Marktkonforme Vertriebsstrategien entwickeln

Verkauf
26.07.2022

 
Vertriebsleiter müssen neue Vertriebsstrategien entwickeln, wenn sich das Marktumfeld rasch wandelt. Das erfordert auch, bisherige Denk- und Handlungsroutinen über Bord zu werfen. Ein Vertriebscoach kann dabei helfen.
Coaching

Nicht nur für Vertriebsmitarbeiter, sondern auch für Führungskräfte im Vertrieb gilt: Sie entwickeln im Verlauf ihrer beruflichen Biografie gewisse Denk- und Verhaltensroutinen – zum Beispiel bei der Marktbearbeitung. Oder bei der der Mitarbeiterführung. Oder zum Steigern des Umsatzes und der Rendite.

Routinen blockieren zuweilen neue Lösungen

Diese Routinen sind im normalen Arbeitsalltag meist nützlich, weil sie ein schnelles Entscheiden und Handeln ermöglichen. Anders sieht es jedoch aus, wenn sich die Rahmenbedingungen im Markt oder Unternehmen fundamental wandeln – beispielsweise aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung oder aufgrund solcher Ereignisse wie der Corona-Pandemie oder dem Ukraine-Krieg und der daraus resultierenden Folgeprobleme wie

  • dem Zusammenbrechen der Lieferketten,
  • dem sprunghaften Anstieg nicht nur der Rohstoff-,  Energie- und Transportpreise und
  • dem fundamentalen Wandel der Kundenbedürfnisse.

Dann werden die Denk- und Handlungsgewohnheiten, die in der Vergangenheit nicht selten den Erfolg garantierten, häufig zu einem Hemmschuh, der die Entscheider daran hindert,

  • die veränderte Ist-Situation in ihrer Tiefe zu analysieren und
  • hierauf aufbauend neue Handlungsstrategien zu entwerfen.

Die Ist-Situation und die Routinen reflektieren

In einer solchen Marktsituation empfiehlt es sich mit einer neutralen Person, außer der veränderten Ist-Situation die eigenen Denk- und Verhaltensroutinen zu reflektieren, um

  • die gewohnten Reiz-Reaktions- bzw. Handlungsmuster zu durchbrechen und
  • zu neuen Problemlösungen zu gelangen.

Diese Person sollte in der Regel nicht derselben Organisation wie zum Beispiel der Vertriebsleiter angehören, denn: Nicht nur Personen, sondern auch Organisationen entwickeln Denkroutinen, die unter anderem zu einer bestimmten Art des Analysierens, Bewertens und Lösens von Problemen führen. Hinzu kommt: Gerade in Krisen- und Marktumbruchzeiten haben Führungskräfte neben einer Entscheider-, auch eine Leaderfunktion. Das heißt, sie müssen ihren verunsicherten Mitarbeitern Orientierung und Halt geben. Dazu brauchen sie einen durchdachten Fahrplan mit Impulsen, wie es weitergehen soll – auch um die Zuversicht und Gelassenheit auszustrahlen, die ihre Mitarbeiter von ihnen erwarten.

Deshalb tauschen sich Vertriebschefs in Krisen- und Marktumbruchzeiten oft mit einem vertriebs- und führungserfahrenen Business-Coach aus, um ihre bereits vorhandenen Ideen, wie es weitergehen soll, zu überprüfen und abzusichern und/oder Alternativen und neue Wege zu entdecken, denn erfahrene Vertriebschefs wissen: Erfahrung auch eine Kehrseite und die heißt potenzielle Betriebsblindheit.

Durch Fragen zu Selbsterkenntnis und Souveränität

Schon Sokrates wusste: Fragen führen zur Selbsterkenntnis, und diese ist die Grundlage für ein gesundes Selbstbewusstsein. Und dieses Sich-selbst-bewusst-sein bewirkt wiederum die Selbstsicherheit, die zur Souveränität führt. Deshalb schult ein Coach seine Coachees, also Klienten, nicht. Er fragt stattdessen viel und wird so zu einem Beschleuniger von Erkenntnissen, Erfahrungen und Kompetenzen.

