Was hatten die Menschen von mir?

Mitarbeiterbindung
27.03.2023

Ohne Bodo Janssen wären die ­Upstalsboom Hotels nur eine gewöhnliche Hotelkette. Doch Janssen setzte auf mitarbeiterzentrierte Führung und gesellschaftsverändernde Projekte. Der wirtschaftliche Erfolg kam von allein.
Bodo Janssen hat die Selbstverwirklichung seiner Mitarbeiter kompromisslos ins Zentrum gestellt.

Gute Geschichten kann man wieder und wieder erzählen. So wie die von Bodo Janssen, Erbe der Upstalsboom Hotel- und Appartmentgruppe. Eine Kette wie andere auch, wäre da nicht eine berührende Story dahinter – und was Janssen daraus machte. In seinen jungen Jahren studierte Janssen, Jahrgang 1974, Sinologie. Er war fesch, ehrgeizig und sehr von sich überzeugt. Wenn er nicht gerade modelte – im Internet gibt es noch alte Fotos –, genoss er das Leben in vollen Zügen. Bis er 2004 entführt wurde. Er kam wieder frei, doch man darf das Erlebte als traumatisch bezeichnen. Drei Jahre später starb sein Vater bei einem Flugzeugabsturz. Bodo musste übernehmen.
Er hatte hochfliegende Pläne. Die Hotels gehörten damals der Familie nicht zur Gänze, er wollte sie „in die Unabhängigkeit führen“. Also peitschte er seine Leute, holte aus ihnen heraus, was möglich war. Sich selbst sah er „auf dem Titelblatt des Manager Magazins. Am Steuer eines geilen Autos.“ 2010 ließ er eine Mitarbeiterbefragung durchführen. Das Ergebnis war vernichtend. „Die Zahlen konnte ich noch wegreden. Die sind abstrakt.“ Bei den offenen Antworten gab es aber nichts zu deuten: Seine Leute hassten ihn. „Ich saß da wie ein Häufchen Elend. Davor hatte mein Ego das Format einer Turnhalle. Danach das einer Erbse“, schildert er in einem Podcast. Der Interviewer leidet mit ihm. Gute Geschichten wirken auch nach 13 Jahren.

CSR auf die Spitze getrieben
Janssen zog sich in ein Kloster zurück und kehrte 18 Monate später geläutert wieder. Fortan machte er alles anders. Beginnend mit den obersten zehn Prozent seiner damals 600 Mitarbeiter verwirklichte er seine neue Vision: jeden herausfinden zu lassen, was ihn glücklich macht. „Davor habe ich Mitarbeiter als Mittel zum Zweck betrachtet“, bekennt er im Interview mit „die Wirtschaft“, „nun wollte ich ihnen mit meinem Unternehmen eine Plattform zur Selbstverwirklichung bieten.“ Sinngemäß: Wer glücklich ist, strahlt das auch aus. Das spüren die Gäste und kommen wieder. Ein Zimmermädchen hatte schon immer von einem Job am Empfang geträumt. Es durfte umlernen und begrüßt seither strahlend Gäste. Ein Koch wurde zum begeisterten Controller. „Ich spürte diese Sehnsucht nach Potenzialentfaltung statt Ausnutzung“, sagt Janssen.
Anfangs zögerlich, dann zunehmend begeistert folgten die Mitarbeiter. Manche Führungskräfte taten sich schwer, doch das Problem löste sich von selbst: „Einer wurde von seinen Leuten mit Bananen beworfen, bis er ging.“ Bald hatte sich die Zahl der Bewerbungen verfünffacht und die Fluktuation halbiert. Janssen erkannte, „dass meine Saat aufgeht“.
Natürlich kümmerte er sich auch um die realen Probleme seiner Organisation. Davor war ihm wiederholt signalisiert worden, dass es in den Restaurants zu wenig Besteck gab. Er hatte es ignoriert. Es gab sogar einen Begriff dafür: „Der Kellner macht schon wieder das Löffelgesicht.“ Ein paar hundert Bestecksets später hatte sich das Löffelgesicht erledigt. Andere träumten von weniger Checklisten und mehr Zeit für die Gäste. Janssen ließ sie mitentscheiden, welche bürokratischen Erfordernisse man kippen konnte. Schritt für Schritt drehte er seine Gruppe in ein mitarbeiterzentriertes Unternehmen um. Der „Upstalsboom-Weg“ gilt heute als Synonym für flächendeckenden Mindset-Wandel.

