinenbauers mit Hauptsitz in Deutschland. Deshalb führte der Konzern in den Folgejahren unterstützt vom Machwürth Team International (MTI) das Projekt „Customer in Focus“ durch. In ihm schulte er weltweit außer seinen Vertriebsmitarbeiter*innen auch seine Service-Techniker*innen in den Bereichen Kund*innenkommunikation, Servicequalität und langfristige Kund*innenbindung – auch mit dem Ziel, sich durch einen exzellenten Service, der sich über die gesamte Lebensdauer der von dem Maschinenbauer produzierten Güter erstreckt, sich aus Kund*innensicht positiv von den Mitbewerbern abzuheben.

Dieses Personalentwicklungsprogramm, das unter anderem darauf abzielte, dass

  • der Vertriebs- und Servicebereich enger kooperieren und
  • die Vertriebsmitarbeiter*innen sich von Produktverkäufern zu Buying- bzw. Business-Consultants entwickeln, die das Geschäft ihrer Kund*innen und somit deren Herausforderungen verstehen,

war erfolgreich. Die vorab definierten KPIs, also Erfolgsparameter, zeigten unter anderem, dass

  • die Serviceorientierung des Unternehmens aus Sicht der Kund*innen und damit deren Zufriedenheit steigt,
  • zwischen dem Vertriebs- und Servicebereich ein intensiverer Informationsaustausch erfolgt und
  • der mit Serviceleistungen erzielte Umsatz und Ertrag zwar langsam, aber kontinuierlich steigt.

Erkenntnis reift: Nötig ist ein Kulturwandel.

Trotzdem verstärkte sich bei den Top-Entscheidern im Unternehmen zunehmend das Gefühl: „Um unsere langfristigen Entwicklungsziele zu erreichen, genügt es nicht, unsere Vertriebsmitarbeiter*innen und Servicetechniker*innen zu schulen und deren Mindset partiell zu verändern.“ Dieses latente vorhandene Gefühl schlug im ersten Corona-Jahr, also 2020 in die Erkenntnis um: „Wenn wir langfristig zu den Top-Playern in unserem Markt zählen möchten, müssen wir

  • uns in ihm teilweise neu positionieren,
  • als Gesamtorganisation ein neues Selbstverständnis entwickeln und
  • einen entsprechenden Kulturwandel in ihr herbeiführen.“

Eine zentrale Ursache hierfür war: In dieser Zeit, in der teilweise die Lieferketten zusammenbrachen und ein Treffen mit den Kund*innen kaum und eine Kommunikation mit ihnen nur digital möglich war, war in der Organisation des Maschinenbauers bereichs-, hierarchie- und sogar länderübergreifend spürbar:

  • Die Bedürfnisse unserer Kund*innen nicht nur im Bereich Kommunikation und Betreuung, sondern auch Service ändern sich massiv – eine Entwicklung, die zuvor eher schleichend verlief. Und:
  • Die Digitaltechnik wird künftig außer bei unserer Leistungserbringung, auch bei unserer Marktbearbeitung eine immer größere Rolle spielen.

    Entsprechend ausgeprägt war das Gefühl: Wir müssen handeln!

    Ein neues Selbst- und Serviceverständnis entwickeln

    Deshalb entschied die Unternehmensleitung, konzernweit ein Changeprojekt zu starten, bei dem auch das Thema Service neu gedacht wird. Um dieses zu planen, zogen sich die Top-Entscheider zwei Tage vom Tagesgeschäft zurück und debattierten in einem Retreat – moderiert von MTI-Beratern – unter anderem über folgende Fragen:

    • Inwiefern werden sich die Erwartungen der Kund*innen in den kommenden Jahren an uns ändern – unter anderem aufgrund der technologischen Entwicklung und der sich verändernden gesellschaftlichen und (wirtschafts-)politischen Rahmenbedingungen?
    • Welche Rolle spielen hierbei die fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung und die sich am Horizont abzeichnende verstärkte KI-Nutzung?
    • Welche Auswirkung hat dies auf die Serviceerwartung unserer Kund*innen und darauf, wie sich unser Kontakt zu ihnen gestaltet? Und:
    • Was verstehen wir als Unternehmen fortan mit Blick auf unsere Zielkund*innen und unsere Entwicklungsziele unter einem exzellenten Service?

    Zudem befassten sich die Retreat-Teilnehmer*innen intensiv mit der Frage, wie die angestrebte Service-Excellence im Betriebsalltag gewährleistet werden kann – auch mittels einer verstärkten IT-Nutzung. Dabei wurde klar: Eine technische Excellence und Prozess-Excellence allein genügen hierfür nicht. Sie sind sozusagen nur die Grundvoraussetzung für einen exzellenten Service. Erfolgsentscheidend sind – weil das Business des Konzerns weitgehend ein Projektgeschäft ist, bei dem viele Services auch künftig von Menschen für Menschen erbracht werden – vielmehr auch solche Soft-Faktoren wie Kund*innenzentrierung und Kommunikation sowie ein lösungsorientiertes Denken und proaktives Handeln (siehe Grafik 1).

