Forderungen für den Mittelstand

Politik
05.10.2021

 
Eine repräsentative Befragung von fünf unabhängigen Interessenvertretungen unter 1.000 Unternehmen zeigt klare Prioritäten: höhere Löhne zahlen, mehr Mitarbeiter anstellen, investieren.
Rainer Will HV, Gabriele Stowasser SdW, Wolfgang Lusak LdM, Michaela Reitterer ÖHV, Peter Lieber ÖGV
Foto (vlnr): Rainer Will HV, Gabriele Stowasser SdW, Wolfgang Lusak LdM, Michaela Reitterer ÖHV, Peter Lieber ÖGV

1.000 Unternehmen haben bei einer repräsentativen österreichweiten Umfrage von Lobby der Mitte, Senat der Wirtschaft, Österreichischer Hoteliervereinigung, Gewerbeverein und Handelsverband standortpolitische Maßnahmen priorisiert und bewertet. Die Hauptforderungen sind: 

• eine 30%ige Lohnnebenkostensenkung für bis zu 30 Mitarbeiter je Unternehmen
• eine 25%ige Investitionsrücklage und die Halbierung des Steuersatzes auf nicht entnommene Gewinne und 
• die Installierung eines „Bürokratie-Scouts“ für Unternehmen

Die Lohnnebenkostensenkung

30% Lohnnebenkosten weniger für 30 Mitarbeiter – und das in jedem Unternehmen – eine Gleichbehandlung für große und kleine Arbeitgeber mit einem spürbaren Effekt auf Klein- und Kleinstbetriebe. 63% der Befragten wollen so Gehälter erhöhen, 57% mehr Mitarbeiter anstellen, 53% den Betrieb absichern. 96% der Befragten Firmen erachten die Maßnahmen als sehr wichtig oder wichtig. 

Der Investitionsturbo

95% halten den Vorschlag einer 25%igen Investitionsrücklage und der Halbierung des Steuersatzes auf nicht entnommene Gewinne für sehr wichtig oder wichtig. Diese würden sich als echter Investitionsturbo herausstellen: Im Durchschnitt wollen die Unternehmer damit ihre Investitionen um 106% (Investitionsrücklage) bzw. 131% (Halbierung Steuersatz auf nicht entnommene Gewinne) steigern.

Der Bürokratiescout

2/3 der Umfrageteilnehmer wünschen sich einen Bürokratie-Scout. Sie geben den Bürokratieaufwand in ihren Unternehmen im Durchschnitt mit 20% der Arbeitszeit an. 

Viel Zustimmung für nachhaltiges Wirtschaften: Green Deal und Mitarbeiternachwuchs 

Andere Vorschläge, die viel Zustimmung ernten, sind Programme zur Zusammenführung von Schüler und Unternehmen oder Startups und Mittelstand oder eine „Green Deal“-konforme Wirtschaftspolitik, die auf Abgaben für selbsterzeugte Erneuerbare Energie verzichtet und nachhaltige Angebote bei öffentlichen Ausschreibungen nicht benachteiligt. 

Notwendige Gleichstellung im Wettbewerb

Die fünf freien Arbeitgeber-Verbände und -Plattformen wollen noch vor der Finalisierung des Budgets eine aus ihrer Sicht dringend notwendige Verbesserung der Rahmenbedingungen für den unternehmerischen Mittelstand (EPU, KMU, Familienbetriebe, Freiberufler) sicherstellen. Der Sprecher der Lobby der Mitte, Mag. Wolfgang Lusak: „Solange es keine Gleichstellung bei den Wettbewerbs-Bedingungen zwischen Mittelstand und Kapitalgesellschaften gibt, kann sich auch die österreichische Wirtschaft nicht unabhängig und nachhaltig im Sinne der Krisenbewältigung sowie des Wohls der Bevölkerung entwickeln.“

