Design ist kein Selbstzweck
Franziska Kerber, 24, gehört zu den vielversprechendsten Jung-Erfinderinnen Europas. Mit ihrer papierbasierten Lösung für Elektronikgehäuse will sie das Recycling von Kleingeräten revolutionieren – und wurde dafür vom Europäischen Patentamt unter die besten zehn Innovator*innen des Young Inventors Prize 2025 gewählt. Im Interview spricht sie über nachhaltiges Design, ihre Generation und den Mut, Systeme radikal neu zu denken.

Mit „PAPE“ hat Franziska Kerber eine ebenso einfache wie wirkungsvolle Idee entwickelt: Elektronikgehäuse aus gepressten Papierfasern, die sich im Wasser auflösen lassen – und damit eine Rückgewinnung der enthaltenen Komponenten ermöglichen. Für dieses Konzept wurde die Absolventin der FH Joanneum in Graz als Tomorrow Shaper ausgezeichnet. Doch hinter ihrer Innovation steht mehr als ein Produkt: ein neues Verständnis von Design, Verantwortung und Kreislaufwirtschaft. Ein Gespräch über Visionen, Hürden und die Suche nach echten Lösungen.
Die Wirtschaft: Frau Kerber, wie entstand die Idee zu Ihrem Projekt „PAPE“ – und welcher Moment war entscheidend dafür, daraus eine echte Innovation zu machen?
Die Idee zu PAPE entstand aus der Beobachtung, dass gerade kleine Elektronikgeräte wie Router oder Rauchmelder oft im Recyclingsystem verloren gehen. Obwohl es bereits Ansätze für recycelbare Leiterplatten gibt, bleiben viele Gehäuseteile weiterhin problematisch. Der entscheidende Moment war die Erkenntnis: Es reicht nicht, einzelne Komponenten nachhaltig zu denken – das gesamte Produktdesign muss auf Kreislauffähigkeit ausgerichtet sein. Aus diesem Anspruch heraus wurde PAPE geboren – ein Gehäusekonzept aus gepressten Papierfasern, das vollständig recycelbar und biologisch abbaubar ist.
Ihr Designansatz verbindet Technologie mit Nachhaltigkeit. Was bedeutet „gutes Design“ für Sie persönlich – und welche Verantwortung trägt es aus Ihrer Sicht in einer Welt des Klimawandels?
Gutes Design bedeutet für mich, Verantwortung zu übernehmen – funktional, ästhetisch und ökologisch. In einer Welt, die mit Klimawandel und Ressourcenknappheit kämpft, reicht es nicht, nur schöne Produkte zu gestalten. Design muss Lösungen bieten, die langlebig, reparierbar und am Ende ihres Lebenszyklus vollständig recycelbar sind. Es geht darum, Produkte nicht nur für den Konsum, sondern für den Kreislauf zu entwerfen – das ist die Verantwortung, die Design heute trägt.
Sie sagen, dass es nicht reicht, nur Leiterplatten recycelbar zu machen, wenn das restliche Gerät weiterhin im Müll landet. Wie sieht für Sie ein konsequent kreislauffähiges Produkt aus?
Ein konsequent kreislauffähiges Produkt lässt sich vollständig in seine Einzelteile zerlegen und recyceln – idealerweise ohne kompliziertes Auseinanderbauen. Mit PAPE verfolge ich genau diesen Ansatz: Das Gehäuse besteht aus gepresstem Altpapier, das durch ein wasserbasiertes Verfahren einfach aufgelöst werden kann. Ergänzt durch eine passende, recycelbare Leiterplatte entsteht so ein System, das echten Materialkreislauf ermöglicht. Es geht um Einfachheit im Recyclingprozess – damit Nachhaltigkeit nicht nur möglich, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll wird.
Als junge Erfinderin gehören Sie zu den Tomorrow Shapers. Wie nehmen Sie Ihre Generation wahr – sehen Sie sie als pragmatisch, rebellisch oder visionär?
Es ist eine große Ehre, als Tomorrow Shaper ausgezeichnet worden zu sein – und ich finde, es ist eine tolle Initiative des Europäischen Patentamts, um junge Ideen sichtbar zu machen und Innovationen mit gesellschaftlicher Relevanz zu fördern. Solche Plattformen geben nicht nur Motivation, sondern zeigen auch, dass nachhaltiges Denken und technologische Visionen zusammengehören.