    Grafik zu Servicequalität - Mitarbeitende/Prozesse Zusammenspiel

    Aufbauend auf diesen Erkenntnissen traf der Vorstand unter anderem folgende strategischen Entscheidungen:

    • Der Service soll künftig ein integraler Bestandteil unseres Produkt- und Leistungsportfolios sein. Und:
    • Wir wollen 2030 ein Drittel unseres Umsatzes und die Hälfte unseres Gewinns mit Serviceleistungen erzielen.

    Das heißt, der Service wurde vom Vorstand als der künftige Margentreiber gesehen. Zudem entschied der Vorstand:

    • Wir starten konzernweit ein Personal- und Organisationsentwicklungsprogramm mit dem Titel „Professional Customer Service“, um diese Ziele zu erreichen, und
    • dessen Fokus soll auf allen Bereichen liegen, die am Vermarkten und Erbringen unserer Serviceleistungen in der gewünschten Qualität direkt oder indirekt beteiligt sind.

    Veränderte Serviceerwartungen analysiert und neue „Services“ definiert

    Um die Voraussetzungen für die angestrebte Neuausrichtung zu schaffen, wurden in den Ländern, in denen der Konzern mit Niederlassungen oder gar Werken vertreten ist, mit den Top-Entscheidern und ausgewählten Expert*innen – auch aus dem IT-Bereich – Workshops durchgeführt. In ihnen diskutierten die Teilnehmer*innen erneut moderiert von MTI-Beratern, nachdem sie vom Vorstand über dessen Beschlüsse und die damit verbundenen Ziele informiert worden waren, unter anderem folgende Fragen:

    • Welche Serviceerwartungen haben unsere Zielkund*innen heute an uns und welche werden sie künftig haben?
    • Welche Serviceleistungen könnten wir ihnen mittel- und langfristig offerieren?
    • Welche Serviceleistungen können oder sollten wir mit Hilfe der IT-Technik (wozu auch die KI zählt) weitgehend digitalisieren/automatisieren?
    • Welche Servicepakete könnten wir aus den Einzelleistungen für unsere verschiedenen Kund*innengruppen schnüren? Und:
    • Wie sollten wir die Serviceleistungen bzw. -pakete bepreisen?

    Die Ergebnisse dieser Workshops wurden von einer Projektgruppe, die das Gesamtprojekt leitete, ausgewertet. Hierauf aufbauend schnürte sie Bündel potenzieller Serviceleistungen bzw. Services nebst Vorschlägen für eine mögliche Bepreisung. Nach diesen Vorarbeiten wurden die Key-Accounter in den für den Konzern wichtigsten Ländern gebeten, mit Schlüsselkund*innen Gespräche darüber zu führen:

    • Welche Serviceerwartungen sie in naher Zukunft an ihr Unternehmen als „First Tier“, also Systemlieferant, und „Second Tier“, als Teile- und Komponentenlieferant, haben?
    • Über welchen Serviceleistungen sie sich freuen würden, weil sie ihnen als Person oder Organisation die Arbeit oder Zielerreichung erleichtern und somit einen echten Mehrwert bieten?
    • Wie attraktiv die vom Konzern angedachten Serviceleistungen bzw. -pakete für sie wären? Und:
    • Welchen Preis sie gegebenenfalls – aufgrund des ihnen gebotenen Mehrwerts – bereit wären hierfür zu bezahlen?

    Diese Infos flossen an die Projektgruppe zurück, die hierauf aufbauend im Dialog mit dem Vorstand und den betroffenen Bereichen die Palette der künftig angebotenen Serviceleistungen und -pakete definierte.

    Pilotprojekt mit integriertem Qualifizierungsprogramm gestartet

    Nach diesen Vorarbeiten wurde entschieden, in einem Land ein Pilotprojekt zur Einführung der neuen Marktbearbeitungsstrategie durchzuführen. Die Wahl fiel auf die Niederlande – unter anderem wegen ihrer überschaubaren Größe und weil

    • in den dortigen Niederlassungen die für das Erbringen vieler neuer Services erforderliche (IT-)technische Infrastruktur bereits weitgehend existierte und
    • die dortigen Vertriebsmitarbeiter*innen das Bewusstsein, als Verkäufer*in ein Buying- bzw. Business-Consultant zu sein, schon weitgehend verinnerlicht hatten.

    Dessen ungeachtet wurde jedoch im Rahmen des Gesamtprojekts vor Beginn des Pilotprojekts mit MTI-Unterstützung ein umfassendes Personalentwicklungs- und Qualifizierungsprogramm für die Mitarbeiter*innen aller Business-Units konzipiert, die am Erbringen und Vermarkten der Serviceleistungen beteiligt sind.  

    Wichtig war der Konzernleitung dabei, dass das Lernen zwar auch in Präsenzseminaren jedoch primär online erfolgt – damit auch ein zeit- und ortsunabhängiges Lernen der Teilnehmer*innen möglich ist und das Entstehen einer neuen Lernkultur im Unternehmen gefördert wird, weil so der Verstand „Der Lernbedarf in unserer Organisation kontinuierlich steigt“. Wichtig war der Unternehmensleitung zudem, dass

    • die Führungskräfte der Mitarbeiter*innen in das Mitarbeiter*innenqualifizierungsprogramm eingebunden sind und
    • alle Schulungen möglichst praxisnah erfolgen und mit Feedbackschleifen verbunden sind.

