Frequentis: Wenn die Not zur Tugend wird

Frequentis
13.10.2020

 
Das Technologie-Unternehmen Frequentis entwickelte sich im Laufe der Jahre zum weltweit führenden Anbieter am Markt für Sprach- und Datenkommunikation für die ­zivile Flugsicherung. Krisen wurden genutzt, um sich neue Geschäftsfelder zu eröffnen.

Eigentlich hätte alles ganz anders kommen sollen. Am 19. November 2007 stand im WirtschaftsBlatt: „Die Erstnotiz ist laut Terminfahrplan für 7. Dezember vorgemerkt“. Die Rede ist vom Börsestart des österreichischen Technologieunternehmens Frequentis. Hannes Bardach, Mastermind des Unternehmens, der 1986 Frequentis in einem Management-Buy-out übernommen hatte, werde seinen Anteil auf rund zwei Drittel reduzieren, heißt es weiter. Doch bereits drei Tage später wurde der Börsegang abgeblasen bzw. auf unbestimmte Zeit verschoben. Als Grund wurde die aktuelle Situation an den Börsen genannt. Tatsächlich schwebte schon damals die US-Subprime-Krise als Damoklesschwert über den Köpfen der Börsianer. Eine Krise, die sich wenige Monate später mit der Pleite der Lehman Brothers in einem gewaltigen Knall entladen sollte. 

Im zweiten Anlauf an die Börse  

Zwölf Jahre später, exakt am 14. Mai 2019, war es dann doch so weit. Die Frequentis-Aktie startete mit einem Ausgabe-Preis von 18 Euro an der Frankfurter und der Wiener Börse. Umgelegt auf die Anzahl der Aktien entsprachen die 18 Euro einem Marktwert von 237,6 Millionen Euro.  Ursprünglich gegründet wurde das Unternehmen 1947 in den Wirren der Nachkriegszeit. Im Mittelpunkt der Produktion standen damals technische Produkte wie beispielsweise Funkanlagen inkl. Zubehör für Elektrizitätswerke, Zolldienste, Gendarmerie/Polizei und Feuerwehr. 1955 erhielt das Unternehmen den ersten Flugsicherungs-Auftrag für den Flughafen Wien-Schwechat. Ein Auftrag, der den weiteren Weg des Unternehmens beeinflussen sollte. Doch dazu später. 1983 holte der damals 72-jährige Gründer Emanuel Strunz den Techniker Hannes Bardach an Bord.

Drei Jahre später übernahm Bardach das Unternehmen in einem Management-Buy-out. „Durch die sehr enge Zusammenarbeit mit Emanuel Strunz habe ich von Anfang an Frequentis als ‚mein Baby‘ betrachtet“, sagt Hannes Bardach. Aus anfangs vier Millionen Euro Umsatz wurden im Laufe der Jahre mehr als 300 Millionen Euro. 2019 waren es exakt 303,6 Millionen. Im April 2018, also noch vor dem Börsegang, zog sich der Langzeit-CEO Bardach in den Aufsichtsrat zurück und übergab die Stafette an den neuen CEO Norbert Haslacher, der 2015 zum Unternehmen gestoßen ist. Gemeinsam mit Sylvia Bardach, die seit 1989 die Abteilung Finanzen und Controlling bei Frequentis leitet, und dem in Kärnten geborenen Techniker Hermann Mattanovich bildet er das Vorstandsteam.

Was Frequentis macht, war lange Zeit nur Insidern bekannt. Und das, obwohl das Unternehmen dafür sorgt, dass viele von uns, wenn wir zum Beispiel ein Flugzeug besteigen, sicher dorthin gelangen, wo wir hinwollen. Im Frequentis-Geschäftsbericht wird die Tätigkeit folgendermaßen beschrieben: „Dort, wo Systeme von Frequentis zum Einsatz kommen, sind Menschen für die Sicherheit anderer Menschen und Güter verantwortlich. Als internationaler Anbieter von Kommunikations- und Informationssystemen für Kontrollzentralen mit sicherheitskritischen Aufgaben entwickelt und vertreibt Frequentis in rund 140 Ländern maßgeschneiderte „Control Center Solutions“ in zwei Segmenten.“ Der Bereich Air Traffic Management umfasst die Teilmärkte zivile und militärische Flugsicherung, Luftfahrt­informationsmanagement und Luftverteidigung. Seinen Ursprung hat dieses Segment im bereits genannten Flugsicherungs-Auftrag für den Flughafen Wien. Zu den Kunden in diesem Bereich gehören unter anderem die deutsche Flugsicherung, aber auch die österreichische Austro Control, die erst kürzlich die Lieferung eines Sprachkommunikationssystems der neuesten Generation beauftragt hat. Auch der neue Flughafen Peking, der Ende September 2019 eröffnet wurde, vertraut auf die Kommunikationslösungen von Frequentis. Mit einem Marktanateil von rund 30 Prozent ist Frequentis laut eigenen Angaben der weltweit führende Anbieter am Markt für Sprach- und Datenkommunikation für die zivile Flugsicherung. 

