Putztrupps im ewigen Eis

30.08.2005

Selbst in den für den Menschen unwirtlichen Polarregionen hat sich jede Menge Zivilisationsmüll angesammelt. In der Antarktis allein lagern geschätzte 300.000 Tonnen Abfall aus den letzten fünfzig Jahren festgefroren im Eis. Und die Beseitigung ist ein logistisch kompliziertes und ziemlich teures Unterfangen.

Von Linda Wöss
Foto AWI

Batterien, Plastiksäcke, Baumaterial, alte Reifen und Ölfässer, Chemikalien für wissenschaftliche Forschungen - all das liegt laut Berichten der ASOC, Antarctic and Southern Ocean Coalition, im antarktischen Schnee und Eis verstreut. Sogar verlassene Fahrzeuge und Schiffscontainer wurden über Jahrzehnte einfach abgestellt. Und in der Arktis treibt gleich eine ganze aufgelassene Station auf dem Eis: So geschehen im letzten Sommer, als das deutsche Forschungsschiff Polarstern des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven die Überreste der russischen Station Nordpol-32 entdeckte. Die Reste der driftenden Eisstation bestanden aus fünf teilweise schwer beschädigten Baracken, zwei Traktoren, drei größeren Treibstoffdepots mit 304 Fässern, Schlafsäcken, Netzen und anderem Material. Zwei Drittel der Fässer in den Depots waren leer, aber 90 Prozent der noch gefüllten Fässer enthielten Diesel und der Rest Rückstände von Benzin, Öl und Kerosin. Laut letzter Eintragung in einem vorgefundenen Kalender trieb die Station bereits rund ein halbes Jahr verlassen vor sich hin. "Mithilfe eines Helikopters sammelten wir das Material ein und luden es an Bord", berichtet Kapitän Udo Domke von der "Polarstern". Vorrangig seien die Treibstofffässer und der Abfall geborgen und dann die beiden Traktoren mit dem Kran an Bord gehoben worden. Lediglich Überreste der Baracken, die im Eis eingefroren waren, blieben auf der Scholle, aber alles umweltschädliche Material konnte laut Aussage des Kapitäns dann doch entfernt werden.

Spuren im Schnee
Der Mensch hinterlässt überall seine nicht immer sauberen Spuren. Es gibt zwar strenge Vorschriften und Umwelttrainings für jeden, der seinen Fuß auf Polargebiet setzt, aber bis in die frühen achtziger Jahre war besonders in der Antarktis der Umgang mit Müll überaus sorglos - wie auch sonst in vielen Teilen der Welt. Die offene Verbrennung war gang und gäbe, Täler und Buchten wurden mit Abfall angefüllt, oder das, was nicht mehr gebraucht wurde, im Winter einfach auf das Eis gekippt. Im nächsten Sommer, wenn es dann schmolz, transportierten Wasserbäche die Verunreinigungen weiter, sodass noch mehr kontaminierte Böden entstanden. Jüngste Bodenprüfungen rund um die australische Casey Station ergaben, dass zahlreiche Chemikalien in Mengen vorhanden sind, die das natürliche Vorkommen ziemlich überschreiten, und einige wenige sogar über den in Australien vorgeschriebenen Grenzwerten liegen. Allerdings, so betonten australische Wissenschaftler, sei nicht sicher, ob die für andere Weltregionen entwickelten Umweltstandards auch für die sehr spezifischen Bedingungen in der Antarktis angewandt werden könnten.
"Den Müll abzutransportieren, ist extrem teuer", sagt Reinhard Böhm, Experte für Klimavariabilität an der ZAMG, der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien. Er hat Erfahrung mit Forschungsprojekten und weiß, wie knapp bemessen die Finanzmittel dafür oft sind. Trotzdem könne man sich seines Mülls nicht einfach an Ort und Stelle entledigen. Es wäre für ihn eine ungeheure Katastrophe, wenn beispielsweise aufgrund von Umweltsünden die einzigartige Pinguinpopulation in der Antarktis geschädigt würde. Deshalb begrüßt es Meteorologe und Geophysiker Böhm sehr, dass nun alle Länder, die in der Antarktis wissenschaftliche Basen betreiben, angehalten sind, ihren Frischmüll wieder mit nach Hause zu nehmen, wenn sie den eisigen Kontinent zu Beginn des südlichen Winters verlassen. Eine eigentliche Bevölkerung gibt es nämlich in der Antarktis nicht - alle leben dort nur vorübergehend: Rund 5.000 Forscher oder Personen, die mit logistischen Aufgaben für die Forschungsarbeit, den Transport oder die Infrastruktur in den derzeit 43 Stationen betraut sind.

