Wien, Erotik und viel Gin

Startup
14.04.2019

 
Drei beste Freunde treibt die Liebe zu Schnaps und ihrer Heimatstadt so weit, dass sie der Donaumetropole einen eigenen Gin widmen. Er soll den Charakter von Wien widerspiegeln und gleichzeitig das Blut in Wallung bringen. Ein Portrait.

Wenn kreative Menschen beisammensitzen und übers Leben philosophieren, kann das die Geburtsstunde genialer Ideen sein. Bei den drei Kumpels Thomas Tirmantinger, Florian Koller und Achim Brock war es so. „Wir unterhielten uns darüber, dass jede größere Stadt ihr eigenes Gin-Label hat – München, Hamburg, Berlin. Unfassbar, dass Wien so lange aus der Reihe tanzte“, sagt Tirmantinger. „Das mussten wir ändern und entwickelten Wien Gin.“ Nach nicht einmal vier Jahren am Markt, zählen die „Kesselbrüder“, wie sich das Trio nennt, zu den Top-Wacholderbranntweinern des Landes, gekrönt mit ÖGZ-Gold und hervorragender Platzierung im Falstaff-Ranking. „Es gibt viele Schnapsbrenner in Österreich. Dass wir als Quereinsteiger so rasch unter den Besten mitspielen können, ist natürlich großartig“, sagt Koller.

Gin trifft auf Jugendstil

Genauso verwundert waren die drei Freunde, dass vor ihnen niemand auf die Idee kam, einen erotischen Gin zu entwickeln. Und so darf sich „Wien Klimt Gin“ als der erste aphrodisierende Gin der Welt bezeichnen. Zu verdanken ist der Erotik-Touch den geschmacksgebenden Kräutern Brennnessel, Johanniskraut, Bischofsmütze, Frauenmantel und Lavendel. Diesen „Botanicals“ sagt der Volksmund eine kreislaufbelebende, erotisierende Wirkung nach. Präsentiert wurde die originelle Kreation medienwirksam in der Klimt-Villa, die der Betreiber den kreativen Schnapsbrennern zur Verfügung stellte. „Sowohl beim Wien Gin als auch beim Wien Klimt Gin sollte der Genießer in der Lage sein, mindestens drei Zutaten herauszuschmecken“, meint Tirmantinger und versteht in der verspielten, frechen und anmutigen Aufmachung der beiden Gin-Variationen die Wiener Tradition. „Optisch spiegeln wir mit der Flasche und dem Etikett das „schöne Wien“ um 1900, geprägt von Klimt, Mucha und Wagner.“

Resistent gegen Konkurrenz

Seit rund zwei Jahren wird das Thema Gin in Österreich regelrecht gepusht. Dadurch überschwemmen viele Produkte den Markt. Die Kesselbrüder kritisieren zwar den inflationären Charakter dieses Hypes, machen sich aber um ihre Zukunft keine Sorgen. „Gin ist nicht gleich Gin – unserer vertritt die Wiener Geselligkeit in Form von einem sanften, sehr charmanten Trinkvergnügen“, gibt sich Tirmantinger selbstbewusst. „Man soll mit unserem Produkt eine geile Zeit verbringen.“ Die Zielgruppe lässt sich kaum in ein Alterskorsett zwängen. Laut Florian Koller finden Jung und Alt Gefallen. „Neuerdings schenkt sogar meine Oma bei Tupperware-Partys Wien Gin aus.“ Getrunken klassisch als Gin Tonic oder als schicker Drink. Im angesagten Szenelokal „Spelunke“ am Donaukanal ist Wien Gin nicht nur als Cocktail „Wiener Mädel“ mit Limettensaft, Holunderblütensirup und Fentimans Rose Lemonade in der Getränkekarte zu finden, er wurde auch im größten Wiener Lokal-Wandgraffiti des Graffitikünstlers Akira verewigt.