Mittelstand lockt mit Wählerstimmen 

Lusak weiter: „Aufgrund unserer langjährigen Umfragen kann ich sagen, dass ein Drittel der Bevölkerung – die Wertegemeinschaft Mittelstand - alle Forderungen des unternehmerischen Mittelstands unterstützt, weil sie sich mit ihm identifiziert und ihm mehr Durchsetzungskraft wünscht. Wenn sich die Politik dieser Anliegen ernsthaft annimmt, haben alle etwas davon: Die Arbeitnehmer, der Standort, der Staat mit seinen Steuereinnahmen und auch die Parteien, weil im Moment viele Wählerstimmen des Mittelstands nachweisbar brach liegen. Die Annahme unseres Pakets wäre der beste Anfang für eine nachhaltige Krisenbewältigung – besonders bezüglich Spaltung, Pandemie, Klima und Migration.“

Ein Paket für Kreativität, Innovation und Kapitalstärke
Senat der Wirtschaft-Vorstand Gabriele Stowasser: „Wir 5 unabhängige Institutionen haben nicht nur ein gemeinsames Ziel – das Gemeinwohl im Sinn der ökosozialen Marktwirtschaft – sondern sind auch tagtäglich gefordert, Lösungen für die Praxis zu erarbeiten. Weil unsere Mitglieder auch ganz konkrete Probleme haben. Partnerschaften, die gemeinsam daran arbeiten, das Bewusstsein für nachhaltiges Wirtschaften zu steigern und dadurch resiliente Unternehmen zu schaffen, kann es nicht genug geben. Die Österreichischen Unternehmen sind vergleichsweise schon sehr nachhaltig aufgestellt, was auch der Senat mit dem Austrian SDG Award Jahr für Jahr fördert. Und jetzt wollen wir diesen Trend mit dem „Mittelstands-Paket“ fortsetzen. Die Unternehmen sollen mit ihm die notwendige Kreativität, Innovationskraft und auch Kapitalstärke aufbauen können. Wir brauchen Reformen, um den Standort zu stärken - insbesondere im Gesellschaftsrecht und am Kapitalmarkt. Mit dem Paket werden unsere Unternehmen im ökologischen und gesellschaftlichen Wandel auch in Zukunft eine Rolle spielen und ihren Beitrag fürs Gemeinwohl leisten können.“

Abbau der Regulierungsvorschriften stärkt den Mittelstand

„Was unsere Unternehmen auch dringend brauchen, ist eine Vereinfachung des Steuersystems und ein Abspecken der Regulierungsvorschriften“, unterstreicht Peter Lieber, Präsident des Österreichischen Gewerbevereins. „Wir fordern das zwar schon seit Jahren, aber jetzt es ist wirklich höchste Zeit, diese Forderungen endlich anzugehen. Wenn wir auch in Zukunft hier in Österreich produzieren, Arbeitnehmer zu fairen Bedingungen beschäftigen, Wohlstand vor Ort schaffen wollen, dann müssen wir jetzt etwas tun. Ein für Unternehmen drückendes Thema ist der Aufwand, den uns die vielen Vorschriften abfordern,“ so Lieber. „Wir müssen 20 Prozent unserer Arbeitszeit mit vermeidbarer Bewältigung der Bürokratieanforderungen verbringen. Da sprechen wir von Kosten von gut 50 Mrd. Euro pro Jahr.“ Diese Zeit und dieses Geld seien dringend besser, produktiver, zukunftsgerichteter einzusetzen. Damit müsse jetzt endlich begonnen werden. Die angekündigte Steuerreform könne mittelfristig nur erfolgreich sein, wenn z.B. mittels Bürokratie-Scouts ein regelrechter Wettbewerb auf der Suche nach unsinnigen und überholten Regeln initiiert werde, die ersatzlos gestrichen werden könnten. 