In Führungsseminaren wird oft ein Vorratswissen vermittelt – also ein grundsätzliches Wissen, das die Teilnehmer danach bei Bedarf anwenden sollen. Anders ist dies beim Business-Coaching: Hier sind die Ist-Situation und die daraus resultierenden Aufgabenstellungen der gecoachten Person der Ausgangspunkt – also zum Beispiel aktuell eine Marktsituation, in der das Unternehmen

  • seinen Kunden nicht mit einer 100-prozentigen Sicherheit versprechen kann, dass es zum Zeitpunkt x die gewünschte Problemlösung y liefern kann, weil es selbst Beschaffungsprobleme hat, oder
  • als Lieferant, anders als sonst, sozusagen am längeren Hebel sitzt, weil die anderen Lieferanten der Kunden zurzeit nicht lieferfähig sind.

Pragmatisch werden für solche Situationen beim Business-Coaching im Dialog die Handlungsoptionen bzw. möglichen Problemlösungen ermittelt. Dabei gilt: Der Business-Coach entscheidet nichts; er führt nur Entscheidungen herbei.

Ziel: Tragfähige Entscheidungen herbeiführen

Deshalb sollte ein Vertriebscoach außer Feld- und Praxiserfahrung auch eine hohe Beratungs- und Methoden-Kompetenz aufweisen. Außerdem sollte er einen Perspektiv- und Rollenwechsel vollziehen können; also bei Bedarf auch mal in die Chef-, Mitarbeiter-, Kunden- und natürlich Berater-Rolle schlüpfen können, damit die gefundenen Problemlösungen auch tragfähig sind – also beispielsweise in einer so heiklen Marktsituation wie der aktuellen nicht rein auf eine kurzfristige Gewinnmaximierung abzielen, sondern auch einen Ausbau der Beziehung zumindest zu den strategisch wichtigen Kunden.

Generell gilt: Im Coachingprozess steht der Coachee mit seinem Anliegen zentral. Deshalb muss ein guter Coach sich auch als Person zurücknehmen können. Das heißt unter anderem, er kann und sollte mit dem Coachee zwar Fragestellungen durchaus kontrovers diskutieren, um zu mehr Klarheit zu gelangen. Er darf aber nicht pikiert sein, wenn der Coachee bei seiner Meinung bzw. (Markt-)Einschätzung bleibt.

Dasselbe gilt, wenn der Coachee seine Tipps und Hinweise regelmäßig nicht annimmt und umsetzt, denn: Der Coachee ist und bleibt der Entscheider, der die Verantwortung trägt; der Coach ist primär ein Katalysator. Deshalb kommt es im Coachingprozess weniger darauf an, was ein Coach sagt; entscheidend ist, was er beim Coachee bewirkt. Ein erfahrener Coach greift deshalb im begründeten Einzelfall auch bewusst  zu sogenannten paradoxen Interventionen, um den Coachee beispielsweise aus einer „Problemtrance“ zu reißen und Widerspruch zu provozieren. Solche paradoxen Interventionen können Aussagen sein wie:

  • „Sie glauben also nicht, dass Ihre Mitarbeiter lernfähig und -bereit sind.“ Oder:
  • „Ihnen ist es also nicht so wichtig, dass Ihr Unternehmen seine den Kunden gegebenen Versprechen erfüllt.“

Ein möglicher Business-Coaching-Leitfaden

Hier ein möglicher Leitfaden, mit dem ein Coach ein Business-Coaching zielführend gestaltet.

