Auf der Suche nach dem perfekten Klang
Bei Thomastik-Infeld werden seit 100 Jahren Musiksaiten produziert. Um sich auch in Zukunft auf dem Weltmarkt zu behaupten, setzten die Wiener auf Idealismus, Perfektionismus, Leidenschaft und – Verrücktheit. Ein Portrait.


Sie heißen „Dominant“, „Vision“ und „Peter Infeld“. Bands wie The Strokes oder Bilderbuch sowie zahlreiche Solomusiker schwören auf sie. Die im Herzen Wiens seit fast 100 Jahren teils noch per Hand hergestellten Musiksaiten sind Traditionsprodukte, die gemeinsam mit den Musikern ständig weiterentwickelt und um neue Varianten erweitert werden. Derzeit werden bei Thomastik-Infeld rund 1500 verschiedene Einzelsaiten und knapp 350 Saitensätze vertrieben, an vielen weiteren wird täglich gearbeitet. Diese Bereitschaft, stets etwas Neues, Besseres hervorzubringen, scheint das Erfolgsrezept der Manufaktur zu sein. Obwohl die Konkurrenz in dieser Branche alles andere als schläft, schafft es der österreichische Familienbetrieb, seine starke Position am Weltmarkt zu behaupten: 97 Prozent der Produktion gehen ins Ausland.
Darauf, dass hier höchste Qualität erzeugt wird, deutet auch hin, dass es zwei Jahre braucht, bis die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – in der Produktion sind 80 Prozent weiblich – selbstständig eine Musiksaite herstellen können. Geschick, Handfertigkeit und Feingefühl werden so perfektioniert, bis bei der Saitenproduktion alles glatt geht. Dabei ist so eine Saite heute eher ein Hightech-Produkt – mit den Violine-, Cello- oder Gitarrensaiten von vor 150 Jahren, die vor allem aus Tierdärmen oder -haaren hergestellt wurden, haben die Klangfäden von heute nicht mehr viel gemein.
Verrückter Geigenbauer
„Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Tierdärme vor allem an Kriegsversehrten gebraucht“, erzählt Bernhard Rieger, zuständig für die Entwicklung von Cello- und Basssaiten bei Thomastik-Infeld. Die Därme wurden zum Vernähen von Wunden bei Operationen verwendet. Daher entwickelten „ein genialer Ingenieur und ein verrückter Geigenbauer“, Otto Infeld und Franz Thomastik, Musiksaiten mit einem Stahlkern – und gründeten 1919 ihr Unternehmen in Wien Margareten, wo bis heute Saiten für Streich- und Zupfinstrumente hergestellt werden – mittlerweile auch aus Kunststoffen. Von den rund 190 Mitarbeitern, die für den Weltmarktführer arbeiten, sind 80 Prozent in der Produktion und der Qualitätssicherung tätig. Auf mehreren Stockwerken und in insgesamt acht Werkstätten wird hier täglich daran gearbeitet, dass die Tradition von Franz Thomastik und Otto Infeld weitergeführt wird.
Heute führt Zdenka Infeld das Familienunternehmen. Die gebürtige Kroatin übernahm 2009 die Geschäftsführung nach dem überraschenden Tod ihres Mannes Peter Infeld, nach dem eine Musiksaite benannt ist. In die Rolle musste sie nicht nur wegen noch fehlender Deutschkenntnisse erst hineinwachsen: „Das war eine total neue Sache für mich. Ich lerne bis heute dazu.“ Ursprünglich war sie im Kunstbereich tätig, so hatte sie auch den Kunstsammler Peter Infeld kennengelernt. Ihre Aufgabe ist keine einfache. Der Traditionsbetrieb muss sich immer mehr gegen die Konkurrenz aus Asien behaupten. Aber Infeld ist überzeugt: „Wir haben die besten Leute am Markt. Und die Erfahrung.“
Nicht nur die Saiten, sondern teilweise auch die Produktionsmaschinen werden selbst entwickelt. Thomastik-Infeld verkauft selbst auch nach Asien, wo der Kuchen zum Glück größer wird: Gerade in China erfreut sich klassische Musik bei jungen Menschen großer Beliebtheit. Der Hauptabsatzmarkt für Thomastik-Infeld sind mit ca. 45 Prozent nach wie vor die USA, gefolgt von Japan und China.
Digitale Schritte
Eine weitere Herausforderung stellt die Digitalisierung dar. Laut Marketingleiterin Nina Haberlehner hat sich das Konsumentenverhalten „in den vergangenen Jahren deutlich weg vom analogen Kauferlebnis und persönlicher Beratung im Fachhandel ins Internet verlagert“. Informationsbeschaffung, Entscheidung für ein Produkt und sogar der Kauf passieren heute oft online. Zwar rät man bei Thomastik-Infeld Musikern dazu, sich professionell beraten zu lassen, aber man versucht auch, den neuen Kundenbedürfnissen entgegenzukommen. So wird derzeit an einem Saitenkonfigurator mit detaillierten Produktbeschreibungen, Soundsamples und Expertenforen gearbeitet, um Musiker bei der Suche nach der Saite mit dem idealen Klang zu unterstützen.
Aber gibt es so etwas wie den perfekten Klang überhaupt? „Wir wissen, dass wir, genau wie die Musiker, nie fertig sind“, sagt Bernhard Rieger, der selbst Profimusiker war und jetzt für Research and Developement verantwortlich zeichnet. Die Philosophie im Betrieb lautet: „Du wirst nie auslernen.“ Es gibt nicht nur verschiedene Musikschulen mit ihren ganz spezifischen Spielweisen, sondern auch Klang-Moden, unterschiedliche kulturelle Trends beim Musizieren und dazu persönliche Wünsche und Vorlieben einzelner Musiker – für all diese Bedürfnisse entwickelt das Team passende Saiten. Sogar das Klima wirkt sich auf den Klang einer Saite aus, und Musiker, die viel schwitzen, stellen die Tüftler rund um den technischen Direktor Franz Klanner vor eine besondere Herausforderung. Bernhard Rieger drückt es so aus: „Es braucht hier Idealismus, Perfektionismus, gepaart mit Verrücktheit, Leidenschaft und Durchhaltevermögen.“