Wissen

Sprechen, wissen, anwenden

Ausbildung
15.02.2022

 
Dass der Mensch sich zu seiner heutigen Form entwickelt hat, hat laut Gregor Fauma mehrere Gründe. Ein ganz wesentlicher war die Möglichkeit, Wissen zu vermitteln, wie ein Rückblick des Evolutionsbiologen und Verhaltensforschers zeigt.
Gregor Fauma mit Schädeln zur Evolution

Wir Menschen bevölkern seit Millionen Jahren den Planeten. Unsere Erscheinungsform hat sich ständig verändert. Wir wurden langsam größer, gestreckter, aufrechter. Wir haben die Schnauze verloren, die Gesichter wurden platter. Das Verhältnis Gliedmaßenlänge zur Oberkörperlänge hat sich in Richtung Oberkörper verändert, und die Beine wurden gerade. Auch entwickelten wir die Fähigkeit zum Pinzettengriff. Wir können damit eine Münze vom Boden aufheben – auch wenn das in der Savanne vor zwei Millionen Jahren kein wirkliches Asset war. Eher schon das Ergreifen von Insekten. Unter welchem Namen man diese sich entwickelnde Affenart nun führt, spielt eigentlich keine Rolle.
Die Entwicklung war kontinuierlich, einmal schneller, einmal langsamer. Aus meiner Sicht waren es zwei Veränderungen, die disruptiv unsere Evolution in Richtung „sapiens“ beschleunigt haben. Da war einerseits der Gebrauch von Feuer, der uns unsere Nahrung hat vorverdauen, vulgo kochen lassen. Das hat unserem Körper so viel an Verdauungsenergie eingespart, dass uns diese Energie, sehr vereinfacht, direkt ins Hirn geschossen ist: Das Gehirnvolumen hat sich in kürzester Zeit verdreifacht! Wer sich also paläo ernähren möchte, kann gleich wieder auf die Bäume hinaufklettern. Auch konnten wir uns mit dem Feuer auf einmal gegenüber den Großkatzen verteidigen, welche die Menschen schon an den Rand des Aussterbens gebracht hatten. Wir wechselten von der Opfer- in die Täterrolle. Andererseits war es die Sprache, die durch eine Mutation einer Gengruppe möglich wurde. Mit der Sprache entstand die Bildung. Erfahrenes konnte auf einmal ganz einfach vermehrt und geteilt werden. Geschichten konnten über Generationen weitergegeben werden. Gesammeltes Wissen, zum Beispiel über tödliche Skorpione oder Pilze, wurde fixer Inhalt der Geschichten, welche das Überleben in der Savanne wahrscheinlicher machten. Wir konnten uns auf einmal so richtig vermehren. Feuer und Sprache, Schutz und Wissenstransfer – gute Voraussetzungen für eine kulturelle Evolution.

Das Gehirnvolumen hat sich in kürzester Zeit verdreifacht.

Gregor Fauma, Evolutionsbiologe

Wissen schafft Entwicklung

Die Kombination war natürlich unschlagbar: Das Wissen wurde immer mehr – aber auch die Fähigkeit, es zu teilen. Kein Wunder, dass die ältesten Bilder Jagdszenen aus der Steinzeit darstellen. Man kann die Höhlenmalereien ruhig als erste Powerpoint-Slides der Menschheit betrachten. Vermutlich hat ein erfahrener Jäger mit diesen Skizzen an der Höhlenwand seine Strategie gelehrt. Er war womöglich der erste Ausbildner der Menschheit. Und überall dort auf dem Planeten Erde, wo es kurze Kommunikationswege für viele Menschen gibt, wo es eine Kultur der Wissensvermittlung gibt, ist eine sehr schnelle Entwicklung möglich. Und was die Evolution im Großen vorzeigt, ist natürlich auch ontologisch innerhalb von Jahrzehnten sichtbar: Mit jedem Technologiesprung, der die Kommunikation unter uns Menschen weiterbringt, steigt auch das Wissen der jeweiligen Gesellschaft. So ist es auch mit dem Speichern von Wissen. War es früher mühsam, in Lexika ein paar Definitionen zu einem Thema zu finden, so hat uns das Internet Wissen auf Abruf zur Verfügung gestellt. Schnelle Kommunikation, immenser Wissensspeicher – wir überholen uns gerade selber. Wissen bedeutet aber noch nicht Kompetenz. Abstraktes, abrufbares Wissen ist Basis von Kompetenz, aber ohne das Tun, das Ausprobieren, das Vervollkommnen bleibt Wissen abstrakt und kaum nutzbar. Hier treten wir Trainer und Coaches auf den Plan. Wir vermitteln Wissen, wir bringen die Kunden ins Handeln und trachten danach, dass diese in Zukunft ohne uns auskommen. Aus Wissen Kompetenz machen, aus Kompetenz heraus neues Wissen kreieren – dieser Kreislauf hat uns von den Bäumen in die Büros gebracht. Gehen wir nicht zu leichtfertig damit um!

Zur Person

Gregor Fauma ist Verhaltensforscher und Evolutions­biologe mit Schwerpunkten auf Neurophysiologie und ­Künstliche Intelligenz. Sein Wissen vermittelt er als Businesscoach, Speaker und Buchautor.