Aus der Not eine Tugend machen

Das zweite Standbein von Frequentis, das Segment Public Safety & Transport, hängt unmittelbar mit der Tragödie des Jahres 2001 zusammen. In einem Interview mit dem Standard (Dezember 2017) beantwortet Hannes Bardach die Frage nach seinem schrecklichsten Geschäftsjahr folgendermaßen: „2001 nach den 9/11-Anschlägen. Da brach der Markt im Hauptgeschäft um die Hälfte ein. Das war hart, wir mussten rasch restrukturieren und haben die Ingenieure auf andere Bereiche verteilt, um das Know-how zu erhalten. Daraus entstand dann das zweite Standbein Public Safety & Transport.“ Dieses Segment umfasst die Teilmärkte Schifffahrt, Rettungsdienste, Feuerwehr und Polizei. Bereits 2005 holte sich Frequentis in diesem Segment einen Auftrag der London Metropolitan Police für eine inte­grierte Kommunikationsplattform mit mehr als 600 Arbeitsplätzen inklusive Videoüberwachung. Ein Meilenstein-Erfolg, der 2020 seine Fortsetzung fand. Im Jänner dieses Jahres erhielt Frequentis von der Londoner Metropolitan Police, die für die Polizeiservices der britischen Metropole und des Umfelds „Greater London“ zuständig ist, einen „signifikanten“ Auftrag zur Modernisierung der Kommunikationsinfrastruktur. Einmal Frequentis – immer Frequentis möchte man fast sagen. 

Tatsächlich ist die installierte Basis für das Unternehmen ein immens wichtiger Geschäftstreiber. Im Jahresbericht 2019 heißt es dazu: „Garant für die Stabilität der Frequentis und gleichzeitig wichtigster Wachstumsmotor bleibt die installierte Basis.“ 2019 stammten rund 40 % der Umsätze aus diesen Folgegeschäften. Auch margenseitig sind diese Folgeaufträge ein Gewinn, da die Umsätze, „die im Zuge von Wartungs- und Zusatzaufträgen generiert werden“ in der Regel höhere Margen einbringen als Umsätze im Neukundengeschäft. 

Dass das Konzernergebnis 2020 eher nicht als das beste in die Unternehmensgeschichte eingehen wird, ist nicht so sehr Corona geschuldet, sondern einem eher lokal begrenzten Ereignis. Die Pleite der burgendländischen Commerzial­bank, bei der Frequentis eine hohe Summe veranlagt hatte, zwang das Unternehmen im ersten Halbjahr 2020 eine Wertberichtigung in Höhe von 23,2 Millionen Euro vorzunehmen. In der Folge rutschte das Netto-Ergebnis tief ins Minus. Schade eigentlich, denn auf operativer Ebene war es deutlich besser gelaufen im ersten Halbjahr 2019. Der Umsatz blieb zwar beinahe unverändert, das EBITDA – die wohl beste Kennziffer für die operative Performance eines Unternehmens – verbesserte sich hingegen um 150 % auf sechs Millionen Euro.  Die Auftragslage erlitt trotz Pandemie keinen Einbruch. Im Gegenteil: Der Auftragseingang stieg um 28,8 %, der Auftragsbestand lag per ultimo bei 445,2 Millionen Euro. Last but not least verbesserte sich der Cashflow aus der betrieblichen Tätigkeit von minus 6,1 Millionen Euro auf plus 12,2 Millionen. Der drohende Verlust des bei der Commerzialbank veranlagten Geldes mag schmerzen, aber mit einem Nettoguthaben von 51,2 Millionen Euro ist das Unternehmen noch immer gut aufgestellt. Daran mag es auch liegen, dass – laut des österreichischen Portals Börse-­Express – zwei von drei Analysten, die die Frequentis-Aktie unter die Lupe nehmen, zum Kauf raten. Ein weiterer meint halten. Zum Verkauf des Wertpapieres rät derzeit – Commerzialbank hin oder her – keiner. 

Text: Harald Fercher