Faktor Frau

Unternehmensführung
26.07.2018

 
Ökonomie ist Männerkram. Doch es ändert sich etwas. Wo weibliche Prinzipien dominieren, sind Unternehmen erfolgreicher.

Der Wirtschaftsmotor brummt wieder. Die Pleite von Lehman Brothers ist zehn Jahren her. Alles läuft gerade bestens. Bis auf den Umstand, dass sich seit dem großen Crash nicht viel geändert hat. Zum Beispiel daran, dass Menschen in ihren Jobs einfach ausbrennen. Mittlerweile sind bis zu 30 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Österreichs Unternehmen burn-out-gefährdet. Auch der Frauenanteil in Spitzenpositionen ist kaum gestiegen. Laut dem von der AK jährlich durchgeführten „Frauen.Management.Report“ lag im Vorjahr der Anteil von Frauen in den Chefetagen der Top-200-Unternehmen in Österreich bei 7,2 Prozent, in den Aufsichtsräten bei 18,1 Prozent. 

Die Absenz weiblicher Führung schmerzt

Wir drehen also eine nächste Runde in einem Männerspiel, und der Verdacht liegt nahe, dass sie zum nächsten Zusammenbruch führen wird. Denn: Unser Wirtschaftssystem ist von Männern erfunden, von Männern gesteuert und von Männern an die Wand gefahren worden. Daran lässt sich nicht rütteln. „Aus der Ecke, in die uns männliche Führung hi­neinkatapultiert hat, kommen wir mit Männern an der Spitze nicht heraus“, zieht Ursula Eva Peter, Wirtschaftscoach und Organisationsberaterin, einen logischen Schluss. Sie hat in einer Kapitalmarktabteilung der Banque Nationale de Paris Finanzderivate verkauft, war Vorstand einer amerikanischen Firma in Österreich und arbeitete danach als HR- und Trainingsmanagerin für mehrere Firmen, vor allem in Frankreich, Italien, England, Schweiz, Skandinavien und Ost­europa. Sie kennt die europäische Ökonomie und meint: „Die Absenz weiblicher Führung ist schmerzhaft.“

Männer analysieren eine Männerwelt

Wenn Lehman Brothers Lehman Sisters gewesen wäre, meint ­Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds IWF, sinngemäß, sähe die Ökonomie anders aus. Doch die Männerdomäne Wirtschaft funktioniert nach wie vor als geschlossenes System, wo nach einer Krise Männer mit Männermethoden eine Männerwelt analysieren, und dann genau wissen, wie man es ab sofort besser macht. Auch beim großen Crash vor zehn Jahren war es so. „Kaum ein Ökonom hatte ihn kommen gesehen“, schreiben Deborah Steinborn und Uwe Jean Heuser in ihrem Buch „Anders denken“. „Als das Geschehen chaotisch wurde, mussten die Ökonomen ganz passen. Ihre Prognosen waren nicht das Papier wert, auf dem sie gedruckt wurden. Das deutsche Institut für Wirtschaftsforschung zog daraus im Jahr 2009 die Konsequenz und erklärte, erst einmal keine Konjunkturvorhersage für das nächste Jahr geben zu wollen. Ein Offenbarungseid.“

Der männliche Traum einer rationalen Ökonomie, die linear planbar und steuerbar ist, hatte sich wieder einmal in Luft aufgelöst. Die ökonomischen Prognosen eignen sich scheinbar nur für Schönwetterperioden.

Frauen haben weniger Risiko-Appetit

Hätte ein höherer Frauenanteil in den Chefetagen den Crash verhindert? „Wir haben für solche Mutmaßungen nicht genug praktische Beispiele“, meint Anne Philipona, Partnerin und Projektleiterin für aufstrebende Wachstumsunternehmen bei Deloitte in Paris, „aber der Risiko-Appetit von Frauen ist im Schnitt schon sehr unterschiedlich zu dem von Männern. Die Sachen könnten anders laufen, wenn mehr Frauen in Führungspositionen wären.“  Entsprechend absurd ist es, Frauen nachhaltig zu ignorieren. Ein riesiges Reservoir an Fachkräften, Innovation und Problemlösungskompetenz wird einfach nicht wahrgenommen. Die Wirtschaft sucht nach Lösungen und fragt die Hälfte der Bevölkerung nicht danach. Das Geld der Frauen nimmt man dagegen schon gerne. Es fiele keinem Unternehmen ein, Frauen nicht als Zielgruppe anzusprechen. Die Marktforschungsgruppe Nielsen zeigt, dass Frauen in den Industrieländern 80 Prozent der Kaufentscheidungen treffen, und zwar „nicht nur in den Boutiquen und Einkaufsstraßen“, wie Steinborn und Heuser anmerken, „als Kundinnen sind sie Königinnen, als Arbeitskräfte Bettlerinnen.“ Der rote Teppich, den man ihnen als Kundinnen ausrollt, wird vor den Führungsetagen rasch wieder eingerollt.