Meine Generation erlebe ich als sehr visionär – aber gleichzeitig auch pragmatisch. Viele von uns wollen nicht nur Missstände benennen, sondern konkrete Lösungen entwickeln. Es geht nicht mehr um die Frage, ob wir nachhaltiger handeln müssen, sondern wie wir das am besten umsetzen. Und genau darin liegt die Stärke: Wir verbinden Zukunftsvisionen mit einem sehr klaren Gestaltungswillen.
Was erwarten Sie sich von Unternehmen, wenn es um die Umsetzung nachhaltiger Produktideen geht? Wo sehen Sie Chancen – und wo Hürden?
Ich wünsche mir von Unternehmen mehr Mut, neue Materialien und Prozesse zu testen – auch wenn sie am Anfang nicht sofort in bestehende Systeme passen. Die größte Chance liegt darin, durch nachhaltige Innovationen echten Mehrwert zu schaffen – nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich. Die Hürden liegen oft in starren Strukturen, kurzfristigem Denken und fehlender Bereitschaft, etablierte Prozesse infrage zu stellen. Doch wer heute in nachhaltiges Design investiert, gestaltet die Standards von morgen mit.
Sie arbeiten bereits mit Startups und Industriepartnern zusammen. Was braucht es aus Ihrer Sicht, um eine Idee wie PAPE aus dem Labor in den Massenmarkt zu bringen?
Es braucht starke Partnerschaften – besonders mit Akteuren, die Erfahrung in der Entwicklung recycelbarer Elektronikkomponenten haben. Momentan bestehen noch keine festen Kooperationen, aber ich hoffe sehr, dass durch die Sichtbarkeit im Rahmen des Young Inventors Prize gezielte Gespräche und neue Partnerschaften entstehen. Mein Ziel ist es, gemeinsam mit Industrie und Startups ein ganzheitliches, kreislauffähiges System zur Marktreife zu bringen – und erste Pilotprojekte anzustoßen, die das Potenzial von PAPE auch im großen Maßstab sichtbar machen.
Der Young Inventors Prize stellt die SDGs der UN in den Mittelpunkt. Welches dieser Nachhaltigkeitsziele liegt Ihnen am meisten am Herzen – und warum?
Für mich stehen besonders SDG 9 – „Industrie, Innovation und Infrastruktur“ – und SDG 11 – „Nachhaltige Städte und Gemeinden“ – im Fokus. PAPE möchte genau hier ansetzen: mit innovativen Materialien und einem durchdachten Design, das den Umgang mit Elektronik grundlegend nachhaltiger macht. Es geht darum, nicht nur Produkte zu verbessern, sondern ganze Systeme neu zu denken – vom Material bis zur Entsorgung.
Die Auszeichnung mit dem Young Inventors Prize gibt dem Projekt wichtige Sichtbarkeit und zeigt mir, dass Ideen wie PAPE auf offene Ohren stoßen. Das motiviert mich, die Entwicklung weiter voranzutreiben – mit dem Ziel, nachhaltige Gestaltung zur neuen Norm werden zu lassen.
Wenn Sie auf die nächsten fünf Jahre blicken: Was möchten Sie bewegen – und woran würden Sie gern gemessen werden?
Ich möchte zeigen, dass nachhaltige Elektronik keine Utopie ist, sondern real umsetzbar – und dabei andere Designer*innen, Entwickler*innen und Unternehmen inspirieren, neue Wege zu gehen. In fünf Jahren möchte ich einen funktionalen PAPE-Prototypen realisiert und idealerweise erste Pilotanwendungen in Zusammenarbeit mit Industriepartnern umgesetzt haben. Gemessen werden möchte ich daran, ob mein Projekt reale Kreisläufe ermöglicht – technologisch wie auch im Denken.
Vielen Dank für das Interview!

Zur Person

Franziska Kerber (geb. 2000) ist eine österreichische Industriedesignerin mit Fokus auf Nachhaltigkeit und kreislauffähige Produkte. Sie studierte an der FH Joanneum in Graz, wo sie sich intensiv mit Recyclingstrategien auseinandersetzte. Inspiriert durch ihren Vater, einen Physiker und Erfinder, entwickelte sie das Projekt PAPE – eine papierbasierte Alternative zu herkömmlichen Kunststoffteilen in elektronischen Geräten. Ziel ist es, den Recyclingprozess von Elektroschrott wesentlich zu vereinfachen.
Für diese zukunftsweisende Idee wurde Kerber 2025 vom Europäischen Patentamt (EPA) als eine der zehn besten Innovator:innen unter 30 Jahren mit dem Young Inventors Prize ausgezeichnet. Sie gilt als „Tomorrow Shaper“, eine Auszeichnung für visionäre junge Köpfe, die die nachhaltige Transformation unserer Gesellschaft gestalten.