Mitarbeitermotivation

Kümmert euch um die Generation X!

Unternehmenskultur
21.12.2023

Die heutigen Mittvierziger bis Endfünfziger übernehmen die Arbeit der scheidenden Babyboomer und ärgern sich über die Bevorzugung der Jungen. Warum es sich lohnt, ihnen Perspektiven zu bieten.
Generation x

Der kanadische Autor Douglas Coupland zeichnete 1991 ein desillusioniertes Bild seiner Generation, die er „X“ nannte. Er teilte die damaligen Mittzwanziger in zwei Gruppen. Ehrgeizzerfressene Yuppies und Workoholics auf der einen Seite, die 60 Wochenstunden in „Kälbermastpferchen“ strampelten und dennoch nie den Wohlstand der Wirtschaftswundergeneration vor ihr erreichen würden. Desillusionierte Aussteiger und Punks auf der anderen Seite, die das Hamsterrad verweigerten und von „würdelosen“ MacJobs lebten.
Der Name, „Generation X“, blieb und wurde für die folgenden Generationen Y und Z fortgeschrieben. Die damaligen Mittzwanziger sind heute laut Definition 43 bis 58 Jahre alt und so frustriert wie eh und je. Die Aussteiger von damals mussten spätestens mit der Familiengründung reguläre Jobs annehmen und sitzen sie bis zur Pension ab. Die Yuppies aber, die noch mit dem Prinzip der Seniorität aufgewachsen waren, kämpften ihr gesamtes Berufsleben darum, endlich „ganz nach oben“ zu kommen. Es kam anders.

Verlust an Aufmerksamkeit

Auf einmal tauchten die digital affinere Gen Y (heute 28 bis 42 Jahre alt) und die aufgebrachte Gen Z (bis 27 Jahre) auf der Bildfläche auf. Ihnen galt nun alle Aufmerksamkeit. Arbeitgeber scheuten weder Mühe noch Zugeständnisse, um „die Jungen“ zu ködern. Arbeitszeitverkürzung, Remote Work, Workation? Selbstverständlich. Derweil schulterte die pflichtbewusste Gen X die Arbeit der pensionierten Babyboomer – zusätzlich.Zumindest erlebt sie sich so: als Sandwichgeneration, eingepfercht zwischen hohem Arbeits- und Leistungsethos und dem latenten Gefühl, ständig zu kurz zu kommen. Ganz unrecht haben sie dabei nicht. „Mein Klient hatte die Wahl zwischen zwei hervorragenden Kandidatinnen“, erzählt Executive Searcher Josef Buttinger: eine erfahrene 45-Jährige und eine sich „am Puls der Zeit“ befindende 35-Jährige. Letztere gewann, weil man ihr größere digitale Fitness zutraute: „Sie kannte sich besser bei den Social Media aus. Dabei braucht sie die im Job gar nicht.“ Ihre Gegenkandidatin besaß einen gleichwertigen, wenn auch länger zurückliegenden Abschluss und hatte über die Jahre jede Menge Kompetenzen, Prozesswissen und Gesamtsicht angehäuft. Nichts davon zählte. Buttinger: „Zeig‘ mir ein Inserat, das einen Generalisten sucht. Jeder will punktgenaue digitale Kompetenzen.“
Was bleibt dieser Kandidatin über, als ernüchtert die nächsten 20 Jahre im alten Job auszuharren? Auch Zukunftsforscher Tristan Horx attestiert ihr, nicht gerade auf die Butterseite gefallen zu sein. „Früher hieß es, harte Arbeit lohnt sich. Heute wird sie nur mit noch mehr Arbeit bestraft.“ Nicht mit mehr Geld: Mehr als 60 Prozent des verfügbaren Kapitals liegt in den Händen der Babyboomer. „Da bleibt für die Gen X nicht viel über. Selbst erben wird eher die Gen Y.“  Auch Karrieresprünge sind keine mehr zu erwarten, auch weil die Kohorte klein und wenig kämpferisch ist. Sie wird leicht übergangen. Schwacher Trost: Laut Horx geht es ab Mitte 50 mit der Lebenszufriedenheit aufwärts.