„Der Frauenanteil in den Führungsetagen muss sich endlich in Richtung Hälfte bewegen“, fordert Renate Lugmair, HR-Direktorin beim Versicherungsunternehmen coface, und Karin Waidhofer, Direktorin im Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser, „will Frauen aus eigener Macht fördern. Ich will was verändern, damit Frauen eine Welt vorfinden, die ihnen entspricht.“

„Frauen sollen sich um mein Geld kümmern“

Ein Kraftakt zahlt sich mitunter aus. Die Ergebnisse sprechen zumindest eindeutig dafür, wie konkrete Beispielen belegen. Norwegen, Februar 2002: Der damalige Industrieminister Ansgar Gabrielsen gibt zu Protokoll, dass es ihm jetzt mit der Debatte um den Frauenmangel im Top-Management reicht. Er schrieb für alle staatlichen und börsenotierten Unternehmen eine 40 %-Frauenquote in den Aufsichtsräten fest, gab zur Erreichung des Ziels fünf Jahre Zeit und legte klar, dass bei Nichterreichung eine Auflösung des Unternehmens erfolge. Trotz heftiger Proteste wurde das Gesetz vom Parlament verabschiedet. Im Jahr 2009 war das Ziel tatsächlich erreicht. Auch in Unternehmen, die nicht an der Börse notieren und für die das Gesetz gar nicht gilt, hat sich der Frauenanteil deutlich erhöht. Aufgrund des ökonomischen Erfolgs der Firmen wird die Quote längst nicht mehr infrage gestellt.

Island 2007: Kristin Pétursdóttir und Halla Tómasdóttir gründen mitten in der aufplatzenden isländischen Finanzblase Audur Capital, ein Finanzunternehmen, das von weiblichen Werten getragen sein soll. Sie waren schon zuvor in der Finanzwelt tätig gewesen, aber „überwältigt von all dem Testosteron,“ wie Tómasdóttir erzählt. Sie besetzten alle Führungspositionen mit Frauen, gaben Fonds heraus und waren unglaublich erfolgreich, während im Jahr 2008 der Rest von Islands Banken kollabierte. Kristin Pétursdóttir erzählt gerne die Geschichte eines männlichen Kunden, der zu ihr kam und meinte: „Ich hab’ das System satt. Ich möchte, dass sich jetzt ein paar Frauen um mein Geld kümmern.“ 

Das erinnert an Erfahrungen von Mikrokreditunternehmen, die Kleinstkredite bevorzugt an Frauen vergeben, weil deren Rückzahlungsdisziplin um ein Vielfaches höher ist als diejenige der Männer. Denn immer wieder zeigt sich: Viele Männer versaufen die Mikrokredite, Frauen nutzen das Geld dagegen wirklich für den Aufbau eines Geschäftes. Gibt es die weibliche Ökonomie? Das wirft eine brisante Frage auf. Dass die Ökonomie aus Gründen einfacher Parität und Gerechtigkeit weiblicher werden sollte, liegt auf der Hand. Aber gibt es auch so etwas wie eine typisch weibliche Qualität in der Ökonomie, die uns bislang vorenthalten wurde? Etwas, das „anders“ ist? Geht es nicht nur um Quote, sondern um Qualität?

Die kanadische Non-Profitorganisation zur Frauenförderung Catalyst zeigt, dass die Unternehmen mit dem höchsten Frauenanteil eine deutlich höhere Rendite erzielen als Firmen mit wenig Frauen. Warum ist das so? Was steckt dahinter?