Altlasten wegräumen
Als eine der ersten hat die AAD - Australian Antarctic Division gemeinsam mit dem französischen Entsorgungsunternehmen Onyx Veolia Environnement vor rund drei Jahren ein Projekt zur Müllbeseitigung auf der Antarktis gestartet. Es geht dabei sowohl um den Rücktransport in das Ursprungsland wie auch die Wiederherstellung der Deponien in ihren Originalzustand. Die Arbeiten können nur in den Monaten des südlichen Sommers stattfinden, wobei sich das Großreinemachen auch deshalb sehr schwierig gestaltet, weil der zu entfernende Müll ziemlich zerbrechlich ist. Von Jahr zu Jahr und je nach Saison gefror und taute er wieder auf, wobei durch die extremen Temperaturschwankungen in Verbindung mit der korrosiven Salzluft Müllbestandteile einfach zerbarsten.
Das Thala Valley, die ehemalige Deponie der australischen Casey Forschungsbasis, diente in den letzten drei Jahren als Testfall für die Räumung von insgesamt 2.500 Tonnen Müll inklusive der anhaftenden verunreinigten Erde. Zum Vorschein kamen auf der seit zwanzig Jahren nicht mehr benützten Lagerstätte unter anderem jede Menge Batterien, Schmieröle, Blechkannen, Kunststoffverpackungen, Baumaterialien und alte Autoreifen. Aufgrund der austretenden Flüssigkeiten konnte nicht nur einfach mit Bulldozern hineingefahren werden, sondern Großteile der Deponie waren vorerst abzudichten, um den Schaden nicht noch zu vergrößern. Eine Problematik, die in Österreich gut bekannt ist, und deren Lösung zumindest teilweise schon vor längerer Zeit angegangen worden ist. Vor rund einem halben Jahr wurde die Säuberungsaktion im Thala Valley beendet, aber eine weitaus schwierigere Aufgabe ist noch im Gange. Denn die Situation um die australische Wilkes Station ist ernster, dort soll das Aufräumen bis zu zehn Jahre in Anspruch nehmen, weil geschätzte 30.000 Tonnen Dreck zu bergen sind.

Schwierige Transporte
Alle Orte in der Antarktis sind schwer zu erreichen. Der einzig mögliche Zugang erfolgt per Schiff im australischen Sommer, während auf dem eisigen Kontinent selbst mit Hubschraubern und kleinen Polarjets geflogen wird. Der Müll aber muss mit schwerem Arbeitsgerät abgebaut und teilweise weggefräst, in gefrorenem Zustand in riesige, jeweils zehn Tonnen fassende Container gepackt und nach Australien transportiert werden, wo er auf dem Rückweg auftaut. 240 von diesen Spezialwand-Containern, die sogenannten "Big Red Bins", wurden extra dazu gebaut, den aufgrund der anhaltenden Minusgrade fast gar nicht verrotteten antarktischen Abfall aufzunehmen. Transportschiff ist der speziell für antarktische Bedingungen gebaute Eisbrecher "Aurora Australis" mit drei Hubschraubern an Bord.
Doch schon der Weg zum Schiff kann lang sein und ziemlich abenteuerlich verlaufen. So berichten beispielsweise Forscher des französischen Polarinstituts IPEV, dass sie für die Bewältigung einer Strecke von 1.120 Kilometern von ihrer Station Dumont d'Urville in Terre Adélie bis zur französisch-italienischen Station Concordia mit Bodenfahrzeugen sage und schreibe 12 Tage brauchten.
In spätestens zwei Jahren soll sich die interkontinentale Anreise ändern. Sie kann dann per Flugzeug regelmäßig erfolgen, denn von Hobart in Tasmanien wird es eine direkte Flugverbindung zur Casey Station geben. Der Bau einer Start- und Landepiste ist ab dem nächsten australischen Sommer im Gange, sie soll auf einer 500 Meter dicken und ebenen Eisschicht ungefähr 70 Kilometer von der Casey Station entfernt den Langstreckenjets zur Verfügung stehen. Probeflüge sind bereits für Ende 2006 und Anfang 2007 vorgesehen, regelmäßiger Flugbetrieb dann für 2008.

Der Weltkalender
"Die Antarktis ist der ideale Forschungsstandort für die Geowissenschaften", erklärt ZAMG-Experte Böhm. Und die Polarforschung sei unentbehrlich für das Verständnis des Systems Erde. Das gelte sowohl für die arktischen Gebiete der nördlichen Hemisphäre als auch für die Antarktis im Süden. Denn ohne solides Grundlagenwissen über die komplexen Wechselwirkungen zwischen Ozean, Eis und Atmosphäre könnten keine wirksamen Strategien für den Klima- und Umweltschutz entwickelt werden.
"Aufgrund von Eisbohrungen in der Antarktis kann das Klima sehr genau rekonstruiert werden", weiß Böhm. Im Dezember letzten Jahres haben Wissenschaftler des europäischen Eisbohrprojektes Epica (European Project for Ice Coring in Antarctica) auf dem Inlandeisplateau der Ostantarktis eine Bohrtiefe von 3.270 Metern erreicht und einen 70 Meter langen Eiskern mit einem Durchmesser von zehn Zentimetern herausgeholt, der Schneefälle aus mindestens 740.000 Jahren enthält. Die Wissenschaftler benutzen die einzigartige Klimaaufzeichnung in Eiskernen, um aus der Analyse der chemischen Zusammensetzung und der physikalischen Eigenschaften des Eises sowie der darin eingeschlossenen Luft die Prozesse in der Atmosphäre und Klimaänderungen in der Vergangenheit zu untersuchen. Die Ergebnisse daraus sind dann eine wertvolle Grundlage für die Weiterentwicklung von Rechenmodellen zur Vorhersage der künftigen Klimaentwicklung.
(9/05)