Upstalsboomer auf Zeit
Auch die wirtschaftliche Rechnung ging auf. 2014 hatte Janssen den Umsatz im Vergleich zu 2009 bereits auf 42 Millionen Euro verdoppelt. Im Interview nennt er 2021 „das beste Jahr unserer Geschichte“. Wegen üppiger Coronaförderungen? „Nein. Wir hatten zwar pandemiebedingt nur sieben Monate offen, aber in der Hauptsaison. Wir waren ausgebucht.“ Für die Schließzeiten kamen die Mitarbeiter selbst mit Ideen: „Manche ließen sich kündigen und halfen beim örtlichen Arbeitsamt aus. Gegen Wiedereinstellungszusage.“ Detail am Rande: Die Impfquote in seinen Häusern beträgt 95 Prozent. „Ein Drittel mehr als im deutschen Durchschnitt. Für mich ist das ein Zeichen einer guten Gemeinschaft – auch wenn manche über ihren Schatten springen mussten.“ 2022 schloss er mit 60 Millionen Euro Umsatz ab. Die nicht alle aus dem Hotelgeschäft kamen: Eine Dreiviertelmillion trug das Seminargeschäft bei. Das klingt wenig, doch tatsächlich stehen diesen Umsätzen kaum Kosten gegenüber. „Einen besseren Deckungsbeitrag gibt es nicht.“
Dahinter steht ein schlaues Geschäftsmodell. Als das Hotelgeschäft dank gelebter Philosophie und der knackigen Story dahinter ein Selbstläufer war, gab Janssen die kaufmännische Führung ab und widmet sich seither seiner Mission, der Mitarbeiterentwicklung. Er gründete die „Upstalsboom Werkstatt“ mit Curricula, Workshops und Seminaren für seine Leute. Weil aber die Nachfrage auch extern groß ist, besetzt er sie zur Hälfte mit zahlenden Kunden, die auch mal 4.990 Euro (zzgl. Hotel und Verpflegung in seinen Häusern) auf den Tisch legen. Janssen nennt sie die „Upstalsboomer auf Zeit“. Die andere Hälfte sind Interne, die ohnehin zur Weiterbildung gekommen wären. Die Curricula selbst werden von Mitarbeitern gehalten. Daher keine externen Kosten, aber schöne Umsätze – genug, dass Janssen unlängst ein leerstehendes Hotel in Emden zukaufte und es in den „Campus des Seins“ umwandelt.
Dort lernt man dann etwa, dass Führung mit Selbstführung beginnt: sich seiner Muster bewusst werden und alte Glaubenssätze abschütteln. Kernfrage: Warum will ich führen? Um Aufmerksamkeit zu bekommen, nach der Gleichung Aufmerksamkeit = Liebe? Wenn ja, „dann haben andere nichts davon, dass es mich gibt. So entsteht Fachkräftemangel. Weil es ja keinen Mangel an Menschen gibt, sie kommen nur nicht zu mir.“ Dient Führung aber dem Zweck, Menschen zu stärken und zu entwickeln, zieht das weitere Mitarbeiter an. Der wirtschaftliche Erfolg kommt dann von selbst. Janssen subsumiert das mit der allabendlichen Sinnfrage: „Was hatten die Menschen heute davon, dass es mich gibt?“

Neue Ufer
Sein eigener Fokus liegt längst auf neuen Projekten. Etwa einem Gesundheitszentrum für Mitarbeiter und externe Seminarteilnehmer. Es soll „die Schwächen des öffentlichen Systems ausmerzen: schnelle Termine und Untersuchungen nach Nutzen-, nicht nach Kostenkriterien“. Begründung: „Weil Politik und Gesellschaft nicht weiterkommen.“
Das zweite Projekt schafft betreuten Wohnraum für pensionierte Mitarbeiter: „In ihren alten Jahren sollen sie so wohnen können, wie sie es dann brauchen.“ Interessierte sind zu 20 Prozent beteiligt, die Nachfrage ist groß. Zwischen Vortragsreisen und dem jährlichen Buch fällt der Reiseveranstalter gar nicht auf, den er ausgerechnet in der Pandemie gründete. Inhalt ist „die Reise des Lebens: inspirierende Menschen an inspirierenden Orten.“
Ins inspirierende Salzburg kommt Janssen vom 3. bis 5. Mai für sein „Exklusivseminar FOKUS! Worauf es jetzt ankommt.“ Womit er dort wohl starten wird? Bestimmt mit seiner berührenden Geschichte.