Traiskirchen: Neues Leben in Ruinen

Infrastruktur
12.10.2017

 
Eine Vision wird Wirklichkeit: Der Unternehmer Leopold Wieselthaler verwandelt die ehemaligen Semperitwerke in Traiskirchen in einen neuen Stadtteil. Sein Erfolgsrezept klingt simpel – doch es geht voll auf.
2011 ist wieder Leben in die Gemäuer gekommen. In Zukunft sollen rund 2000 Mitarbeiter im neuen Stadtteil von Traiskirchen tätig sein.

Text: Markus Mittermüller

Ist es eine Baustelle? Eine verwaiste Industrieruine oder doch ein aufstrebendes innovatives Stadtviertel, das sein wahres Gesicht erst in ein paar Jahren zeigen wird? Wer sich in Traiskirchen dem seit 2011 bestehenden Gewerbepark nähert, der entdeckt von jedem etwas. Während beim Fitnesscenter reger Betrieb herrscht, versehen Bauarbeiter das in die Jahre gekommene Nebengebäude mit einer modernen Fassade. Zwischen verlassen wirkenden Fabrikshallen weisen Firmenschilder auf neues Leben hin: Magna Powertrain, der Verein für Menschenrechte oder die Caritas – sie alle haben hier bereits Quartier bezogen. Die Semperitstraße, die zum Gewerbepark führt, verrät Ortsfremden, wer hier einst die wirtschaftliche Pole-Position innehatte. Mehr als 5.000 Mitarbeiter waren in den besten Zeiten beim Reifenhersteller Semperit beschäftigt. Im Jahr 2002 zog Continental die Reifenfertigung aus der Stadtgemeinde ab, sieben Jahre danach kam mit der Einstellung der Semperit-Mischungsherstellung das endgültige Aus für das Traditionsunternehmen. Mehr als ein Tiefschlag für die gesamte Region.

JE BUNTER, DESTO BESSER

Doch 2011 ist wieder Leben in die Gemäuer gekommen. In Zukunft sollen sogar wieder rund 2.000 Mitarbeiter am Standort tätig sein. Hinter dem Projekt steht Leopold Wieselthaler, der mit seinem Geschäftspartner Georg Beckel schon eine Vielzahl ähnlicher Standortvitalisierungen in Österreich und Deutschland umgesetzt hat. Seine Vision war von Anfang an klar: „Ich will hier einen neuen Stadtteil schaffen, mit Schulen, Kindergärten, Gastronomie und einem Mix aus unterschiedlichen Unternehmen. Je bunter, desto besser“, erklärt Wieselthaler. Dass sein Konzept aufgeht, zeigen die aktuellen Zahlen. Der Gewerbepark ist derzeit mit 65 Mietern zu 48 Prozent ausgelastet, 700 Personen arbeiten insgesamt am Gelände. 140.000 Quadratmeter Fläche sind schon vermietet. „Ich bin selbst überrascht, wie gut es geht“, so der Projektentwickler, der seinen ursprünglichen Businessplan schon viermal überarbeiten musste. Im positiven Sinn, wohlgemerkt. „Gegenüber den anfänglichen Zielvorgaben sind wir schon ein Dreivierteljahr voraus“, bestätigt Wieselthaler.

15 MILLIONEN INVESTMENT

Welches Erfolgsrezept dazu geführt hat? „Wir haben eine Vision, Verständnis für die Mieter und investieren die Gelder vernünftig“, erklärt der studierte Betriebswirt. Für ihn gibt es also kein besonderes Geheimnis. Vielmehr sind es ein paar klare Richtlinien und Zielvorgaben, die der Unternehmer konsequent befolgt. Investitionen in die Infrastruktur gleich zu Beginn sind dabei ein Muss. „Wenn du diese Aufgabe nicht erledigst, holt dich das im Laufe der Zeit immer wieder ein“, betont Wieselthaler. Im Falle des ehemaligen Semperitwerks war die Entkernung eine „gewaltige Aufgabe“, die sich über eineinhalb Jahre erstreckt hat. Die Dächer – immerhin mit einer Gesamtfläche von 80.000 Quadratmetern – waren schwer beschädigt, Stromund Wasserversorgung mussten auf neue Beine gestellt werden. Insgesamt wurden bis heute zwischen zwölf und 15 Millionen Euro in die Infrastruktur investiert.