    Führungskräfte sind Lerncoachs und -partner*innen ihrer Mitarbeiter*innen

    Deshalb wurde zum Beispiel entschieden, dass die Vertriebsmitarbeiter*innen im Rahmen des Programms, bevor sie einem (potenziellen) Kunden die neuen Serviceleistungen vorstellen und versuchen, diesen für deren Kauf zu erwärmen, das Vorgehen hierbei mit ihren Führungskräften planen – und zwar abhängig davon, ob ihr Gegenüber zum Beispiel

    • ein Bestands- oder Neukunde ist,
    • welche Ziele dieser erreichen möchte und
    • vor welchen Herausforderungen er gerade steht.

    Und nach den Gesprächen erfolgt eine Evaluierung von diesen mit den Führungskräften, um zu ermitteln,

    • was warum gut lief bzw. was besser hätte laufen können und
    • was bei dem Zielkunden die nächsten Schritte sein sollten,

    denn klar war der Unternehmensleitung: Die wenigsten unserer Kund*innen werden unsere neuen Serviceleistungen sofort kaufen. Vielmehr geht diesem Beschluss einer längerer Kaufentscheidungsprozess voraus, in dem den Zielkund*innen immer wieder bezogen auf ihre Organisation deren Mehrwert aufgezeigt werden muss. Deshalb entschied der Maschinenbauer: In alle Schulungen, auch die technischen soll ein Verhaltenstraining integriert sein, denn die Technik ist letztlich nur ein Tool, das Personen und Organisationen hilft, ihre Ziele zu erreichen (siehe Grafik 2).

    Grafik zu den Komponenten die Prozessqualität ausmachen

    Das entsprechend den Vorgaben des Konzerns konzipierte Mitarbeiter*innenqualifizierungsprogramm startete im Herbst 2022. In dessen Verlauf fand eine prozessbegleitende Evaluierung statt. Sie zeigte: Die Kombination aus gezieltem Präsenz- und Online-Lernen bei fortlaufender Führungskräfteeinbindung und kontinuierlichem Feedback wirkt und wird von den Beteiligten begeistert aufgenommen. Sie zeigte aber auch: Im hektischen Tagesgeschäft kommen das Coachen der Mitarbeiter*innen durch die Führungskräfte und das Führen von Entwicklungsgesprächen oft zu kurz. Deshalb bedarf es zusätzlicher Impulse und Unterstützungsangebote für die Führungskräfte, um den Transfer nachhaltig zu sichern.

    Das Programm trug auch betriebswirtschaftlich Früchte. Das belegen die KPIs des Pilotprojekts. Sie signalisieren, dass

    • die Mitarbeiter*innen deutlich mehr Zeit auf das Betreuen der Zielkund*innen verwenden,
    • der Maschinenbauer im Markt immer stärker auch als Service-Provider wahrgenommen wird und
    • der mit Serviceleistungen erzielte Umsatz sprunghaft steigt.

    Changeprojekt und Trainingsprogramm werden weltweit ausgerollt

    Deshalb entschied der Vorstand im Frühjahr 2024, das Projekt sukzessiv weltweit auszurollen. Aktuell läuft das mit ihm verbundene Mitarbeiter*innenqualifizierungsprogramm in vierzehn Ländern – darunter außer den wichtigsten europäischen Staaten die USA, Brasilien, Indien, China, Thailand und Australien. Dieses wurde vorab von den MTI-Beratern und den regional Verantwortlichen stets kulturell für die jeweilige Region adaptiert. Dies sorgt – auch weil die Trainings alle in der jeweiligen Landessprache stattfinden – für eine hohe Akzeptanz bei den Teilnehmer*innen und einen hohen Transfer in den Alltag, was sich wiederum auf den Erfolg des Gesamtprojekts auswirkt.

    Dieser entspricht den Erwartungen des Vorstands. Deshalb ist der Maschinenbauer auch zuversichtlich, dass er seine Entwicklungsziele erreicht, nämlich

    • künftig von seinen Zielkund*innen als ganzheitlicher, prozessbegleitender Unterstützer beim Erreichen der Unternehmensziele wahrgenommen zu werden und
    • 2030 ein Drittel seines Umsatzes und die Hälfte seines Gewinns mit Serviceleistungen zu erzielen.

    Oder anders formuliert: Das Unternehmen fühlt sich für die Herausforderungen der Zukunft gewappnet und agiert entsprechend selbstbewusst in seinem Markt.

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    Hans-Peter Machwürth

    Hans-Peter Machwürth ist Geschäftsführer des international agierenden Trainings- und Beratungsunternehmens Machwürth Team International (MTI Consultancy), Visselhövede, das Unternehmen weltweit unter anderem beim Steigern ihrer Sales- und Service-Excellence unterstützt und ihren Mitarbeitern die hierfür erforderlichen Kompetenzen vermittelt (Internet: www.mticonsultancy.com ).

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