Aus alt und neu mach hip

Unternehmensführung
19.11.2020

 
Bei den Wutschers heißen seit sieben Generationen alle ersten Söhne Fritz. Seit drei Generationen sind alle Augenoptikermeister. Was da wohl Neues zu erwarten ist? Sehr viel.

Text: Mara Leicht

Was wäre geworden, wenn Fritz Wutschers Schikarriere geklappt hätte? In seiner Jugend war der Steirer ein talentierter Rennfahrer. Sein Vater, der seinen 1966 gegründeten Augenoptikladen durch die harten Anfangsjahre getragen hat und gerade vorsichtig expandierte, unterstützte die Leidenschaft des Sohnes. „So wie Marcel Hirschers Vater“, vergleicht Wutscher, „der war auch Vater, Trainer und Mäzen gleichzeitig.“ Dankbarkeit schwingt mit. Der Sohn schaffte es in den Europacup, dann warfen ihn zu viele Verletzungen zurück. Mit 18 Jahren hing er den Traum von der Rennkarriere an den Nagel und wurde Augenoptikermeister mit Leib und Seele. Schi fährt er immer noch. So wie seine beiden Kinder, Alexandra und Fritz jun., die wichtige Rollen in der Geschäftsleitung seiner jetzt schnell wachsenden Kette haben. Doch dazu später.

AUTOMATISIERUNG? JA! Die Einbußen durch den ersten Shutdown hat Wutscher längst wettgemacht. „Wer eine stärkere Brille braucht, der kauft sie sich“, sagt er. Smartphone und Co bescheren immer mehr Menschen Kurzsichtigkeit, das Gleitsichtsegment wächst, auch Modetrends beflügeln regelmäßige Modellwechsel. Aber die Konkurrenz, die Hartlauers, Fielmanns, Pearles, die schlafen doch auch nicht? „Ich kenne Herrn Hartlauer natürlich“, sagt Wutscher ruhig, „aber ich konzentriere mich auf mein Unternehmen. Meine Mitbewerber sind die traditionellen Augenoptiker. Nicht die Ketten.“

71 Filialen steuert Wutscher aktuell von dieser Zentrale aus. Offiziell kommuniziert er 70, „weil das die rundere Zahl ist“. Allein heuer, im Corona-Jahr, kamen zehn neue dazu, fünf sind noch geplant, gerne in Shopping- oder Fachmarkt-Centern, jedenfalls alle im Eigenbesitz. Andere Zahlen nennt der Seniorchef grundsätzlich nicht, sagt aber, dass so gut wie alle Filialen profitabel sind. Viele der neuen stammen aus Übernahmen von pensionswilligen Augenoptikermeistern, Geschäfte in bester Lage und mit festem Kundenstamm. „Meine Marke wird immer bekannter. Da häufen sich die Angebote.“

Wutscher schaffte das Kunststück, den handwerklichen Anspruch des Großvaters ins digitale Zeitalter herüberzuholen. Die Synthese zeigt sich auch optisch: Vor einem perfekt renovierten schönbrunnergelben Herrenhaus im Grazer Stadtteil Mariatrost steht die Wutscher-Zentrale als ultramoderner abgerundet verglaster Neubau. Verbunden sind die beiden Gebäude durch einen japanischen Garten, in dem Mitarbeiter gerne Pause machen. Alt und neu – es passt zusammen.

„Wer eine stärkere Brille braucht, der kauft sie sich.“ Fritz Wutscher

Dann erzählt er vom Handwerk, wie er es vom Vater lernte. „Früher hat der Optiker die Fassungen selbst produziert und die Gläser händisch eingeschliffen. Er hat repariert, gelötet, gekittet. Das macht man heute nicht mehr.“ In puncto Automatisierung will Wutscher auf dem allerletzten Stand sein. Was digital sinnvoll ist, holt er in seine Filialen. Die Fassungen kauft er von den großen Designern, nach Möglichkeit aus Österreich, von Andy Wolf bis Silhouette. Die Gläser werden vollautomatisch eingeschliffen. Nur die Refraktion, das Bestimmen der optischen Korrekturwerte, bleibt in der Filiale. Deswegen besteht Wutscher darauf, dass in jeder Filiale mindestens ein Augenoptikermeister arbeitet. „Der Rest sind zumindest Gesellen. Und höchstens ein Verkäufer.“ Ohne dass er es ausspricht: Anderswo scheint es anders zu sein.

ERST ZUR ZERTIFIZIERUNG, DANN ZUM KUNDEN Tochter Alexandra sorgt dafür, dass alle Mitarbeiter dieselben Standards haben. Als HR-Chefin über die 400 Mitarbeiter leitet sie auch die „Alexandra Wutscher Akademie“, in der sich jeder neue Mitarbeiter, ob intern aufgestiegen, extern aufgenommen oder durch Zukauf dazugekommen, erst einmal zertifizieren muss. „Ich würde lieber mehr intern besetzen“, sagt sie, „aber wir wachsen so schnell.“ Die nächste Generation hat sie schon an Bord geholt: Derzeit sind 35 Lehrlinge unter ihren Fittichen.

In der Zentrale selbst arbeiten nur 20 Mitarbeiter. „Ich will so viele wie möglich beim Kunden haben“, sagt Vater Wutscher. Auch hier gilt: Was digital sein kann, ist digital. Intern laufen etwa Lohnverrechnung und Rechnungsläufe automatisch ab, extern hat er Schnittstellen zu seinen Lieferanten. Am Beispiel des Warennachkaufs: „Jeder Lieferant sieht, welche seiner Brillen verkauft wurden und liefert automatisch nach.“ Lagerrisiko trägt Wutscher keines: „Wenn ein Modell ein paar Monate nicht verkauft wurde, holt es der Lieferant zurück und ersetzt es durch ein anderes. Im eigenen Interesse.“ Ein Geschäft bietet 1.000 Brillen Platz. Verkaufen sich die des einen Lieferanten nicht, wartet schon der nächste.

KANNIBALEN UNTER SICH Überschaubare Freude werden die Hersteller wohl mit dem Konzept hinter „FR!TZ1966“ haben, jener Trend-Eigenmarke, die Sohn Fritz jun. aus dem Boden stampfte. Er leitet offiziell nur das Marketing, spielt aber auch in der schwindelerregend schnellen Expansion eine tragende Rolle. Aus den Verkaufsstatistiken kennt er die Bestseller-Modelle. Die gibt er an eigens angestellte interne Designer weiter, die sie optimieren. Noch feinere Handarbeit, noch leichter, andere Farben, noch höherer Tragekomfort, vegane Materialien. Gefertigt wird in einer Stuttgarter Manufaktur. Anders als bei den zugekauften Modellen trägt hier Wutscher das Lagerrisiko, aber was soll bei Beststellern schon schiefgehen? In nur zwei Jahren erklomm die auf jung und hip getrimmte Eigenmarke 15 Prozent Umsatzanteil. Ziel sind 50 Prozent in vier Jahren. Wer sich durch das Sortiment klickt, stellt rasch fest: Die Modelle sind chic, aber breitentauglich und moderat bepreist. Elitär ist nur das Image.

Bleibt noch die Frage, wann Österreich den Wutschers zu klein sein wird. Kurz zögert Wutscher jun., dann sagt er mit einem Lächeln: „Wenn sich die Eigenmarke im Unternehmen so gut etabliert, kann man ja auch mal ins Ausland expandieren.“ Fein wäre auch eine Manufaktur im eigenen Land. Die sucht er noch.