Warum gute Mitarbeitende gehen
In vielen Unternehmen kündigen Top-Mitarbeitende nicht von heute auf morgen, sondern innerlich – lange bevor sie das Unternehmen tatsächlich verlassen. Wer die Signale rechtzeitig erkennt und ernst nimmt, kann dem Fachkräftemangel wirksam entgegenwirken.

In zahlreichen österreichischen Unternehmen – vom Maschinenbau über den Handel bis hin zum Bau- oder Dienstleistungssektor – ist der Fachkräftemangel längst Realität. Während sich der Blick oft auf den externen Arbeitsmarkt richtet, wird ein entscheidender Aspekt häufig übersehen: die stillen Abgänge langjähriger und leistungsstarker Mitarbeitender. Diese verlassen das Unternehmen nicht über Nacht, sondern haben innerlich oft schon lange zuvor gekündigt – bevor das schriftliche Kündigungsschreiben auf dem Tisch liegt.
Der Prozess beginnt schleichend: Der hochengagierte Kollege wirkt zunehmend distanziert. Ideen bleiben aus, die Energie lässt nach, Termine werden nur noch pflichtbewusst erledigt. Wenn schließlich die Kündigung erfolgt, ist die Überraschung groß – obwohl sie sich intern längst abgezeichnet hat.
Unausgesprochene Unzufriedenheit
In den wenigsten Fällen ist das Gehalt der Hauptgrund für eine Kündigung. Viel häufiger führen emotionale und zwischenmenschliche Faktoren zum Bruch: das Gefühl, nicht gehört zu werden, mangelnde Wertschätzung durch die Führungskraft, fehlende Entwicklungsperspektiven oder intransparente Entscheidungen.
Insbesondere in hierarchisch geprägten Unternehmen fehlt oft eine gelebte Feedbackkultur, um solche Signale rechtzeitig zu erkennen. Mitarbeitende äußern ihre Unzufriedenheit nicht offen, sondern ziehen sich still zurück – aus Gesprächen, aus Projekten, aus ihrer aktiven Rolle. Diese Form der inneren Kündigung ist gefährlich, da sie nicht nur einzelne Fachkräfte betrifft, sondern ganze Teams demotivieren kann.
Führungskultur im Wandel
Die Anforderungen an Führungskräfte haben sich gewandelt – insbesondere in einem Umfeld, das von Veränderungen, Fachkräftemangel und Digitalisierung geprägt ist. Autoritärer Führungsstil und reine Kontrolle stoßen heute an ihre Grenzen. Gefragt ist eine dialogorientierte, unterstützende Führung, die auf Eigenverantwortung, Vertrauen und Wertschätzung setzt.
Ein zentrales Element moderner Führung ist aktives Zuhören. Wer ausschließlich operative Ziele im Blick hat, übersieht leicht die leisen Signale von Unzufriedenheit. Führungskräfte sollten sich regelmäßig Zeit nehmen, um zuzuhören – nicht nur zu steuern. Gerade in stressintensiven Branchen, in denen Zeit ein knappes Gut ist, zahlt sich dieser „Zeitverlust“ langfristig aus – in Form stabiler, loyaler Teams.
Wertschätzung als Führungsinstrument
Wertschätzung ist kein „weiches“ Thema, sondern ein harter Erfolgsfaktor. Studien zeigen, dass mangelnde Anerkennung durch Vorgesetzte einer der häufigsten Kündigungsgründe ist – noch vor finanziellen Aspekten. Dabei geht es nicht um oberflächliches Lob, sondern um ernst gemeintes Interesse, klare Kommunikation und das Erkennen individueller Leistungen.
Führungskräfte sollten sich fragen: Wie oft spreche ich mit meinen Mitarbeitenden über ihre Arbeit – abseits von Deadlines und Problemen? Wann habe ich zuletzt nach ihrer Meinung gefragt oder Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt? Wertschätzung beginnt im Alltag – und sie beginnt bei der Haltung.
Junge Generationen – andere Erwartungen
Gerade jüngere Mitarbeitende, die heute den Arbeitsmarkt prägen, bringen ein verändertes Verständnis von Arbeit mit: Sie suchen Sinn, Gestaltungsspielraum und eine authentische Beziehung zu ihrem Arbeitgeber. Transaktionale Angebote wie „Du gibst Leistung, ich zahle Gehalt“ reichen ihnen nicht mehr aus.
Zugleich fehlt ihnen häufig die Erfahrung, wie berufliche Beziehungen aktiv gestaltet werden können. Viele haben erlebt, dass Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber wenig zurückbringt. Die Folge: ein Hang zur Flexibilität, der Fokus auf das eigene Leben – nicht auf den Betrieb. Das bedeutet nicht, dass sie weniger leistungsbereit sind, sondern dass sie stärkere Gründe brauchen, um zu bleiben.
Unternehmen, die auf diese Erwartungen mit Offenheit, Dialog und echter Entwicklungsperspektive reagieren, haben die Chance, junge Talente nicht nur zu gewinnen, sondern langfristig zu binden.
Warnsignale erkennen
Es gibt typische Frühwarnzeichen, die eine stille Kündigung ankündigen können – etwa zunehmende emotionale Distanz, fehlendes Engagement in Meetings, eine reduzierte Eigeninitiative oder das Ausbleiben konstruktiver Kritik. Wer diese Zeichen erkennt und anspricht, hat gute Chancen, Mitarbeitende zurückzuholen oder zumindest einen wertschätzenden Dialog zu führen, der auch bei einer Kündigung zu einem professionellen Abschluss führt.
Oft reicht es, ernsthaft zuzuhören, ehrliches Interesse zu zeigen und konkrete Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Wer als Führungskraft signalisiert: „Ich sehe dich, ich nehme dich ernst“, kann eine beginnende Abwanderung häufig noch stoppen.
Beziehungsarbeit ist Führungsarbeit
Fachkräftemangel lässt sich nicht allein durch bessere Gehälter oder attraktive Benefits lösen. Die emotionale Verbindung zum Unternehmen ist der entscheidende Faktor für langfristige Bindung. Führungskräfte sind gefordert, ihre Rolle als Beziehungsmanager ernst zu nehmen: zuzuhören, zu fördern, transparent zu kommunizieren – und vor allem: Wertschätzung nicht als Floskel, sondern als Führungsinstrument zu verstehen.
Die besten Mitarbeitenden verlassen selten von heute auf morgen das Unternehmen – sie gehen, wenn sie sich innerlich längst verabschiedet haben. Wer das früh erkennt, kann gegensteuern und gewinnt nicht nur Loyalität, sondern auch die Grundlage für eine stabile, leistungsfähige Unternehmenskultur.
Der Autor

Christian Conrad, Autor des Praxisbuchs „Magnetische Unternehmenskultur“, Trainer und Coach bringt über 25 Jahre Führungserfahrung und tiefes Know-how in nachhaltiger Unternehmensentwicklung mit. Als „Change Catalyst“ unterstützt er wachsende mittelständische Unternehmen dabei, das Problem „Fachkräftemangel“ für sich zu lösen. Seine Vision: 1 Million mehr lächelnde Menschen am Arbeitsplatz. Seine Leidenschaft für authentische Kommunikation und empathische Führung macht ihn zum gefragten Berater für CEOs, Unternehmer und Top-Führungskräfte. Mit seinem einzigartigen Programm „Engagement Booster“, das die emotionale Verbundenheit der Mitarbeiter zum eigenen Unternehmen verstärkt und messbar macht, setzt er neue Maßstäbe in der Förderung von Arbeitgeberattraktivität und Produktivität in Unternehmen.