Dynatrace: Start-up, Konzern und wieder retour
Wie ein glücklicher Mittelständler führt Bernd Greifeneder in Linz die Softwareentwicklung des Weltmarktführers Dynatrace. Dafür musste er einen weiten Weg zurücklegen.


Wenn ein Unternehmen in Software investiert, geht es meistens davon aus, dass schon alles funktionieren wird. Doch dann spielen Cloud, Server, Computer und Smartphones nicht richtig zusammen. Der Hersteller versichert, das Pflichtenheft ordentlich abgearbeitet zu haben. Allerdings blickt niemand durch. So viele Server, wer weiß schon, wie die miteinander sprechen? Und erst die Cloud: Was passiert da drinnen eigentlich? Längst sind die IT-Architektur und ihre Abhängigkeiten für menschliche Gehirne zu komplex. Was tun?
Was Menschen nicht mehr können, kann die Künstliche Intelligenz (KI). Genau das war die Geschäftsidee von Dynatrace. Eine gute Idee, wie Umsätze von weltweit 545,8 Millionen US-Dollar im Geschäftsjahr 2020 beweisen, das im März zu Ende ging. Die KI von Dynatrace durchleuchtet täglich 79 Trillionen Abhängigkeiten, misst Ausführungsgeschwindigkeiten bis auf Sourcecode-Niveau („dynamic tracing“, daher der Name), vor allem aber: Sie durchleuchtet Software vollautomatisch rund um die Uhr und repariert Fehler. Längst ist sie kein Schmerzmittel mehr, sondern ein potentes Vitamin für die Digitalisierung.
Das Herz schlägt Rot-Weiß-Rot
Dynatrace beinhaltet auch die Geschichte eines Start-ups, das nicht im Bauch eines Konzerns verschwinden wollte. Zwar ist es heute an der New Yorker Börse gelistet und hat seinen Sitz nahe Boston. Herz und Seele aber, Forschung & Entwicklung, blieben in Österreich, ebenso wie 550 der 2200 Mitarbeiter. Das setzte Gründer und CTO Bernd Greifeneder sehr bestimmt durch. Er führt „seinen“ Unternehmensteil wie ein mittelstandsgroßes Start-up. Weil ein Softwareunternehmen ohne F&E nicht denkbar ist, zementiert das seine Unabhängigkeit.
Ein weiteres „zementiertes“ Symbol dafür ist das nagelneue Bürohaus bei der Linzer Autobahnabfahrt Hafenstraße. „Wir sind anders!“, signalisiert es von Weitem. Innen und außen abgerundete Kanten, das Foyer eine Art Hauptplatz, auf dem sich alles Soziale abspielt (in Corona-Zeiten leider nicht). Jedes Stockwerk hat eine Kennfarbe, über den Scrumboards und Kaffeestationen blinken Neonsprüche wie „May the Force be with you“ oder „Take a
“.
Das beste Zimmer liegt im 6. Stock, mit Ausblick über die Altstadt bis hinüber zum Pöstlingberg. Das Chefzimmer? Eben nicht. Der Chef sitzt nahe bei seinen Leuten. Das Turmzimmer ist als Entspannungsraum mit hochflorigem Teppich und weichen Pölstern eingerichtet. Hier kann jeder nachdenken, beten (das Team ist multikulti), lesen oder ein Schläfchen machen. Nur eines nicht: tippen.
Wie alles begann
2004 erkannte Greifeneder den Schmerz der Unternehmen, die sich über ihren ersten Online-Shop wagten: „Ab 50 Nutzern brachen die Shops zusammen.“ Die Server kommunizierten nicht richtig miteinander. Der Informatiker hatte sein Thema gefunden. 2005 ging es richtig los. Mit Apple’s Garagengründungsmythos hält Greifeneder locker mit. Er gründete in einem Linzer Einfamilienhaus: „Im Keller fanden wir ein Munitionslager. Dort standen unsere Server.“ Ein Start-up braucht auch Marketing & Vertrieb. Die ersten Gehversuche mit Enterprise-Verkäufern endeten unbefriedigend: „Sie waren gewohnt, alles vorgegeben zu bekommen. Ich brauche Leute, die selbst denken.“ Wie so oft war das Gute ganz nah: Greifeneders Frau, die gebürtige Kambodschanerin Sok-Kheng Taing, erwies sich als unternehmerisch denkendes Verkaufstalent. Auch bei den Finanzierungsrunden hatte sie eine glückliche Hand.
