Digital werden, Mensch bleiben
Der digitale Wandel betrifft mittlerweile so gut wie alle Lebens- und Arbeitsbereiche. Kommunikation, Einkaufen, Bankgeschäfte, Medienkonsum, all das ist heute anders als noch vor zehn Jahren. Wie wirkt sich das auf den Menschen aus?

„Unternehmen spüren Digitalisierung auf vielfältige Weise“, berichtet der Unternehmer und zertifizierte Digitalisierungsberater Christian Wimmer, „sei es im Aufeinanderprallen von Arbeitskulturen im Vergleich 9 bis 17 Uhr im Büro vs. immer und überall flexibel online arbeiten, in der Gestaltung der Arbeitsplätze, also fixer Platz mit identitätsstiftenden persönlichen Gegenständen vs. anonymer On-demand-Arbeitsplatz, oder der Ausstattung mit Endgeräten, wo sie zwischen normierten, gesicherten Endgeräten des Unternehmens und der Nutzung privater Geräte entscheiden müssen.“
Mit den technischen Aspekten von Digitalisierung tauchen sozial-gesellschaftliche Fragen auf, die über die Betriebe hinaus wirken. Diesen wird derzeit noch wenig Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl sie genauso wichtig sind wie die technischen. Harald Pichler vom Viktor Frankl Zentrum Wien sieht das ähnlich. Der Experte für sinnorientiertes Führen und Arbeiten beschäftigt sich seit 20 Jahren mit Frankls sinnorientiertem Menschenbild. In der Digitalisierungsdebatte fehlt ihm „die menschliche Komponente. Technologien sind wichtig, und es ist großartig, was man alles machen kann. Aber wir dürfen nicht außer Acht lassen, dass der Mensch in vielen Dingen trotz allem unschlagbar ist.“
Er betrachtet die Digitalisierung von außen und möchte hinterfragen, ob „wir uns mit den wirklich wichtigen Dingen beschäftigen: Digitalisieren wir aus reinem Selbstzweck, oder machen wir es, um für Menschen Sinn und Nutzen zu stiften?“ Denn, so der Sinnexperte, „Menschen mit sinnerfüllter Arbeit sind produktiver, motivierter und belastbarer, was sich letztlich in gesteigerter Profitabilität von Unternehmen niederschlägt“, wie auch der AOK-Fehlzeitenreport 2018 wissenschaftlich fundiert belege.
Wie viel Bedeutung und damit Geld dem Thema Digitalisierung gerade zukommt, wird anhand einer Fülle an Medienberichten und Veranstaltungen, der Schaffung eines Digitalisierungsministeriums und der Einrichtung eines wohl dotierten digitalen KMU-Förderprogramms der Wirtschaftskammer klar. Studien diagnostizieren Aufholbedarf in Sachen digitaler Transformation und drohen Unternehmen mit hohen Kosten, sollten sie den Megatrend Digitalisierung verschlafen. Ein genauerer Blick auf die nachfolgend genannten Schwerpunkte zeigt einen klaren Fokus auf technologische Aspekte: eCommerce, smarte Produkte, Big Data, automatisierte Prozesse und IT-Sicherheit stehen da im Vordergrund. Die Menschen rücken dabei weit in den Hintergrund und werden meist nur bezüglich der Förderung ihrer „digitalen Kompetenzen“ als Produktionsfaktoren wahrgenommen.
Mensch vs. Technik
Natürlich spielen technische Aspekte der Digitalisierung eine wichtige Rolle für den Unternehmenserfolg. Dennoch scheint die starke, ja fast alleinige Betonung der Technologie problematisch. Warum?
Es mag banal klingen und birgt doch eine tiefe Wahrheit – Unternehmen leben von ihren Beziehungen. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir uns die – trotz aller zweifellos erreichten Digitalisierungs- und Automatisierungserfolge – wesentliche Rolle der Mitarbeiter vor Augen führen: Wer verkauft ihre Produkte und Services? Wer sorgt für kreative Innovationen? Wer pflegt ihre Beziehungen? Wollen sie dieses soziale Kapital wirklich wegrationalisieren?
Das kann ins Auge gehen. Denn entgegen vieler Sensationsmeldungen über die zunehmende Leistungsfähigkeit von Robotern und künstlicher Intelligenz ist festzuhalten, „dass hier viel übertrieben und geschönt wird“, wie dies Teilnehmerinnen und Teilnehmer am 1. Treffen der DigitalisierungsPartner4.x Ende Jänner in Wien nüchtern festhielten.
Wenn es daneben geht
Jüngstes und medial viel rezipiertes Beispiel: das gescheiterte Experiment des 2015 im japanischen Sasebo eröffneten Roboter- Hotels Henn na, das ohne menschliche Arbeitskraft auskommen wollte. Zwar konnten die eingesetzten Roboter standardisierte Abläufe effizient abwickeln. Sobald sich aber der Kontext einer Situation veränderte, scheiterten die Maschinen an den einfachsten Aufgaben. Die Folge: verärgerte Gäste und menschliches Personal in teuren Noteinsätzen. Letztlich verursachten die Roboter mehr Kosten, als sie einsparten.
Das eröffnet die Frage, wie Unternehmen digitalisieren sollten, um Vorteile abzuholen und Nachteile zu vermeiden.
Entscheidende Vorteile für Unternehmen ergeben sich erst durch „smarte Digitalisierung, die den Menschen in den Mittelpunkt aller Digitalisierungsschritte stellt“, so die Digital Coaches Sonja Ledinsky und Alexander Ramseier von FutureBuilt. Statt des in der Digitalisierung üblichen TOPAnsatzes – von Technologie über Organisation zu Personen – plädieren die beiden Digitalisierungsexperten für die Umkehrung zu einem POT-Ansatz: Wie kann ich meine Mitarbeiter durch die Nutzung digitaler Lösungen von stupiden Arbeiten entlasten, um sie für kreative Prozesse freizuspielen? Wie gelingt es, ihre Potenziale zur vollen Entfaltung zu bringen? Welche Strukturen – Organisationsform, Arbeitsweise, Prozesse, Kooperationen – tragen dazu bei, die freigespielten Kollegen zu Innovationschampions zu machen? Und erst zuletzt: Welche technischen Systeme und Prozesse sind hierfür am besten nutzbar?
Digitalisierung kann Unternehmen helfen, wettbewerbsfähig zu bleiben, Effizienzgewinne einzufahren, neue Märkte und Vertriebswege und damit neue Kunden zu erschließen. Nachhaltig wirkungsvoll wird sie aber nur dann sein, wenn sie smart, also menschlich sinnvoll, umgesetzt wird. In den Worten Harald Pichlers: „Was könnten Menschen alles sein, wenn wir sie nur tun lassen würden, was sie könnten!“
Autor/in:
Michael Bauer-Leeb
»Der Mensch ist in vielen Dingen trotz allem unschlagbar.«
Harald Pichler, Viktor Frankl Zentrum