Lohnnebenkostensenkung beste Medizin für „Rückgrat der heimischen Wirtschaft“

Am stärksten ist der Wunsch nach einer spürbaren Lohnnebenkostensenkung unter den befragten Hoteliers: 91% von ihnen ist die Realisierung dieses langjährigen Politikversprechens „sehr wichtig“. Für Michaela Reitterer, Präsidentin der Österreichischen Hoteliervereinigung, ist der absolute Top-Wert die logische Konsequenz aus hohen Arbeitskosten und der Lage am Arbeitsmarkt: „9 von 10 Hotels suchen Mitarbeiter. Mit 30% weniger Lohnnebenkosten für 30 Mitarbeiter hätten wir Spielraum für Anstellungen und Gehaltserhöhungen. Arbeiten in Österreich würde deutlich attraktiver. Das wäre der effektivste Hebel für Wirtschaft und Nachhaltigkeit, für höhere Löhne, mehr Investitionen und Arbeitsplätze.“ Reitterer sieht darin „die beste Medizin für das leidgeplagte Rückgrat der heimischen Wirtschaft, unsere vielgelobten KMU. Da sollten sich beide Regierungsparteien wiederfinden“, wünscht sie sich, dass die Branche rasch wieder das volle Potenzial ausschöpft: „Wir brauchen steuerliche Soforthilfemaßnahmen im Winter und eine Perspektive für die Zeit danach. Je früher wir von Schließtagen, Buffet statt à la carte, geschlossenen Restaurants und gesperrten Stockwerken wegkommen, umso besser für alle.“

Rasche Entlastung des Faktors Arbeit überfällig

Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will: „Um die 600.000 Arbeitsplätze im Handel zu erhalten, muss sichergestellt werden, dass nicht nur 50 Prozent der Zahlungen des Arbeitgebers beim Arbeitnehmer ankommen. Die Lohn- und Abgabenquote erdrückt den Mittelstand und bestraft beschäftigungsintensive Unternehmen mit Betriebsstätte in Österreich, wodurch bei Ansiedlungen oft andere europäische Staaten den Vorrang erhalten. Oberste Priorität sollte jetzt eine 30% Lohnnebenkosten-Senkung für mindestens 30 Mitarbeiter in jedem Unternehmen haben, um das Rückgrat der Volkswirtschaft, den Mittelstand, wettbewerbsfähiger zu machen. Nur dadurch lösen wir auch den massiven Mitarbeitermangel, der mittlerweile mit mehr als 20.000 offenen Stellen im Handel ausufert. Nirgendwo in Europa zahlen Unternehmen so viel für ihre Beschäftigten, ohne dass es den Angestellten selbst bleibt. Wir müssen den Faktor Arbeit entlasten, das ist das beste Investment in die Zukunft unseres Landes.“

1.000 Stimmen, eine Botschaft: „Mittelstand stärken!“

Es hat alles damit begonnen, dass Regierungsvertreter nach einem Gespräch über Werte und Nöte des Mittelstands Wolfgang Lusak um konkrete praxisbezogene Vorschläge ersuchten. Lusak erarbeitete daraufhin mit den anderen beteiligten Verbänden und Experten wie Steuerberater Reinhard Stulik das Mittelstandspaket. „Die Bewertung und Priorisierung durch 1000 Mittelstandsbetriebe ist repräsentativ für den österreichischen Mittelstand. Die starke Beteiligung an der Umfrage und die hohe Zustimmung zu den Vorschlägen stärkt uns den Rücken für weitere Gespräche mit der Regierung“, ist Wolfgang Lusak optimistisch, dass die Ergebnisse in die Regierungsverhandlungen in der laufenden Budget-Debatte berücksichtigt werden. Die Umsetzung weiterer Forderungen der Unternehmen wie die nach einem laufenden Monitoring der Umsetzung von Maßnahmen zur Stärkung des Mittelstands oder die Einsetzung einer/s Mittelstands-Beauftragten in der Regierung (90% Zustimmung) wollen die Interessenvertreter bei einem Runden Tisch mit der Regierung besprechen.