Was Unternehmen tun können

Werden wir konstruktiv. Wie holt man die Gen X aus ihrem Frustrationsloch und das Beste aus ihnen? Für Buttinger ganz klar: „Beschäftigt euch mit ihnen!“ Denn in Unternehmen werden gerade die „Mittelalten“ leicht übersehen. Durchaus ironisch skizziert Buttinger ein typisches Mitarbeitergespräch: „Schau, wir kennen uns seit 20 Jahren, wir wissen deine Stärken und Schwächen. Lass uns lieber auf einen Kaffee gehen!“ Ganz falsch: Die Führungskraft muss auch aus ihren X-ern Wünsche, Ziele und Pläne kitzeln und Lernfelder herausarbeiten: „Die müssen sich auch weiterentwickeln. Nicht nur die Jungen.“ Ausdrücklich legt Buttinger die Verantwortung in die Hände der Führungskräfte: „HR stellt nur die Tools zur Verfügung.“

Die Älteren müssen sich auch weiter­entwickeln. Nicht nur die Jungen.

Sepp Buttinger

Sepp Buttinger
Sepp Buttinger

Allerdings sieht er praktische Hürden: „In KMU stehen über der Gen X oft nur mehr Geschäftsführung und Eigentümer. Die haben extra wenig Zeit.“ Oder, psychologisch haarig, der Geschäftsführer begann zeitgleich im Unternehmen und überholte die X-er: „Das ist beiden peinlich.“ Oder, ganz pragmatisch: „Man will gar nicht, dass der X-er sich entwickelt. Wenn er aufsteigt, reißt er ein Loch in seine Abteilung.“ Stimmt: Erfahrene Generalisten erfüllen nicht nur ihre Hauptaufgabe, sie checken auch vieles rundherum. All das gehört im Fall einer Weiterentwicklung (Fach- oder Führungskarriere) erfasst und aufgeteilt. „Am besten Tandems aus Alt und Jung bilden und lange Zeit mitlaufen lassen.“

Vier Motivationsansätze

• Mit einer ungesunden Gepflogenheit würde Maximilian Forstner, Head of Workforce Strategy & Reward bei BDO, sofort aufräumen: dass mit 50 Jahren Schluss mit Fortbildung ist. Natürlich gibt kein Unternehmen zu, dass es für Ältere nur mehr das Allernotwenigste schult.  „Schulungen müssen dann auch anders aufgesetzt sein als für die Jungen. Wer 20 Jahre im Unternehmen ist, sieht die Dinge anders.“ Die Gen X hält nichts von den bei der Gen Z so beliebten Purpose Diskussionen und Vision Workshops. Die haben nichts mit ihrem Arbeitsalltag zu tun: „Keine Zeit für Visionen.“ Auch die ständigen technologischen Neuerungen nerven sie, „weil sie nur aufhalten.“ Motivieren kann man sie mit dem Argument, wonach Fortbildung Arbeitsplatzsicherheit bringt. „Der Gen X graut vor Arbeitslosigkeit. Das hat sie indoktriniert.“
• Zweitens ist ihr Status wichtig: „Da ticken sie ähnlich wie die Boomer. Öffentliche Anerkennung finden sie schon super.“ Gerne mit einem edel gedruckten Zertifikat im goldenen Rahmen, über das wiederum die Gen Z den Kopf schütteln würde. Ihr sind digitale Zertifikate mit vielen Icons und Emblemen lieber. A propos Anerkennung: Für die Gen X soll sie auch monetär sein. Was man verstehen muss: Ihre Kinder rechnen damit, dass Mama und Papa ihnen ein Auslandssemester in Neuseeland finanzieren.
• Dritter Knackpunkt ist Flexibilität. Auch die definiert sich anders als bei den Jungen. Die Gen X braucht einen klaren Rahmen, eindeutige Arbeitszeitpläne, Kernzeiten und Schichten. „Doch innerhalb dieser Regeln will sie offiziell eingeräumt bekommen, dass sie auch mal später kommen kann.“ Die Jungen kommen und gehen von vornherein, wie es ihnen gefällt.
• Viertes Kriterium ist eine wertschätzende Kultur, wieder anders als für später Geborene: „Mit einem abgehobenen Wertekatalog mit zehn englischen Begriffen á la Sustainability fühlt sich ein X-er nicht wohl. Das klingt für ihn nach Marketing-Chichi. Er will es konkret und greifbar.“ Das gilt auch für seine Kommunikationsformate: „Lieber persönlich als über Slack.“
Bei all diesen Empfehlungen fällt auf, dass sie vor einigen Jahren für die Babyboomer fast gleich lauteten. Das wieder erhärtet den Verdacht, dass manche Faktoren weniger von der Generation abhängen, in die man hineingeboren wurde, als von der Lebensphase, in der man sich gerade befindet. Für Unternehmen heißt es erneut: Kümmert euch um eure Älteren. Wie viel sie leisten, merkt ihr erst, wenn ihr sie nicht mehr habt.