„Der Klimawandel ist NICHT menschengemacht!?“

Leadership
23.11.2022

 
Die persönlichen Meinungen und öffentlichen Äußerungen klaffen bei vielen Wirtschaftsvertreter weit auseinander – nicht nur wenn es um die Themen Nachhaltigkeit und Klimawandel geht. Aus gutem Grund.
Augenzu

Text: Bernhard Kuntz, Die PRofilBerater

Vergangene Woche recherchierte ich für einen Artikel zum Thema „Nachhaltig wirtschaften“. In diesem Kontext rief ich auch mehrere Top-Entscheider in Unternehmen und Unternehmensberater an, um sie zu interviewen und in meinem Artikel zu zitieren. Unter anderem kontaktierte ich den Inhaber eines Betriebs mit fast 200 Mitarbeitern, den ich als klugen Kopf und scharfen Analytiker sehr schätze, weshalb ich des Öfteren das Gespräch mit ihm suche, wenn ich zu Managementhemen recherchiere.

„… denn auch im Mittelalter gab es eine kleine Eiszeit“

Nachdem wir einige Zeit über das Thema Nachhaltigkeit gesprochen hatten, sagte der promovierte Wirtschaftsingenieur (da eine Vertrauensbeziehung zwischen uns besteht) plötzlich unvermittelt zu mir: „Ich glaube übrigens nicht, dass der Klimawandel von der Menschheit verursacht wird.“ Ich war einige Sekunden sprachlos, dann stammelte ich „Wieso?“. Seine Antwort: „Das Klima hat sich schon immer verändert.“ Daraufhin erwiderte ich: „Aber nicht so massiv in kurzer Zeit“. Er antwortete: „Doch, auch im Mittelalter gab es eine kleine Eiszeit.“

Daraufhin fragte ich ihn: „Und was würde sich dadurch ändern, wenn der Klimawandel nicht rein menschenverursacht wäre, sondern bei ihm auch kosmische oder extraterritoriale Faktoren eine Rolle spielen? Müssten wir dann nicht auch versuchen, ihn soweit möglich zu begrenzen, um unsere Lebensgrundlagen auf der Erde zu bewahren?“ Darauf erwiderte der Unternehmer, der auch Lehraufträge an zwei Universitäten hat und in den Aufsichtsräten bzw. Beiräten mehrerer Start-ups sitzt, darüber wolle er mit mir nicht diskutieren, denn die Frage, inwieweit der Klimawandel menschengemacht sei, sei eine Glaubensfrage, und über Glaubensfragen könne man nicht diskutieren.

Die „Wahrheit“ bzw. Überzeugung äußern schadet dem Geschäft

Daraufhin fragte ich den Unternehmer, ob ich ihn so auch in meinem Artikel zitieren dürfe – wohlwissend, was seine Antwort sein würde. Sie lautete: „Selbstverständlich nicht“, denn in dem „aufgeheizten Meinungsklima“ stünde man unmittelbar am Pranger, wenn man die Auffassung vertrete, der Klimawandel sei nicht menschengemacht. Ebenso gut hätte er sagen können: „Nein, denn wenn ich mich öffentlich so äußere, wäre das negativ für mein Geschäft.“ Also zitierte ich ihn auch nicht entsprechend in meinem Artikelmanuskript. Stattdessen legte ich ihm einige der üblichen Managementphrasen in den Mund wie:

  • „Ein nachhaltiges Wirtschaften setzt auch die Bereitschaft zum Umdenken voraus.“ Und:
  • „Unternehmen haben auch eine soziale Verantwortung und diese müssen sie wahrnehmen.“

Auch kluge Köpfe haben Glaubensätze und blinde Flecken

Für mich war das Telefonat eine große Ernüchterung – gerade, weil ich den Unternehmer, wie bereits erwähnt, als „klugen Kopf“ und „scharfen Analytiker“ schätze, denn es führte mir erneut vor Augen:

  1. Zu welchen Überzeugungen und Schlüssen Personen bezogen auf das Thema „Handlungs-“ bzw. „Changebedarf“ gelangen (nicht nur beim Thema Klimawandel), ist nur sehr begrenzt eine Frage der Intelligenz und Bildung.
  2. Bei unseren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Eliten (zu denen die Top-Manager der Unternehmen zählen) klaffen die persönlichen Überzeugungen und öffentlichen Äußerungen oft weit auseinander – selbst wenn sie regelmäßig betonen, Führungskräfte müssten authentisch sein. Und:
  3. Viele Top-Manager und Unternehmensberater, die in ihren öffentlichen Reden regelmäßig fordern, die Mitarbeiter der Unternehmen müssten zu einem Umdenken und Hinterfragen ihrer Denk- und Handlungsmaximen bereit sein, sind hierzu selbst nicht bereit – zumindest dann nicht, wenn durch den Change ihre persönlichen Interessen und Besitzstände tangiert werden. (Ihren Mindset usw. müssen stets nur die anderen ändern.)

Vieles soll, nein muss sich ändern, aber mein Leben nicht.

So würde ein Sich-Eingestehen, der Klimawandel ist weitgehend menschengemacht, für den von mir geschätzten Unternehmer vermutlich zum Beispiel bedeuten:

  1. Er muss darüber nachdenken, ob die Tatsache, dass er als leidenschaftlicher Flieger mit seinem Privatflugzeug so gerne durch die Lande fliegt, noch sozial- und klimapolitisch verantwortbar ist.
  2. Er muss sich fragen, ob sein Credo, für (fast) alle Probleme der Menschheit gibt es eine technische Lösung, wirklich zutreffend ist und eventuell nicht doch Veränderungen des Lebensstils und ein Verzicht auf gewisse Dinge erforderlich sind.
  3. Er müsste sich fragen, ob ein Wirtschaftssystem, dessen Grundmaxime ein permanentes quantitatives Wachstum ist, nicht notwendigerweise zu solchen Verwerfungen wie dem Klimawandel, verschmutzten Meeren usw. führt.

Zu einem so radikalen (Sich-)Hinterfragen sind die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Eliten weltweit eher selten bereit. Vielmehr artikulieren und organisieren sie, wenn ihre Privilegien und persönlichen Interessen tangiert werden, unmittelbar Widerstand. Dabei sagen sie – zumindest in Demokratien – jedoch nie offen „Nein, ich bin dagegen, weil dies meinen Reichtum und meine Privilegien tangiert.“ Sie begründen dies vielmehr mit gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten, die angeblich alternativlos sind.