Bei der Stromversorgung setzt der Projektentwickler auf erneuerbare Energien. Mit der größten Photovoltaik-Aufdachanlage Niederösterreichs und Wiens können ganzjährig 1.160 Haushalte, also rund 15 Prozent des gesamten Orts, mit Solarstrom versorgt werden. Die Anlage, die von Wien Energie betrieben wird, umfasst 24.000 Quadratmeter – eine Fläche größer als zwei Fußballfelder.

DIE SCHÖNHEIT KOMMT ZUM SCHLUSS

Wieselthaler räumt mit einem der häufigsten Fehler auf, den seiner Meinung nach viele Projektentwickler begehen. „Wir bauen keine Potemkin’schen Dörfer. Es ist falsch, in die Ästhetik zu investieren und dann auf Mieter zu warten“, erklärt der Geschäftsführer. „Schönheit kommt bei uns erst nach drei Projektjahren“, meint er. Gleichzeitig verzichtet Wieselthaler auf jegliche Form von Werbung und Marketing für seinen Gewerbepark, auch einen Makler sucht man vergebens. Keine schöne Verpackung, keine Promotion – was zieht die Mieter also nach Traiskirchen? Eine Antwort liegt sicherlich in den Mietpreisen, die laut Wieselthaler um 25 Prozent unter den gängigen Marktpreisen liegen. So sind Büroflächen ab 6,90 Euro pro Quadratmeter zu haben, Lagerhallen gibt es schon ab 3,90 Euro. Dazu Wieselthaler: „Alles, was wir uns an Werbeausgaben ersparen, geben wir an die Mieter weiter.“ Hier lässt der Unternehmer die Mundpropaganda für sich arbeiten. „Bestehende Mieter oder auch Lieferanten empfehlen uns weiter. 27 unserer Mieter haben wir allein auf diese Weise bekommen“, sagt der Projektentwickler.

KEEP IT SLIM

Ein Baustein des Erfolgs – die Auslastung sämtlicher bisheriger Projekte beträgt im Schnitt 88 Prozent – ist auch die Zusammensetzung des Teams. Mit seinem Geschäftspartner Georg Beckel arbeitet Wieselthaler seit rund 40 Jahren zusammen, mittlerweile sind auch die Söhne der beiden Geschäftsführer mit an Bord. Nach dem Motto „Keep it slim“ konzentriert sich das Familienunternehmen auf die eigenen Kernkompetenzen und lagert alles andere – von Recht über Steuern bis zum Baubereich – an Experten aus. Liegt die Auslastung bei einem Projekt um die 50 oder 60 Prozent, übergeben Beckel und Wieselthaler das operative Geschäft an einen Geschäftsführer, bleiben aber selbst noch Eigentümer. Die Vorzeichen, dass es bald so weit sein könnte, stehen gut. Auch ein Hotel wird hier bald seine Pforten öffnen, im kommenden Jahr soll der Gewerbepark sogar eine eigene Haltestelle der Badner Bahn bekommen. Die Branchendiversität, die sich Wieselthaler als Vision vorgestellt hat, ist bereits Realität. Neben industrieller Produktion, Forschung und Entwicklung und Architekturbüros ist mittlerweile auch das Wiener Tramwaymuseum in Traiskirchen eingezogen. Und selbst die Schönheit zieht gerade ein: Die Außenfassaden des Eingangsgebäudes bekommen derzeit einen neuen Look. Zäune und Mauern, die das Gelände umgeben, sollen in naher Zukunft schwinden. Gut möglich, dass der Gewerbepark – er liegt nur 180 Meter Luftlinie vom Rathaus entfernt – in ein paar Jahren wirklich als pulsierender neuer Stadtteil von Traiskirchen wahrgenommen wird. Und nur mehr die Semperitstraße an die einstige Industrie erinnert.

Autor
Markus Mittermüller