Koisser macht Mut

Energievergeudung

Energieeffizienz
11.05.2022

Alle reden von „Transformation“, aber eigentlich will sie niemand. Warum? Es fehlt noch das magische Momentum, das sie uns wirklich schmackhaft macht.
transformation failed

Alle wollen CO2-Reduktion. Die Politik will sie, die große Industrie und Fridays For Future. Warum unterstützt dann eigentlich Fridays For Future nicht die Anliegen von Industriellenvereinigung, Verbund & Co? Wenn die Industrie Millionen in die Hand nimmt, um eine dekarbonisierte Welt zu realisieren, so kommt das doch den Forderungen der Generation Greta entgegen.

Die Diskrepanz dürfte auch nicht in der Idee der CO2-Reduktion liegen, sondern in einer Haltung gegenüber der Zukunft. Die Industrie folgt einem politischen Willen auf Basis von Zukunftsszenarien, die einen gesteigerten Energiebedarf prognostizieren. Unsere Systeme haben Hunger. Sie sind energiesüchtig und wollen mehr, mehr, mehr. Das bedeutet für die Industrie, dass ein Mega-Bauprogramm vor der Tür steht, von dem sie nicht weiß, wie es zu bewältigen ist. Zusätzliche 27 Terawattstunden, die dem Erneuerbarenausbaugesetz (EAG) zugrunde liegen, bedeutet 500 ganz große Windräder, ungefähr 100 Quadratkilometer PV-Anlagen und 60-mal das Murkraftwerk Graz. Wo soll das hingebaut werden? Wie soll das gelingen?
Eben, sagen da die Klimaschützer*innen. So geht’s nicht. Wir können solche Flächen nicht zusätzlich bereitstellen. Wir brauchen daher „system change but climate change“. Wir brauchen Verzicht und Degrowth. Dieser ganze Wachstumsgedanke hat sich ja ad absurdum geführt und wenn wir ihn mit anderen Mitteln fortsetzen, so ist wenig gewonnen.

„Natürlich haben wir wirtschaftliche Interessen“, sagt Dieter Drexel von der IV. „Let’s build a world where people and planet come before profit“, heißt es dagegen bei Globaljustice, einer großen britischen Sozialorganisation. Es bräuchte Energie-Demokratien, eine Transition zu grünen Produkten und generell eine Umverteilung von Reichtum. Das aber ist nicht Job der Industrie.
Wahrscheinlich ist sogar das Anstreben der „Transformation“, auch wenn sie von den Industriebossen im Mund geführt wird, weder Job noch Anliegen der Industrie. Der Begriff meint ja im Wortsinn, dass eine Form hinübergeht (trans), also zerschlagen wird. Etwas zerbricht, um Neuem Platz zu machen. Das Zerbrechen ist aber eine unschöne und auch unwägbare Angelegenheit. Da wird nicht einfach ein Bettüberzug umgestülpt. Es findet im Sinne des Österreichischen Ökonomen Schumpeter eine schöpferische Zerstörung statt. Viel eher strebt die Industrie an, durch Innovation in die neue Welt hinüberzugleiten. Die millionenschweren Innovationen sollen das Ziel einer dekarbonisierten Energiebereitstellung erreichen und einen Return-on-Investment bringen. Innovationen, die einen Vorsprung absichern, sind definitiv Strategien der bisherigen Welt. Wir bleiben in der bisherigen Systemlogik. Das alte System soll erhalten, aber adaptiert werden. Das ist nachgerade das Gegenteil der Forderungen von Fridays For Future & Co.

Wer will überhaupt die Transformation? Ist es nicht so, dass wir alle ein wenig die Hoffnung hegen, dass wir glimpflich in die neue Zeit gleiten und, auch wenn wir wortreich das alte System beklagen, es insgeheim erhalten wollen? Wir wissen aus der Psychotherapie, dass Patienten lieber den bekannten Schmerz wählen statt der unbekannten (aber möglicherweise schmerzfreien) Zukunft. Vor allem die Forderung nach Verzicht ist ja wenig sexy und wird wohl kein politischer Knüller werden.
Darum wohl dieses Zaudern. Da wird abgewartet, welches Narrativ sich durchsetzt. Gibt es zwischen Adaptieren und Verzichten vielleicht ein magisches Drittes? Einen Deus ex Machina, der uns eine lustvolle Transformation schmackhaft macht? Seit Jahren zieht der Hamburger Chemiker Michael Braungart durch die Welt, um zu zeigen, dass Kreislaufwirtschaft nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip es uns erlauben könnte, weiterhin verschwenderisch zu leben. Wenn nichts jemals zu Abfall wird, dann ist alle gut. Mehr noch: Der Mensch kann dann mit dem, was er tut, sogar nützlich sein für andere Stoffkreisläufe. Wir brauchen im Energiebereich einen ähnlich befreienden Ansatz, der uns Energieverschwendung mit gutem Gewissen erlaubt.