Beim ersten Seedfinancing gingen die beiden noch leer aus – „wir hatten realistisch geplant“. Greifeneder begriff, dass Investoren überzogene Umsatzerwartungen gewohnt sind. Konnten sie haben: Beim zweiten Mal verdoppelte er die Zahlen, Sok-Kheng Taing pitchte hochschwanger und siegte haushoch. Die Zahlen erreichten sie alle. Auch dank der Hilfe von Hubert Gerstmayr, als Finanzchef der Dritte im Bunde. Das Gründungsteam war komplett. Es ersparte sich einen Fehler, dem viele Start-ups aufsitzen: ihr Produkt unterzubewerten. „Wir wollten etwas bauen, das mindestens 50.000 Dollar kostet. Das war meine Schranke im Kopf.“ Schon der erste Kunde akzeptierte sie. Im Jahr nach der Gründung erreichte das Triumvirat seine erste Umsatzmillion. Das lockte Investoren an – amerikanische Investoren. „Wir hatten zuerst Bedenken, weil wir uns eigentlich lokale gewünscht hätten. Andererseits: Die Amerikaner verstanden Markt und Zielgruppe am besten.“ Greifeneders Rat: „Nicht dem Geld nachlaufen, sondern einem Kapitalgeber, der Markt und Zielgruppe versteht. Der hilft am meisten.“
Silicon Valley in Österreich
2011 kamen die Detroiter. In Gestalt von Compuware, „damals eine Vorzeige-Softwarefirma, der größte Arbeitgeber der Stadt“. Der übernahm Dynatrace um 256 Millionen US-Dollar, zu dieser Zeit einer der größten Tech-Exits Österreichs. Im Headquarter kamen die Linzer aus dem Staunen nicht heraus: Nobeladresse in Detroit City, Waschräume aus Marmor, ein Indoor-Wasserfall über 14 Stockwerke: „Für uns ein Wasserfall im doppelten Sinn: Auch die Arbeitsweise war top-down.“ Das globale Vertriebsteam verdoppelte den Umsatz jedes Jahr.
Das Konzernabenteuer dauerte drei Jahre. Dann schluckte die Chicagoer Beteiligungsgesellschaft Thoma Bravo Compuware um 2,4 Milliarden US-Dollar. Dynatrace war das Filetstück. Jetzt schlug Greifeneders Stunde, sein Reich zurückzuerobern. Leichten Herzens hatte er schon 2008 auf die Rolle des CEO verzichtet und zeigt heute als glücklicher CTO, wie man in Österreich führt: mit größtmöglicher Eigenverantwortung und Freiheit für die Mitarbeiter. Das globale Recruiting läuft zwar über die USA, das Recruiting seiner F&E-Leute aber ließ er sich nicht aus der Hand nehmen. Darauf bestand er: „Amerika rechnet in Zahlen. Mir geht es darum, die Besten zu bekommen.“ Die findet er durch Hackathons, Kooperationen, vor allem aber über seine Entwicklungs-Labs mit Uni-Anknüpfung. Seit Kurzem auch in Wien: Im August eröffnete er ein temporäres Büro in einem Coworking Space am Hauptbahnhof, im Winter bezieht er das fertige Lab im selben Gebäude. Die Entfernungen seiner Labs erinnern ihn an das Silicon Valley: „Dort liegt auch nicht alles nebeneinander.“ Und wer weiß, sinniert Greifeneder, „vielleicht wird ja Österreich eines Tages auch ein Entwicklungs-Valley“.
Text: Mara Leicht