Kooperation, Vision, Respekt

„Ich kenne viele Boards of Companies, die von Frauen geführt werden, und es ist erstaunlich, sich die Ähnlichkeit der Veränderungsprozesse anzuschauen“, sagt Anne Philipona von Deloitte Paris. „Die Mitglieder des Vorstands werden zu Kooperation aufgefordert und lernen, wie das geht. Der Grad an Inklusion steigt. Es gibt in frauengeführten Firmen eine tiefe Übereinstimmung hinsichtlich der Tatsache, dass sinnvolle Visionen, individuelle Motivation und wechselseitiger Respekt die Schlüssel zum Erfolg sind.“

„Je besser durchmischt eine Firma ist, desto natürlicher ist es“, sagt HR-Managerin Renate Lugmair, „es entspricht dem Lebensumfeld.“ An etwas typisch Weibliches glaubt sie dabei aber nicht. „In Osteuropa gibt es sehr viele Frauen mit technischem Background. Das ist dort ganz normal.“ Wir würden da eher in Fallen aus der Sozialisierung tappen. „Mir wäre es oft lieber, ich wüsste nicht, ob ich bei einem Bewerbungsgespräch mit einem Mann oder einer Frau rede“, sagt Lugmair, „ab und zu taucht der Gedanke auf: Das ist kein Job für eine Frau, was natürlich Unfug ist. Jede und jeder kann alles.“

Auch Karin Waidhofer glaubt nicht an biologische Unterschiede. „Der Mensch wird am Du zum Ich“, zitiert sie den Philosophen Martin Buber, „ob wir mehr auf das Soziale hin oder auf die eigenen Bedürfnisse hin orientiert sind, liegt nicht an der Biologie.“ Und doch: „Konkurrenz wird anders gelebt. Männer nehmen es sportlich, Frauen nehmen es persönlich“, weiß Waidhofer. Das passt zu einer Erkenntnis der Jeansmarke Levi’s, die in einer Kundenuntersuchung festgestellt hat: Passt eine Hose nicht, suchen Männer den Fehler bei der Hose, Frauen bei sich selbst.

Weg der Königin

Wenn es etwas spezifisch Weibliches gibt, muss es vielleicht freigelegt und gefördert werden. Das machen Ursula Eva Peter und Veronika Lamprecht in ihrem erfolgreichen Lehrgang „Weg der Königin“, bei dem sie Frauen in Führungspositionen ein Jahr lang begleiten und in ihnen den Mut erwecken, Weiblichkeit in die Führung einzubringen. „Früher musste man als Frau ja am Männerklo mitpinkeln“, sagt Peter, „da glaubten Frauen, für Karriere männlicher als ein Mann sein zu müssen. Aber will frau da überhaupt mitspielen?“ Brigitte Ederer, ehemalige EU-Staatssekretärin und ­Siemens-Vorstand, hat mitgespielt, indem sie eigenen Angaben zufolge für ihre Karriere auf Kinder verzichtet hat. Eva Peter hingegen hat auch Karriere gemacht und nicht mitgespielt. Sie ist in das Management der internationalen Finanzbranche und damit in eine pure Männerwelt geraten. Da gab es Dogmen: „Du kannst hier nur Vorstandsdirektorin sein, wenn du ganztags kommst. Es gibt nur Fortbildung bei Vollzeit.“ Eva Peter hat dagegen gekämpft. „Mein Vorbild war Maria Theresia, zwölf Kinder und Karriere“, lacht sie. „Ich habe den Vorschlag gemacht, drei Monate testweise als Vorstand Teilzeit zu machen. Nach drei Monaten hat mich niemand mehr darauf angesprochen. Dazu waren die Ergebnisse einfach zu gut.“

Jetzt fördert sie am „Weg der Königin“ Unternehmerinnen, es „anders“ zu machen. „Männer definieren Leistung als ‚Ich habe das geschafft‘“, sagt Peter, „Frauen sagen: ‚Wir haben das gemacht.‘ Männliche Führung ist eine Pyramide, wo Macht durch Informationsentzug ausgeübt wird. Die Leute an der Basis haben meist keine Ahnung von wichtigen Informationen.“ In ihrem Lehrgang unterstützt sie Frauen darin, sich nicht auf der Spitze einer Pyramide zu fühlen, wo sich Frauen tendenziell ohnehin nicht wohlfühlen, sondern in der Mitte eines Kreises. Sie üben Macht aus, indem sie auf funktionierende Beziehungen und ausreichenden Informationszugang für alle achten.

Weibliche Qualitäten

Was man unter weiblichen Qualitäten versteht: Sensibilität, Eingehen auf die Wünsche der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Empathie, Kooperation, weniger Risikobereitschaft und mehr Gefühl für Gefahr. „Als Frau habe ich vielleicht ein schärferes Bewusstsein dafür, welchen Schaden die Krise durch Gier, Stolz und zu wenig Transparenz anrichtete“, meint Währungsfonds-Chefin Christine Lagarde. Durch die hohe Wettbewerbsgetriebenheit der Männer neigen sie dazu, Gefahren zu ignorieren. Prescht ein Konkurrent vor, kommt der Ehrgeiz, und Mann prescht nach. Plötzlich entstehen aberwitzige Wettläufe, wie damals vor zehn Jahren, um Renditen, obwohl klar hätte sein müssen, dass das alles mit enormem Risiko erkauft ist. 