Klare Aufgabenteilung

Brock und Tirmantinger kennen sich schon aus Jugendtagen. Sie sind Geschäftspartner, aber auch gegenseitig Trauzeugen und Taufpaten ihrer Kinder. Koller kam erst später dazu, als er bei einer Brauerei als Verkäufer arbeitete und auf Tirmantinger traf, der für einen Getränkehändler aktiv war. Alle drei Kesselbrüder gehen auch heute noch hauptberuflich anderen Jobs nach und betrachten die Schnapsbrennerei als ihr Hobby. Allerdings ein sehr zeitintensives, dem sie jede freie Minute schenken. Das verlangt nach toleranten Partnerinnen und Kindern. „Unsere Familien sind so oft es geht bei unseren Wien Gin-Aktivitäten dabei“, versichert Koller. „So gesehen sind wir ein echter Familienbetrieb.“ Er ist mit 33 der Jüngste im Team. Brock und Tirmantinger bilden mit Anfang 40 die „alten“ Hasen. Alle Entscheidungen werden einstimmig getroffen. Jeder des Dreiergespanns hat seine speziellen Stärken und Aufgabenbereiche. Brock ist der Pragmatische und zuständig für die nüchternen Angelegenheiten, wie Administration, Controlling, Steuer. Koller beobachtet den Markt und kümmert sich um Werbung und Events. Tirmantinger übernimmt die Händlerbetreuung und gestaltet die strategische Ausrichtung des Unternehmens.

Start-up ohne Schulden

Wenn man von den Attributen jung, verrückt, bunt, kreativ, innovativ und straffer Finanzplan ausgeht, trifft der Begriff Start-up auf die Kesselbrüder GmbH optimal zu. Nicht jedoch, wenn es um die Budgetaufstellung geht. Investoren erteilt man Absagen. Fremdkapital wird nicht akzeptiert. „Nur so bleiben wir unsere eigenen Herren“, sagt Koller. „Wir sind jetzt im vierten Jahr. Die ersten drei Jahre haben wir uns nichts ausbezahlt, sondern alles in unser „Baby“ gesteckt.“ Start-up-typisch dafür die Affinität zur Digitalisierung. Die drei Wiener ließen sich von Freunden eine eigene App entwerfen, die Augmented Reality integriert. Visiert man mit Fotos: beigestellt der Smartphone-Kamera das Flaschenlogo von Wien Klimt Gin an, erwacht die Etikett-Lady am Handy-Display zum Leben und startet eine interaktive App. Einen Onlineshop sucht man auf der Homepage jedoch vergeblich. Eine bewusste Entscheidung, um die Händler zu unterstützen. Erst wenn das Netzwerk breit genug ist, wird über einen Webshop nachgedacht.

Experimentierfreudig

Als die drei waschechten Wiener die Idee vom eigenen Gin hatten, stellten sie sich die Sache wesentlich einfacher vor. Da es sich als komplizierter herauskristallisierte, absolvierten sie Schulungen und erlernten das Handwerk von Grund auf – unter anderem in der Obst- und Weinbauschule in Klosterneuburg. „Gestartet haben wir mit kleiner Labor-Destille, die am Herd funktioniert. Danach mieteten wir uns bei befreundeten Brennereien ein“, berichtet das Trio. „Wichtig ist, dass unser Gin konstant gleich gut schmeckt.“ Eine eigene Brennerei, die den hohen Ansprüchen gerecht wird, konnten sich die Kesselbrüder bisher nicht leisten, ohne Schulden zu machen. Inzwischen hat man sich die Investitionen erwirtschaftet. Die Eröffnung der eigenen Kesselbrüder-Brennerei mitten in Wien steht kurz bevor, allerdings hüllen sich die Jungunternehmer über Termin und Location in Schweigen. Böse Unterstellungen sind sie damit schlagartig los: „Manche Mitbewerber werfen uns vor, wir würden in Hinterhöfen destillieren und wollen darin ein Qualitätsproblem sehen.“ Wohl eher ein Hilfeschrei der Konkurrenz, weil die Quereinsteiger die Szene aufmischen. Der heimische Markt ist für die Kesselbrüder aber ohnehin ein überschaubarer. „Langfristig sehen wir im Export unsere größte Chance zu wachsen“, sagt das Trio und denkt an Europa und Übersee bis hin zum asiatischen Markt.

Autor: Christian Scherl