Mehr Respekt, bitte!

Mitarbeiterführung
17.02.2023

 
In vielen Betrieben ist der Umgangston – krisenbedingt – rauer geworden. Das wirkt sich negativ auf die Motivation ihrer Mitarbeiter und deren Leistung aus. Dabei können schon kleine Gesten den wesentlichen Unterschied machen.
Mitarbeiter motivieren und respektieren

Wenn Unternehmen unter einem hohen Druck stehen, zum Beispiel weil die Umsätze wegbrechen, ist von einem wertschätzenden Umgang mit ihren Mitarbeitern oft nur noch wenig zu spüren. Dann werden im alltäglichen Miteinander nicht selten sogar die einfachsten Benimm-Regeln vergessen.
Da geht zum Beispiel ein altgedienter Mitarbeiter in den Ruhestand, ohne angemessene Verabschiedung und ohne ein Wort des Dankes. Da wird eine hochqualifizierte und -engagierte Fachkraft, die in einem Meeting sachliche Bedenken gegen die Planungen ihres Vorgesetzten äußert, von diesem vor versammelter Mannschaft angeraunzt: „Wollen oder können Sie nicht? In beiden Fällen sind Sie hier fehl am Platz.“ Da erhält eine Controllerin von ihrem Chef, der im Nachbarbüro sitzt, zehn Minuten vor Feierabend per E-Mail die Anweisung, sie müsse bis zum nächsten Morgen eine Präsentation vorbereiten, obwohl dieser weiß: Sie muss ihr Kind vom Hort abholen.

Der Umgangston ist rauer geworden
Das Klima hat sich in vielen Betrieben seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie verschlechtert. Der Umgangston wurde immer rauer. Das fängt bei den mittleren Führungskräften an. Sie sind um ihre Sandwich-Position als Mittler zwischen den Chefs ganz oben und den Angestellten unten nicht zu beneiden. Denn sie bekommen die operative Hektik, die in den Chefetagen vieler Unternehmen herrscht, meist unmittelbar zu spüren. Und weil sie selbst unter einem enormen Druck stehen, geben sie ihn nicht selten ungefiltert an ihre Untergebenen weiter.
Was auf der Strecke bleibt, ist das Zusammengehörigkeitsgefühl. In vielen Unternehmen regiert heute – obwohl eine bereichs- und funktionsübergreifende Team- und Projektarbeit propagiert wird – das Einzelkämpfertum. Jeder ist, so erscheint es oft, primär mit dem eigenen Überleben beschäftigt.

Mitarbeiter mutieren zu Human-Kapital
Das ist schade, doch teilweise verständlich, denn: Durch die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg und deren Folgen wie Energiekrise und Inflation ist der Veränderungs- und Handlungsdruck in vielen Unternehmen enorm gestiegen. Zudem arbeiten weite Teile ihrer Belegschaft – zumindest psychisch – seit fast drei Jahren an ihrer Belastungsgrenze.
Oder anders formuliert: In vielen Unternehmen ist der Druck im „Kessel“ aktuell so hoch, dass das Betriebsklima immer rauer wird. Zugleich wird aber vom Management weiterhin betont: „Wir brauchen intrinsisch motivierte Mitarbeiter, die sich mit dem Unternehmen identifizieren und sich eigeninitiativ für das Erreichen der Ziele engagieren.“ Doch woher sollen diese kommen, wenn sich bei den Mitarbeitern zunehmend das Gefühl verdichtet: „Wir werden nur noch als Human-Kapital gesehen, das je nach Bedarf mal gehätschelt und mal getreten oder mal auf- und abgebaut wird.“ Dann gehen sie sozusagen automatisch auf Distanz zum Unternehmen. Das heißt auch, ihre Arbeitsmotivation und Leistung sinkt.

Mitarbeiter müssen Wertschätzung spüren
Nicht oft genug kann deshalb betont werden: Wird in den offiziellen Verlautbarungen eines Unternehmens immer wieder ein partnerschaftlicher, von wechselseitigem Respekt geprägter Umgang miteinander propagiert, dann müssen die Mitarbeiter diesen im Betriebsalltag auch spüren. Dann ist es schlicht ein No-Go, dass ein altgedienter Mitarbeiter ohne ein Wort des Dankes in den Ruhestand entlassen wird. Denn dann denken alle verbleibenden Mitarbeiter: „Dieses Schicksal droht mir auch einmal.“ Dann ist es ebenfalls ein No-Go, dass eine Führungskraft eine Fachkraft, die sachlich begründete Einwände artikuliert, vor versammelter Mannschaft maßregelt. Denn dann denken alle Anwesenden: „Ich halte künftig besser meinen Mund.“ Und dann ist es auch ein No-Go, dass eine Führungskraft, wenn sie von einem Mitarbeiter Mehrarbeit erwartet, ihm dies nicht persönlich mitteilt. Denn sonst denken alle Mitarbeiter, die davon erfahren: „Unsere persönlichen Interessen und Ziele interessieren hier niemanden. Warum soll ich mich dann für das Unternehmen – mehr als es mir nutzt – engagieren?“
Entsprechend reagieren die Mitarbeiter, wenn ihre Führungskraft, weil sie etwas möchte, plötzlich an das „Wir“ appelliert. „Wir sollten ...“, „Wir wollen ...“, „Wir müssen ...“ Dann sagen zwar alle mit den Lippen Ja und täuschen das gewünschte Engagement vor, doch faktisch denken sie: „Und was habe ich davon? Die können mich mal.“

Auf die scheinbaren Kleinigkeiten achten
Wie viel Respekt und Wertschätzung Führungskräfte ihren Mitarbeitern entgegenbringen, zeigt sich für diese in vielen, scheinbaren Kleinigkeiten. Zum Beispiel darin, wie viel Zeit sie sich für ihre Mitarbeiter nehmen und wie aufmerksam sie ihnen zuhören, wie kompromissbereit sie bei Interessengegensätzen sind oder wie sie auf Versäumnisse und Fehler von ihnen reagieren.
Wer es dauerhaft an Wertschätzung mangeln lässt, läuft Gefahr, irgendwann von Opportunisten umgeben zu sein, die Engagement für die Bereichs- und Unternehmensziele zwar heucheln, aber nicht zeigen.

Die Autorin

Barbara Liebermeister leitet das Institut für ­Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ).