Wie dreihundert Männer 150 Jahre deutsche Wirtschaft prägten
Redakteur Stefan Mayr hat Konstantin Richters neues Buch „Dreihundert Männer. Aufstieg und Fall der Deutschland AG“ gelesen. Er zeichnet darin die Entwicklung der deutschen Wirtschaft seit der Industrialisierung nach. Ein detailreiches Werk über Aufstieg, Verflechtungen und den Wandel der großen Konzerne.
300 Spartaner unter der Führung von König Leonidas I. sollen bei der Schlacht an den Thermopylen 480 v. Chr. gegen die riesige persische Armee gekämpft haben. Die Zahl 300 ist auch jene Zahl, die in Konstantin Richters neuem Buch Dreihundert Männer die zentrale Rolle spielt. Denn diese Zahl an Männern, so schrieb am Anfang des 20. Jahrhunderts Walther Rathenau, Industrieller und Ehemaliger Reichsminister des Auswärtigen des Deutschen Reiches, bestimmen die wirtschaftlichen Geschicke Europas.

Auch wenn mit den Spartanern viele Tausende weitere Verbündete kämpften, so waren sie doch in der eindeutigen Unterzahl gegenüber den Persern. Am Ende nutzte all der Mut nichts und sie wurden von ihren Gegnern getötet. Nicht ganz so grausame Schicksale sind den Dreihundert Männern widerfahren, von denen Richter erzählt. Doch der Untertitel des Buchs suggeriert bereits, dass die einstige Wirtschaftsmacht Deutschland, mit Großunternehmen wie Krupp, Siemens oder Daimler-Benz, im 21. Jahrhundert nicht mehr ganz so groß ist, wie sie einst war. Der Autor nimmt auf eine Reise von 150 Jahren deutscher Wirtschaftsgeschichte mit. Mit der Hochindustrialisierung zu Beginn der 1870er-Jahre begann der rasante Aufschwung Deutschlands zur wirtschaftlichen Supermacht und aus regionalen Mittelständlern wurden Schritt für Schritt Konzerne, die weit über die Grenzen Deutschlands oder Europas hinaus ihr Wirken ausdehnten.
Blick in tiefe Abgründe
In Richters Buch werden auf 550 Seiten diese Geschichten nacherzählt. Dabei stehen aber nicht nur Pionierleistungen wie die Erfindung des Ottomotors oder des Haber-Bosch-Verfahrens, dem Großindustriellen chemischen Verfahren zur Synthese von Ammoniak, im Mittelpunkt, sondern es wird auch tief in die Abgründe der deutschen Industriegeschichte geblickt. Denn deutsche Unternehmen profitierten vom Kolonialismus und der Sklaverei, so finanzierte Alfred Krupp eine Expedition der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft und auch die heutige Commerzbank verdiente mit den Kolonien gutes Geld. Andere wiederum, wie die IG Farben, waren maßgeblich für das Funktionieren des NS-Staates verantwortlich, indem sie Rüstungsgüter produzierten und Zwangsarbeit einsetzten. Richter gelingt es gut, den passenden Ton zu den diversen Unternehmen und Konzernen zu finden und erzählt die eineinhalb Jahrhunderte mal sachlich, mal durchaus augenzwinkernd und vor allem immer mit vielen Details gefüttert. Er verzichtet auf Kapitel und springt regelmäßig zwischen diversen Akteuren hin und her. Das ist eine weitere Stärke des Buchs, denn so wird den Ermüdungserscheinungen beim Lesen vorgebeugt.

Dreihundert Männer
Aufstieg und Fall der Deutschland AG ©Suhrkamp Insel
Konstantin Richter
Dreihundert Männer. Aufstieg und Fall der Deutschland AG
Suhrkamp 2025
978-3-518-43252-5
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