Männliche Angeberei, anthropologisch erwiesen

Frauen haben angeblich ein weiteres Blickfeld als Männer, was sich aus dem Schutz der Sippe schon in der Steinzeithöhle ergibt. Das Auge der Männer vermag es dafür eher, Objekte in der Ferne zu fokusieren und im Blick zu behalten. Großes Interesse weckten jene Studien, die in den letzten Jahren die unterschiedliche Vernetzung von männlichen und weiblichen Hirnen zeigte. Weibliche Hirne vernetzen sich übergreifend von linker und rechter Gehirnhälfte, männliche Gehirne eher auf einer der beiden Gehirnseiten. Also doch biologische Unterschiede? Neueste anthropologische Erkenntnisse – wie etwa Peter F. Weber in seinem Werk „Der domestizierte Affe“ – zeigen, dass es mit dem hehren Bild des männlichen Jägers nicht weit her ist. Unter Beobachtung heutiger indigener Völker erkennt er, dass das Sammeln von Larven und Wurzeln den Eiweißbedarf eines Erwachsenen in nur einer Stunde Sammlertätigkeit deckt. Der Jagderfolg stellt sich außerdem sehr selten ein, sodass die erfolglosen Jäger auf dem Heimweg ein bisschen Knollen und Kräuter sammeln und so einen eher beschämenden Beitrag zum Kalorienbedarf der Sippe leisten. „Die Jägerhypothese ist also lediglich ein Spiegelbild des männlichen Egos“, so Peter Weber. Wer nach Gemüse sucht, kommt nie mit leeren Händen heim. Warum daher überhaupt jagen? Die Versorgung mit Fleisch konnte nicht der alleinige Grund sein, wie Weber darlegt, und er kommt zu einem ernüchternden Urteil: „Männer gehen aus dem gleichen Grund auf die Jagd, aus dem Pfauenmännchen ein Rad schlagen. Es geht darum, andere zu beeindrucken und das Ansehen zu steigern. Die Jagd ist ein Angeberjob.“ Sind das die anthropologischen Wurzeln des heutigen Wirtschaftssystems?

Jeder Mensch hat männliche und weibliche Eigenschaften

An dieser Stelle tut es not, klarzustellen, dass es typisch männliche und typisch weibliche Eigenschaften gibt, dass es aber verfehlt wäre, alles Männliche in jedem Mann und alles Weibliche in jeder Frau zu vermuten. Das wäre doch sehr einförmig und platt. Man darf also präzisieren und sagen, dass in der Ökonomie männliche Prinzipien wie Konkurrenz, lineares Denken und Machbarkeitsgläubigkeit vorherrschen und weibliche Prinzipien wie Kooperation und vernetztes Denken immer noch einfach zu kurz kommen. Doch jeder Mann versteht und trägt die Fähigkeit zu Kommunikation und Kooperation und all den sogenannten weiblichen Fähigkeiten in sich. So wie jede Frau auch männlich Anteile in sich trägt.

Wir brauchen eine Hybridkultur

„Ziel muss eine Hybridkultur sein, die Platz schafft für die Unterschiede und Stärken beider Geschlechter. Diese Kultur ist im Entstehen begriffen, vorsichtig, tastend“, schreiben Steinborn und ­Heuser, deren Buch den hoffnungsfrohen Untertitel trägt: „Warum die Ökonomie weiblicher wird.“ 

„Es wird Zeit, denn „in unserer Welt, die sich gerade so stark verändert, wird es mehr und mehr um Visionen, Einfluss und Mitbestimmung gehen“, so Anne Philopina. Männliche Konkurrenz- und Hierarchiespiele taugen da nicht. Die ­Deloitte-Managerin will mehr Frauen im ökonomischen und politischen Leadership, „ich bin überzeugt, dass Business und Kapital die Probleme unserer Gesellschaft – soziale Ungleichheit, Jugendarbeitslosigkeit, Klimawandel, Gewalt – lösen können. Aber nur mit mehr Vielfalt in der Führung. Ich kenne eine Menge Führungsfrauen. Sie sind bereit, sich auf ihre Art den Aufgaben zu stellen.“ Wenn man sie endlich lässt.