Wer gibt, gewinnt

Meinung
10.07.2018

Wie kommt man als KMU ­heute noch zu Aufträgen? Über ­Empfehlungen. ­Dabei gilt: Wer gibt, dem wird gegeben.

Patrick Gaupmann, Inhaber der Reinigungsfirma Facility Service 3000, wirft sich auf den Boden, um zu demonstrieren, wie sauber er nach einer Reinigung durch ihn ist. Alle lachen und applaudieren. Keine 60 Sekunden später stellt Max Raber sein digitales Dokumentenmanagement in einer Improvisations-Theatereinlage vor. Grafikerin Gudrun Neumann und Marktforscherin Daniela Höllerbauer präsentieren ihre Angebote eher ruhiger und mit weiblichem Charme. Willy Lehmann, ein profilierter Marketingmann, der lange bei Römerquelle für Marketing verantwortlich war und jetzt erfolgreich eine eigene Marketingagentur führt, zeichnet einen Schneemann auf ein Flipchart und legt ihm eine Karotte an. Abermals 60 Sekunden später: Baumpfleger Siegfried Bachner setzt sich Helm und Schutzbrille auf und holt zum Schrecken der anderen eine Motorsäge unter dem Tisch hervor. Show und Gelächter bei 56 Damen und Herren. Und das alles um sieben Uhr früh in einem Hotel in der Linzer Innenstadt. Um diese Zeit würde man wahrlich kein Kabarett und ausgelassene Stimmung erwarten. Wenn sich 56 erwachsene Menschen, die allesamt Unternehmer oder Entscheidungsträger in Firmen sind, frühmorgens treffen, hat es auch tatsächlich einen sachlichen Hintergrund: Geschäfte machen, Aufträge lukrieren, Geld verdienen. 

Was kann ich für dich tun? Immer dieselben Leute treffen sich Woche für Woche am selben Tag frühmorgens, um sich wieder und wieder in nur 60 Sekunden zu erzählen, was sie gerade machen, und was sie suchen. Sie sind in den Kurzpräsentationen erstaunlich erfinderisch und stellen dabei immer auch die entscheidende Frage: Was kann ich für dich tun? Es geht um Empfehlungsmarketing, und wir befinden uns bei BNI im „Chapter Donautor“. BNI steht für ­Business Network International und ist das mit Abstand erfolgreichste System für gelungene wechselseitige ökonomische Hilfestellung. Unternehmerinnen und Unternehmer schließen sich zu sogenannten Chaptern zusammen, wo man sich durch regelmäßige Treffen besser kennenlernen und einander weiterempfehlen soll. Das Chapter Donautor in Oberösterreich ist hierzulande das Größte seiner Art. „Wenn ich einfach so irgendwo anrufe und meine Dienste anbiete, blitze ich in neun von zehn Fällen ab“, weiß Patrick Gaupmann, „wenn ich aber empfohlen werde, komme ich an die Verantwortlichen heran.“ 

Keine Kalt-Akquise mehr „Empfehlungsmarketing ist absolut empfehlenswert“, findet auch Marketingspezialist Willy Lehmann, „seit Bestehen meines Unternehmens habe ich noch keinen einzigen Kunden akquiriert.“ Auch Grafikerin Gudrun Neumann ist erleichtert, dass sie sich „die Kalt-Akquise erspart“.
Alles läuft über Empfehlungen. Frau Neumann lukriert sämtliche Aufträge auf diese Weise, bei Herrn Lehmann kommen 20 Prozent über BNI herein, und Herr Gaupmann hätte es ohne Empfehlungen nie geschafft, „von der Reinigungskraft zum Unternehmer“ zu werden. „Empfehlungsmarketing schlägt klassisches Marketing“, sagt Michael Mayer, „in Zeiten nachlassender Werbewirkung ist es das Mittel der Wahl“. In seiner Funktion als BNI-Chef für Österreich und Deutschland muss er das wohl sagen, doch er kann das auch nur sagen, weil so viele ihm recht geben. BNI wächst jährlich um rund 15 Prozent und speist sich aus lauter Menschen, die voll verantwortlich für ein Unternehmen sind und rechnen können. Im Jahr 2017 sind im deutschsprachigen Raum 966 Millionen Euro über insgesamt 483.000 Empfehlungen bei BNI umgesetzt worden.
Was ist denn eine Empfehlung überhaupt? Man setzt freiwillig und ohne Erwartung einer Gegenleistung seinen eigenen Namen und somit seinen Ruf dafür ein, dass man jemanden für eine Aufgabe empfiehlt. Aufgrund der Reputation des Empfehlungsgebers wird die empfohlene Person aus der unendlichen Vielfalt von Anbietern hervorgehoben. Daraus entsteht natürlich eine wechselseitige Verantwortung, und die Münze, mit der bezahlt wird, heißt „Vertrauen“. Die empfohlene Person muss sich des Vertrauens als würdig erweisen, insofern sie die versprochene Leistung auch erbringen kann. Der Empfehlungsgeber muss das aber ebenso, eine Empfehlung braucht nämlich Engagement. Er muss den Kontakt so vorbereiten, dass der Empfohlene sicher sein kann, dass sein Anruf erwartet wird. Wird das Vertrauen enttäuscht und missbraucht, ist auch schon wieder Schluss mit weiteren Empfehlungen. Eine Empfehlung hat also nichts mit Provisionszahlungen und Freunderlwirtschaft zu tun.
Auch wenn das nun „Empfehlungsmarketing“ heißt und als Management-Tool für KMU gehandelt wird, ist es doch einfach die uralte Sehnsucht des Menschen nach persönlicher Bindung. Eine aktuelle Nielsen-Umfrage zeigt, dass 96 Prozent der Menschen der Mundpropaganda am meisten vertrauen. Die menschliche Nähe ist weit wichtiger als Internetsuchmaschinen. XING, Linkedin und Co. sind Business-Vernetzungsplattformen im Web, „aber ich kann dort nichts fühlen“, wie Michael Mayer sagt, „ich weiß nichts über die Verbindlichkeit und Wahrhaftigkeit dieser Angebote“. 

Wer gibt, dem wird gegeben Wer sich auf professionelles Empfehlungsmarketing einlässt, muss zuerst einmal die Richtung seines Denkens ändern. Anstatt begierig zu fragen, „was habe ich davon?“, lautet das Motto „Was kann ich für dich tun?“. Wer gibt, so die Idee, darf darauf vertrauen, dass auch ihm gegeben wird. „Wollen wir eine Welt der Zusammenarbeit oder der brutalen Konkurrenz?“, bringt es Michael Mayer in einen größeren ethischen Kontext und ist überzeugt: „In jedem Marketingplan jedes Unternehmens werden künftig Budgetposten für Empfehlungsmarketing drinstehen.“
Darum treffen sich nächste Woche wieder alle frühmorgens, um sich gegenseitig in nur 60 Sekunden auf launige Art und Weise zu erzählen, was sie machen und suchen. Sigi Bachner wird nächstes Mal die Motorsäge zuhause lassen und seinen Klettergurt mitnehmen. Horst Resch, Geschäftsführer von Compriband, wird wieder seinen Spruch loslassen: „Wir machen dicht“. Es wird sicher wieder eine große Show mit einem klaren Ziel: Empfehlungen zu geben und zu erhalten.