Wann ­weniger mehr ist

Wachstum
26.07.2018

 
Es muss nicht immer Wachstum sein. Es gibt auch andere Konzepte, die Unternehmen zu mehr Stärke und Nachhaltigkeit verhelfen. Ein Plädoyer für ­Redimensionierung als bewusste Reduktion.

Höher, weiter, schneller – unsere Ökonomie kennt für gewöhnlich nur eine Richtung. Eine Haltung, die es laut Honorarprofessor Albert Walter Huber dringend zu überdenken gilt. Denn manchmal sind es gerade ein paar Schritte zurück, die ein Unternehmen wieder so richtig auf Schiene bringen können. Der Begriff für diesen Weg zurück zu neuer Kraft und Handlungsfähigkeit lautet Redimensionierung. Sie hat allerdings nichts mit Scheitern zu tun. Vielmehr müsse sie bewusst, ohne Zwang von innen oder außen erfolgen, sagt Albert Walter Huber, der seit zehn Jahren neben seiner Tätigkeit als Berater für Unternehmenskauf und -verkauf an der IMC Fachhochschule Krems lehrt. Sein Credo lautet: Die Redimensionierung spiegelt sich in einer bewussten Reduktion der gegenwärtigen Unternehmensgröße wider. Damit grenzt sie sich ganz klar von der Sanierung oder Restrukturierung ab, die als Folge einer Negativentwicklung im Unternehmen eingesetzt werden und einem Zwang folgen. 

„Wachstumskonzepte werden ja auch immer bewusst erarbeitet“, erklärt Huber. Wenn es einen bewussten Weg nach oben gibt, müsse es also auch einen bewussten Weg nach unten geben. In den überwiegenden Fällen sei dieser Weg allerdings negativ besetzt und Kennzeichen einer Krise. Doch es gibt laut Huber auch noch andere Wege als nur jene steil nach oben, die zu mehr Stärke und zu einem höheren Selbstbewusstsein des Unternehmens führen. 

So kann sich die Redimensionierung in unterschiedlichen Formen zeigen, beispielsweise in einer Verringerung der Produktion, einem Verkauf von Niederlassungen oder im Abbau von Mitarbeitern. Im Idealfall bietet die Reduktion eine Chance auf eine bewusste Steigerung der Produkt-, Arbeits - und Managementqualität sowie der Mitarbeiterzufriedenheit. „Die Redimensionierung schafft ein Umfeld, das in Folge zu Stabilität, Nachhaltigkeit und je nach Ausrichtung auch wieder zu neuem qualitativem Wachstum führen kann“, erklärt der Berater.    

Motive und Ziele für Redimensionierung Die Wirtschaftsgeschichte hat uns bereits mehrere Krisen beschert. Ein Learning, das Huber aus ihnen ableitet: „Wenn alle in eine Richtung gehen und sich in überschwänglichem Optimismus üben, bleiben in der Krise auch entsprechend viele auf der Strecke.“ Dennoch ist blinder Wachstumsglaube in unserem Wirtschaftsverständnis fest verankert. Er wird nahezu als das einzige Konzept für ein besseres Leben und Reichtum verbreitet. Dabei brauchen nicht nur Menschen Ruhe, auch Unternehmen benötigen gelegentliche gemächlichere Phasen, um zu Stabilität zu finden, meint Huber. Die Redimensionierung gibt Unternehmen, aber auch Unternehmern und Mitarbeitern die Möglichkeit, diese Stabilität zum Nutzen aller Stakeholder zu erlangen und im Anschluss fit für neue Ziele zu sein. Erfolgreiche Unternehmer leben davon, etwas anders, etwas besser zu machen als andere, warum also nicht auch bei den Wachstumskonzepten ausscheren und eine andere Richtung einschlagen?    

Risiken erkennen, Vorbereitungsmaß­nahmen treffen Natürlich gilt es bei einer Redimensionierung, auch Risiken zu beachten. So können es sich manche Unternehmen schlicht nicht leisten, nicht zu wachsen. Eine Redimensionierung bedeutet in ihrem Fall den Verlust von Marktanteilen oder eine teilweise Verdrängung durch den Mitbewerber. Genau muss auch darauf geachtet werden, dass Mitarbeiter oder andere Stakeholder das Konzept „Rückwärts“ nicht missverstehen und negativ interpretieren. Die Redimensionierung bedarf daher einer gezielten Kommunikation nach innen und außen sowie ausreichender Rücklagen, um auch Durststrecken ohne Probleme überwinden zu können. Huber betont besonders den Faktor Kommunikation. „Es ist nicht so, dass Unternehmen durch die Redimensionierung zwingend Marktanteile oder Ansehen verlieren, sie gewinnen vielmehr etwas anderes, etwas Neuartiges. Sie geben neue Wege vor, und wenn diese neuen Wege ausreichend positiv kommuniziert werden, steht einem Erfolg nichts im Weg“, so Huber.  

Erfolgreiche Praxisbeispiele – mehr Lebensqualität Der Berater betreut jährlich eine Vielzahl an Übergebern und Übernehmern und weiß, wann Betriebe reif für die Reduktion sind. Sehr häufig sind es erfolgreiche Unternehmer, die über wenig Zeit klagen und sich wie im Hamsterrad fühlen. Viele wollen sogar aussteigen, verkaufen und etwas anderes machen, mit weniger Arbeitsintensität. Genau hier führt Huber die Redimensionierung gerne als Alternative an – einen Weg „zurück zu den Wurzeln“. Es sei aber von immenser Bedeutung, dass dieser Weg bewusst eingeschlagen und verfolgt werde, ansonsten befinden sich Unternehmer und Unternehmen sehr schnell wieder im alten Arbeitsablauf. „Die Lebensqualität ist heute ein unbezahlbares Gut, viele verzichten daher bewusst auf mehr und gewinnen damit andere Perspektiven“, erzählt der Berater. Er kann dem durchaus auch eine soziale Komponente abgewinnen, da die Redimensionierung auch Platz für andere schafft – in Summe sollte die Qualität aber steigen, und damit wäre dann allen geholfen.       

Eine Frage der Kultur Damit die Übung gelingen kann, bedarf es einer eigenen Kultur, meint Huber. Nur aus ihr erwächst der Mut, um neue unbekannte Wege zu gehen. Die Unternehmen müssen Freiräume schaffen, Kreativität zuzulassen und aktiv fördern. Die dadurch verstärkte Mitarbeitereinbindung führt zur Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen und damit zu ­Authentizität. Gerade diese sei laut Huber als Zeichen nach außen – im Rahmen einer geeigneten Kommunikation – einer der wichtigsten Faktoren. 

Wenn die Übung gelingt, führt die Redimensionierung zu einer gewissen Ruhe im Unternehmen. Sie soll Raum bieten, um Arbeitsvorgänge neu zu durchleuchten, neu zu gestalten, zu hinterfragen und zu optimieren. „Die Ruhe gibt Kraft für Neues“, resümiert Albert Huber, „auch wenn es dann wieder Wachstum heißt.“