  1. Thema formulieren. Zum Beispiel: „Umsatzeinbruch“
  2. Ausgangsituation darstellen. Zum Beispiel: „Bisher haben wir…. Jetzt ist…. Wenn das so weitergeht, dann.…“
  3. Zu klärende Fragen formulieren.Zum Beispiel:
  • „Welche möglichen Ursachen sind denkbar …?“
  • „War Corona (oder der Ukrainekrieg oder der Preisanstieg/die erschwerte Beschaffung) die Ursache oder nur der Auslöser?“
  • „Welche Wechselwirkungen gilt es zu beachten?“
  • „Wo sehe ich Potenziale und Chancen…?“
  1. Die Fragen in Punkt 3 nochmals gegenchecken und gegebenenfalls neu formulieren.Zum Beispiel: Ist die Schlüsselgröße wirklich der erzielte Umsatz oder der Gewinn bzw. Marktanteil?
  2. Eine Leitfrage für die Kernaufgabe formulieren.Zum Beispiel: „Wie können wir unter den aktuellen Rahmenbedingungen unseren Umsatz profitabel steigern?“
  3. Die Fragen unter Punkt 3 beantworten. ….
  4. Ein unbewertetes Brainstorming zu Handlungsideen:Zum Beispiel:
  • Neue Kunden, ehemalige Kunden, Wettbewerberkunden gewinnen
  • Mehr Seriviceleistungen verkaufen
  1. Kriterien für die Auswahl der weiterzuverfolgenden Handlungsideen formulieren: zum Beispiel
  • „Erfordern wenig Vorinvestitionen“
  • „Sind mit der vorhandenen Mannschaft realisierbar“
  • „Gefährden die Beziehung zu Stammkunden nicht.“
  1. Realistische und zielführende Handlungsideen auswählen und detaillieren:….
  2. (Vorläufige) To-do-Liste „Wer macht was bis wann?“ erstellen.
  3. Mögliches Monitoring der To-do‘s bzw. der Zielerreichung definieren.
  4. Zentrale Erkenntnisse aus dem aktuellen Business-Coaching für das künftige Vorgehen fixieren.

Business-Coaching – individuell oder im Team?

Solche Business-Coachings finden meist als Einzel-Coaching statt. Sie können aber auch als Teamcoachings durchgeführt werden – entweder nur mit Führungskräften im Vertrieb oder interdisziplinär, sodass dem Team zum Beispiel auch Führungskräfte aus dem Marketing, Einkauf oder der IT angehören.

Hilfreich insbesondere beim Entwickeln neuer Problemlösungen und Eruieren weiterer Handlungsoptionen können auch Kleingruppen aus Vertretern unterschiedlicher, nicht miteinander konkurrierender Firmen sein. Tauschen sich diese entweder in Präsenzveranstaltungen und/oder online mehr oder minder regelmäßig über die Marktveränderungen, Veränderungen in der Vertriebslandschaft und ihre gesammelten Erfahrungen aus, erscheinen oft ganz neue Problemlösungen am Horizont.

Verdecktes Doppel-Coaching zur Personalentwicklung

Sinnvoll kann auch ein verdecktes Doppel-Coaching sein. Hierfür ein Beispiel: Der Vertriebsvorstand gibt einem neu ernannten Vertriebsleiter, einem High Potential ohne viel Führungs- oder Felderfahrung, aktuelle Aufgabenstellungen ins Coaching mit, die dieser dort neben seinen eigenen Fragestellungen bearbeiten soll.

Nach dem Coachingtermin lässt sich der Vorstand von dem Coachee die erarbeiteten Erkenntnisse und Handlungsoptionen präsentieren und erklären und erörtert sie mit ihm. Mit dieser Coaching-Variante schlägt das Unternehmen zwei Fliegen mit einer Klappe. Der Vertriebschef tritt mit der Nachwuchsführungskraft in einen intensiven Dialog über die Vertriebsstrategie und -taktik, und der Coachee, also der Vertriebsleiter, verinnerlicht das Prinzip „Lernen durch Lehren“, das er auch bei seiner eigenen Führungsarbeit anwenden kann.

Zum Autor: Peter Schreiber ist Inhaber der auf den B2B-Vertrieb spezialisierten Managementberatung Peter Schreiber und Partner.