Employer of Choice

Attraktiv sein als Arbeitgeber

Arbeitgeber
08.06.2022

Von: Harald Koisser
Arbeitgeber werben mittlerweile um Arbeitnehmer. Wie man heute zum Employer of Choice wird? Mit Purpose und Startup-Ansätzen.
Arbeitnehmermarkt

Eine Rekordanzahl von ArbeitnehmerInnenn kündigt oder denkt zumindest darüber nach. Das ergab eine eben veröffentlichte McKinsey Studie, bei der 5.774 Personen aus verschiedenen Branchen in Australien, Kanada, Singapur, UK und USA befragt worden sind. Für satte 40 Prozent der Angestellten ist eine Kündigung in den nächsten sechs Monaten vorstellbar. Bei 4% ist es fix oder ziemlich sicher (5%), der derzeit noch schweigende Rest überlegt und hat einen Wechsel am persönlichen Radar. 53% der Befragten glauben daher auch, dass es zu einer starken Fluktuation kommen wird.
Damit ist in Zahlen gefasst, was am Arbeitsmarkt spürbar ist. Unternehmen suchen händeringend nach Arbeitskräften, die Arbeitslosenrate ist so niedrig wie seit rund 40 Jahren nicht mehr. Der Markt hat sich komplett von einem Arbeitgeber- zu einem Arbeitnehmermarkt gedreht. Die Gehälter steigen reflexartig. Das ist zwar fein, aber weitgehend nutzlos. Eine Gehaltserhöhung oder Bonuszahlung erinnert eher die MitarbeiterInnen daran, dass man sie kaufen und ihre wirklichen Bedürfnisse nicht beachten will – es braucht daher „interactions, not transactions“, so die Studie. Die Leute wollen nicht vom pandemiebedingten Home Office in eine Arbeitssituation zurückkehren, wo ihnen vorher schon so manches nicht gefallen hat. „Wer glaubt, die Pandemie ist vorbei und alle kommen wieder ins Büro und es ist alles so wie vorher, wird jetzt seine Top-Kräfte verlieren“, betont auch Christoph Monschein, General Manager von Edenred in Österreich, einem Unternehmen, das seit 60 Jahren eine kleine Antwort auf das Problem bereit hält. Das Unternehmen bietet heute in 45 Ländern den Firmen Essensgutscheine an, die sie an ihre MitarbeiterInnen weitergeben. Solche kleinen zusätzlichen Benefits sind es, die Freude machen und zudem steuerfrei sind. Natürlich macht auch ein Mittagessen auf Firmenkosten die Seele nicht satt, aber es ist ein Zeichen von Wertschätzung. „Es geht heute nicht um den Gehalt, es geht um ein ganzes Package“, so Monschein, „es geht um Flexibilität, Weiterentwicklungsmöglichkeiten, Fragen wie: darf ich meinen Hund mitnehmen? Oder: wie sehr kann ich mitgestalten?, ... und zu diesem Paket gehören unsere Produkte auch dazu.“ Monschein, der als Vortragender an der FH Wien der Wiener Wirtschaft auch an vielen Podiumsdiskussionen und HR-Kongressen teilnimmt, weiß: „Man muss heute Employer of Choice werden.“ Es geht darum, attraktiv für Arbeitnehmer zu sein. „Great Attrition or great Attraction“, fasst auch McKinsey zusammen.

Man muss ­heute Employer of Choice ­werden.

Christoph Monschein, Edenred

Christoph Monschein,  Edenred
Christoph Monschein, Edenred

Sinnfragen beantworten
„Da war sich ein 16-jähriger Lehrling bei uns vorstellen“, so Monschein, „und der hat mich gefragt, was unser Purpose ist. Wer auf diese Frage heute keine Antwort weiß, hat verspielt. Die Arbeitnehmer haben andere Bedürfnisse als vor zehn Jahren.“  Sie wollen Werte und Wertschätzung. Sie wollen eine glaubwürdige Antwort auf Klimafragen und andere Nachhaltigkeitsthemen. Und der Druck in diese Richtung kommt nicht nur von den jungen Menschen, sondern auch von oben – von den Investoren und Shareholdern. Wer heute in ein Start-up investiert, will eine Antwort auf die Fragen der Zeit.
„Der traditionelle Glaube war, dass man entweder wachsen, oder nachhaltig, oder inklusiv sein kann“, so Monschein, „und jetzt kommen Start-ups und Unicorns und zeigen, wie das alles gemeinsam möglich ist. Sie wachsen genau deshalb, weil sie inklusiv, divers und sustainable sind und auch keine Hierarchien mehr haben.“ Alle haben Zugang zum obersten Chef, es gibt offene Diskussionen, Transparenz und regelmäßige Meetings, wo alle erfahren, was das Ziel des Unternehmens ist und wo es gerade am Weg dorthin steht.
Viele Unternehmen straucheln aus genau einem Grund, wie McKinsey betont: sie verstehen nicht, warum die Leute gerade massenhaft kündigen und was sie wirklich wollen. Sie kündigen, entgegen bisherigem Brauch, ohne eine neue Anstellung bereits in der Tasche zu haben. Es reicht einfach und sie gehen. Sie werden ohnehin erwartet. Auch die Abwägung – gehe ich zu einem großen Konzern oder einem kleinen Unternehmen – ist vorbei. Die Post, die Asfinag oder die Bawag treten am Markt gegen Firmen wie refurbed, BitPanda oder Waterdrop an. Die Optionen für Arbeitsuchende sind also enorm. Außerdem sind viele dieser Start-ups keineswegs klein, sondern haben mitunter um die 500 Mitarbeiter. „Der Kulturwandel hat stattgefunden“, sagt Monschein, und weiß auch, wie man Employer of Choice wird. Man müsse sich an genau diesen Start-ups orientieren.
Edenred selbst mit seinen 10.000 MitarbeiterInnen weltweit zeigt, wie es geht: „Ein Teil des Bonus, den der Vorstand in Paris ausschüttet, ist an die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen geknüpft. Wir schauen bei uns, dass wir die größtmögliche Flexibilität, die das österreichische Arbeitszeitgesetz erlaubt, realisieren. So schaffen wir attraktive Möglichkeiten für Teilzeitkräfte. Wir haben zahlreiche Frauen, die genau deshalb die Arbeitszeit aufgestockt haben. Sie können mehr Stunden arbeiten und trotzdem die Kinder vom Kindergarten abholen. Wir überlegen uns auch sehr gut, mit wem wir zusammenarbeiten. Und jetzt übersiedeln wir in eine andere Immobilie, weil sie einfach mehr unserem Nachhaltigkeitsgedanken entspricht.“ So will sich das Unternehmen unter dem neuen Geschäftsführer binnen drei Jahren personell verdreifachen.
„Mein Wachstum ist nicht begrenzt durch den Markt, nicht durch Budgets, nicht durch Nachfrage“, so Martin Murray,  CEO von Waterdrop, „sondern ausschließlich dadurch, ob es mir gelingt, das richtige Team einzustellen. Wenn mir das gelingt, werde ich einen Vorteil haben.“ Die McKinsey Studie hält auch ein paar anregende Fragen zur Bewältigung der Herausforderung parat: Wie stark war eigentlich unsere Kultur vor der Pandemie? Decken sich unsere Benefits mit den Wünschen der Angestellten? Sind die richtigen Menschen an den richtigen Positionen (insbesondere Manager)? ... und: Beschützen wir zu sehr toxische Führungskräfte?

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